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Merkel und ErdoganEin gewieftes Gespann
Der Türkei-Besuch wird sich für Kanzlerin Merkel bezahlt machen: Nur Ankara kann ihr dabei helfen, im kommenden Jahr wiedergewählt zu werden. Präsident Erdogan weiß um seinen Einfluss – und nutzt ihn für eigene Zwecke.
Der türkische Präsident Recep Erdogan und Kanzlerin Angela Merkel sind aufeinander angewiesen.
(Foto: AP)
Ankara Die Bundeskanzlerin ist noch nicht einmal gelandet, da bekommt sie schon die Tücken der Diplomatie zu spüren. Ihr Regierungsflieger muss eine Extra-Schleife drehen – weil die Maschine des türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu zuerst landen soll.
Am Samstag besuchte die Bundeskanzlerin gemeinsam mit Davutoglu, EU-Ratspräsident Donald Tusk und Vize-Kommissionschef Frans Timmermans ein Flüchtlingsheim in der Nähe von Gaziantep, ganz im Süden der Türkei. In der Region leben etwa eine halbe Million Flüchtlinge – halb so viele wie in ganz Deutschland. Die Botschaft des gemeinsamen Ausfluges unter schwersten Sicherheitsvorkehrungen: Die EU-Spitzen und Merkel als Mit-Initiatorin des EU-Türkei-Flüchtlingsabkommens sind solidarisch mit der Türkei.
Das ist aber nicht der einzige Grund für Merkel, ihr Wochenende zu opfern. Für sie dürften sich solche Auftritte langfristig bezahlt machen – vor allem, wenn im nächsten Jahr gewählt wird. Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan weiß darum und nutzt seinen Einfluss auf die Kanzlerin regelmäßig aus, nicht nur im Fall Böhmermann. Auch ihm nützt die Kooperation, denn: Türken feiern ihn dafür, dass ihr Land endlich in der Weltpolitik angekommen ist. So unterschiedlich die beiden sind – sie profitieren voneinander.
Flüchtlingspolitik: Der EU-Türkei-Aktionsplan
Die Türkei soll der EU dabei helfen, dass weniger Flüchtlinge nach Westeuropa kommen. Das Land ist nämlich für viele Migranten ein wichtiges Transitland. Bereits im November wurden dafür die folgenden Punkte vereinbart.
Um die illegale Einreise von Flüchtlingen in die EU zu stoppen, soll die Türkei ihre Seegrenzen zu Griechenland besser sichern. Zudem soll das Land stärker gegen Schleuser vorgehen, die die Flüchtlinge über die Ägäis bringen.
Die Lebensbedingungen der Flüchtlinge in der Türkei sollen verbessert werden, damit diese gar nicht erst nach Europa weiterreisen. Dabei geht es etwa um eine bessere Gesundheitsversorgung und Bildungschancen für Kinder. In einem ersten Schritt hat die Türkei bereits ein Arbeitsverbot für Flüchtlinge gekippt. Nach Schätzungen des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) leben in der Türkei mittlerweile allein 2,7 Millionen syrische Flüchtlinge.
Für die Versorgung der Flüchtlinge haben die EU-Staaten der Türkei drei Milliarden Euro zugesagt.
Die EU hat der Türkei zugesagt, die Verhandlungen über Visa-Erleichterungen und einen möglichen EU-Beitritt zu beschleunigen. (Quelle: dpa)
Auf den ersten Blick ist Erdogan aus Sicher der Bundesregierung ein Störenfried. Da ist zum Beispiel der Fall der Dresdner Sinfoniker. Das Orchester beschwerte sich am Freitag darüber, dass türkische Behörden vor Druck auf das Ensemble und die Europäische Union ausübten, um die Erwähnung des Begriffs „Genozid“ bei den Aufführungen zu verhindern. Das Werk hatte 2015 in Berlin Premiere, ohne dass es für Ärger sorgte. Demnach forderte die türkische Botschaft bei der EU die EU-Kommission auf, Subventionen in Höhe von 200.000 Euro für das Projekt wieder einzukassieren. Zwar sei es bei der finanziellen Unterstützung geblieben, teilte Orchesterchef Markus Rindt mit. Die Kommission habe das Orchester jedoch gebeten, das Wort "Genozid" zu streichen.
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Es gibt weitere Beispiele. Dem ARD-Korrespondenten Volker Schwenck wird die Einreise in die Türkei verwehrt; eine niederländische Journalistin ist am Wochenende verhaftet worden. Die Regierung geht erbittert gegen Kritiker vor, schließt Medienhäuser und stellt tausende Menschen wegen Beleidigung des Präsidenten vor Gericht. Rebellen der verbotenen PKK werden erbittert gejagt, anfangs sogar unter der Billigung ziviler Opfer.
Wolfgang Bosbach (CDU), Vorsitzender des Innenausschusses des Bundestags
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„Ich bedauere die Entscheidung und hoffe, dass der Türkei eine Lektion in Punkto Meinungsfreiheit erteilt wird. Ich gehe jedenfalls nicht davon aus, dass man Böhmermann verurteilt.“
„Was ich von Jan Böhmermann halte, ist hinlänglich bekannt – gar nichts. Aber wie unsere Regierung hier vor einem Präsidenten kuscht, der in seinem Land die Meinungsfreiheit mit den Füßen tritt – uns aber gleichzeitig sagt, wir sollen uns aus seiner Politik raushalten – das macht mich fassungslos.“
Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft
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„Kanzlerin Merkel hat gleich zweimal recht: Erstens lässt sie die Strafverfolgung zu. Das ist in einem Rechtsstaat auch selbstverständlich. Zweitens schafft sie den überflüssigen Majestätsbeleidigungsparagrafen ab. Das ist längst überfällig.“
Wolfgang Thierse (SPD), ehemaliger Bundestagspräsident
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„Ich halte es für richtig, dass Richter über das sogenannte Gedicht von Herrn Böhmermann entscheiden. Die Bundesregierung hatte keinen Anlass, dies zu verhindern.“
(Foto: dapd)
Simone Peter, Bundesvorsitzende der Grünen
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„Der EU-Türkei-Deal wirkt: Erdogan setzt sich durch, Satire ist das Opfer. Für die Zukunft: (Paragraf) 103 abschaffen.“
Sevim Dagdelen, Mitglied der Bundestagsfraktion der Linkspartei
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„Bundeskanzlerin Merkel unterwirft sich dem türkischen Präsidenten Erdogan. Sie ermächtigt den Despoten vom Bosporus, den ZDF-Satiriker Jan Böhmermann wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes vor Gericht stellen zu lassen.“
Allein, das ist eine Politik, die offenbar ein Großteil der Türken begrüßt. Dieser Teil der Türken sieht die Vorteile in Erdogans Vorgehen. Die lauten: Er beschert den Türken womöglich bald Visafreiheit in die EU. Er holt Milliarden aus Brüssel, um Flüchtlinge zu versorgen. Er setzt alles in Bewegung, um dem Terror im eigenen Land Einhalt zu gebieten. Und am wichtigsten: Er hat dafür gesorgt, dass die Türkei in der Welt wieder ernst genommen wird. Bei der Lösung der großen Krisen in der Welt führt kein Weg mehr an der Türkei vorbei.