Militär probte schon oft den Aufstand Die Angst der Türken vor dem Putsch

Auf dem Taksim-Platz in Istanbul fürchteten sich die Menschen vor einer neuen Machtergreifung des Militärs.
Zürich Es sind Szenen wie im Kriegsfilm. Ein Hubschrauber steht leicht schräg in der Luft, knapp über dem Gebäude des Millî İstihbarat Teşkilâtı, des türkischen Geheimdienstes, und gibt Schüsse ab. Im Staatsfernsehen liest eine Moderatorin mit schweißgebadetem Gedicht eine Erklärung von Offizieren der ersten Armee vor. Und mitten in der Nacht fordern Muezzine in den Moscheen zu einer für sie gänzlich unüblichen Zeit über die Mikrofone der Moscheen, auf die Straßen zu gehen – und dem Putsch zu widerstehen.
Dieser Putschversuch verläuft blutig. Die bisherige Bilanz: Stand Samstagmittag sind bisher mehr als 260 Menschen getötet worden, noch mehr als bei dem schrecklichen Anschlag in Ankara vor knapp einem Jahr. Mehr als 1000 Menschen sind verletzt, wie schwer, ist noch nicht bekannt. Über 1500 Putschisten sind festgenommen worden – es mehren sich die ersten Stimmen in lokalen Medien, die nach der Wiedereinführung der Todesstrafe rufen.
So prekär die politische Situation in dem Land ist: Die Türken haben Angst vor einem Putsch. Egal, wie schwierig die Lage ist. Jeder kennt die Erzählungen aus dem Jahr 1960, 1971 oder 1980. In erschreckender Regelmäßigkeit begehrte das Militär auf, wenn die politische Situation den Generälen nicht passte. Oftmals herrschte tatsächlich das reinste Chaos vor einem Putsch.
Allein, nach einem Putsch war das Chaos meist noch viel grösser. Hunderte wurden hingerichtet, das eingesetzte Kriegsrecht versetzte normale Bürger in Angst und Schrecken und die Politik stabilisierte sich nur schwer. Nach dem Putsch von 1971 gab es zum Beispiel 13 Neuwahlen binnen eines Jahrzehnts. Die Türken - egal, wie sehr oder wie wenig sie hinter der aktuellen Regierung stehen, fürchten eine militärische Machtübernahme so sehr wie die Deutschen die Hyperinflation.