Nach Babtschenko-Affäre So lief der erste Ukraine-Besuch von Außenminister Maas

Bei seinem Besuch kommt der Außenminister auch in Kontakt mit Menschen, die in der Nähe der Front leben.
Berdjanske Was sich die Menschen in der Ukraine wünschen? „Dass dieser Krieg endlich vorbei geht“, ruft ein Grüppchen älterer Männer und Frauen. Der Wunsch der drei Dutzend Einwohner des ukrainischen Dorfs Berdjanske an der Frontlinie zur Separatistenrepublik Donezk ist an die Außenminister der Ukraine und Deutschlands gerichtet. Pawlo Klimkin hat seinen deutschen Amtskollegen Heiko Maas im Rahmen seines ersten Ukraine-Besuchs in dieses Dorf unweit der Front im Donbass gebracht.
„Wann kommt endlich Frieden?“, das sei er immer wieder gefragt worden, sagt Maas vor dem Rückflug von der Front, die hier diplomatisch nur Kontaktlinie genannt wird. Wenn es mal zwei Nächte in Folge ruhig bleibe und keine Explosionen die Anwohner aufrüttelten, sei das „schon gut“, sagt die 70-jährige Ljuba. Die Frau mit den zwei aufblitzenden Goldzähnen wohnt seit 28 Jahren in dem ostukrainischen Dorf, seit sie als Angehörige der slawischen Minderheit aus der zentralasiatischen Sowjetrepublik Kirgisien vertrieben worden war.
„Wenn wir uns schlafen legen, haben wir immer einen gepackten Koffer neben dem Bett stehen mit dem Allernötigsten und den Pässen – falls wir uns nachts wieder einmal in einen Bunker flüchten müssen“, erzählt die Rentnerin, die monatlich umgerechnet 50 Euro Pension bekommt.
Und die Straßen müssten endlich geflickt, außerdem für den Winter Kohle zum Heizen gebracht werden, ergänzt ihre ältere Nachbarin, die nach dem GAU im Atomkraftwerk Tschernobyl hierher zog. „Aber das schlimmste ist der Krieg. Selbst meine Enkelin sagt zu mir, ich solle mich an die ständigen Schießereien gewöhnen. Aber das kann ich nicht“, erklärt sie, während die ersten Tränen laufen.
Kurz nach dem gestellten Anschlag auf den russischen Journalisten Arkadi Babtschenko in Kiew ist Bundesaußenminister Heiko Maas am Donnerstag und Freitag in die Ukraine gereist. Dort verschaffte er sich unweit der Industriemetropole Mariupol im von pro-russischen Separatisten größtenteils besetzten Donbass einen Überblick an der Frontlinie.
Im Normandie-Format versuchen Deutschland und Frankreich mit Russland und der Ukraine eine Umsetzung des Minsker Abkommens zur Friedensschaffung in der Ostukraine zu erreichen. Das erste Treffen seit Februar 2016 soll nun am 11. Juni in Berlin stattfinden, gaben Klimkin und Maas in Mariupol bekannt. Klimkin lobte den deutschen Außenminister, der erst elf Wochen im Amt ist: „Heiko ist es gelungen, alle zu überzeugen und ein solches Treffen zu organisieren.“
„Schrecklich“, entfährt es dem SPD-Politiker, als er von einer Anhöhe auf den völlig zerschossenen Ort Schyrokine durch einen Feldstecher blickt. „Das waren alles mal schöne Ferienhäuschen, ein reiches Dorf. Nun ist alles zerstört“, erzählt ihm Klimkin. „Und wo sind jetzt die einstigen Bewohner?“, will Maas wissen.
Viele tot, die meisten in der 20 Kilometer entfernten Stahlstadt Mariupol am Asowschen Meer. Ein paar Schlote rauchen hier noch. Aber seit Russland die Brücke auf die annektierte ukrainische Halbinsel Krim gebaut hat, kommen kaum noch Transportschiffe mit Exportstahl durch das Schwarze Meer.
„Wir werden sie nicht vergessen“, lässt der deutsche Minister seinen Kiewer Kollegen den Menschen im Dorf Berdjanske übersetzen, die klatschen, als der Gouverneur ihnen wenigstens eine Busverbindung in die Stahlmetropole zusagt.
Dort ist Maas abgeklärter. Er komme aus „dem eher verwöhnten Teil Europas, in dem man Frieden und Freiheit für selbstverständlich hält“, sagte Maas. Er dankte den mehr als 600 internationalen Beobachtern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), dass sie ihr Leben für diese Mission riskierten. Europa schaue „viel zu wenig darauf“, dass „hier fast täglich Menschen sterben in unserer unmittelbaren Nachbarschaft“.
Maas setzt jetzt darauf, Russland und die Ukraine für eine Friedensmission der Vereinten Nationen (UN) zu gewinnen, die die weiter fast täglich umkämpfte Ostukraine stabilisieren und „endlich Frieden bringen“ soll. Einig ist man sich aber bisher nur darüber, dass deutlich mehr UN-Blauhelme abgestellt werden müssten als jetzt schon für die OSZE-Mission.
Doch während Kiew ein robustes Mandat will, mit dem die Separatisten entwaffnet und das ganze besetzte Gebiet überwacht werden kann, führt Moskau anderes im Schilde: Der Kreml will die Uno zum Schutz der OSZE-Patrouillen, keineswegs eine Sicherung der Grenze zwischen Russland und der Ukraine.
Denn die kontrollieren bisher Moskaus Soldaten und können die Separatisten so beliebig mit Waffen, Munition und Material beliefern. Das ist zumindest Kiews Sicht der Dinge.
Mutmaßliche Mordpläne
Doch die zieht Russland – verstärkt noch durch den merkwürdigen fingierten Mordanschlag auf den nach Kiew geflüchteten russischen Kriegsreporter Arkadi Babtschenko – in Zweifel. Der im Exil lebende Kreml-Kritiker Babtschenko war am Dienstagabend in seiner Wohnung in Kiew aufgefunden worden – angeblich tot. Tags darauf präsentierte er sich quicklebendig der Presse. Er habe den Plot des ukrainischen Geheimdienstes SBU mitgemacht und sich für ermordet erklären lassen.
Laut Babtschenko war die Inszenierung nötig, um einen echten Mordplan zu vereiteln. Er schilderte gegenüber der Presse, wie er geschminkt und mit Schweineblut übergossen wurde, um seinen Tod glaubhaft erscheinen zu lassen.
„Würden Sie nicht auch alles tun, wenn Ihr Leben bedroht ist?“, konterte er Kritiker, die Babtschenko vorwarfen, mit der Geschichte die Glaubwürdigkeit der Medien zu unterminieren. „Die Umstände sind etwas skurril“, sagte Maas schon nach seiner Ankunft auf dem Kiewer Maidan, dem Platz, wo zwei Revolutionen stattfanden. „Wir wollen sehr, dass der Fall aufgeklärt wird“, unterstrich der deutsche Außenminister. Am Abend hätte ihm Präsident Petro Poroschenko weiterführende Informationen gegeben. Aber ganz ausgeräumt schienen seine Zweifel nicht zu sein.
Klimkin erklärte, der SBU habe so handeln müssen, um an die russischen Hintermänner zu kommen, die insgesamt 30 weitere, in die Ukraine geflohene Kreml-Kritiker ermorden lassen sollten. „Russland scheut im Kampf gegen die Ukraine keine Mittel – und wir müssen mit aller Macht bereit sein, dem entgegenzuwirken“, sagte Klimkin im Beisein von Maas.
Der aber hatte beim ersten Ukraine-Besuch nicht nur Krisendiplomatie zu bewältigen. Bei einem kurzen Stadtrundgang zeigte ihm Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko imposante Kirchen und erzählte dem SPD-Politiker seine Sicht auf die Ukraine: „Wir sind Europäer, und wir tun alles, um nach Europa zu kommen.“ Maas hörte angeregt auch den Erzählungen des Ex-Schwergewichts-Champions zu – um dann mit dem einstigen Weltklasseboxer auch kurz über Bewegungstraining und Stressabbau zu reden.
„Das Foto mit Ihnen wird meinen ganzen Ukraine-Besuch in Deutschland überstrahlen“, ahnte Maas beim Knipsen mit Klitschko vor Kiews historischer Sophienkathedrale – dabei sei Frieden für den Donbass so viel wichtiger. „Wir müssen das Leid der Menschen hier beenden“, sagte Maas und schob nach: „Dabei wird Deutschland der Ukraine immer als Freund zur Seite stehen.“
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