Nach Rauswurf des Notenbankchefs Ausländische Anleger ziehen immer mehr Gelder aus der Türkei ab

Die Türkische Währung steht unter Druck.
Istanbul Der Rauswurf des türkischen Notenbankchefs am 19. März hat einen nachhaltigen Ausverkauf an den Finanzmärkten des Landes zur Folge. Gleichzeitig stemmt sich die Führung in der Hauptstadt Ankara gegen den dadurch entstehenden Sog, der vor allem die Türkische Lira erneut in Mitleidenschaft zieht.
In der Woche zwischen dem 26. März und dem 2. April zogen internationale Investoren 1,9 Milliarden US-Dollar aus der Türkei ab, wie die türkische Notenbank in einer wöchentlichen Mitteilung am Donnerstagabend bekanntgab. Weitere 384 Millionen Dollar zogen Ausländer demnach aus Aktien ab, darüber hinaus 140 Millionen Dollar aus Anleihen.
Investoren zeigen mit den Abzügen ihre Furcht vor einer Änderung der Geldpolitik in dem Schwellenland. Staatschef Recep Tayyip Erdogan hatte am 19. März den Notenbankchef Naci Agbal per Dekret entlassen und durch den Ex-Banker Sahap Kavcioglu ersetzt. Während Agbal mit Leitzinserhöhungen die Rendite für Anleger erhöhte, gilt Kavcioglu als Gegner hoher Zinsen.
Die Anleger, die Agbal in seiner viermonatigen Amtszeit anlocken konnte, rennen nun also wieder davon. Es herrscht die Devise: Lieber jetzt das Geld abziehen, bevor die Investments an Wert verlieren. Das betrifft auch deutsche Unternehmer vor Ort. „Was für ein genialer Schritt, Agbal rauszuwerfen“, kommentiert der Schwellenland-Experte Timothy Ash. Er dürfte das ironisch gemeint haben.
Der Ausverkauf zeigt indes längst Wirkung. Der türkische Finanzmarkt hat sich nach dem Rauswurf Agbals deutlich verbilligt. Der Marktwert aller in der Türkei gehandelte Wertpapiere sank binnen zwei Wochen von 28,9 auf 23,4 Milliarden US-Dollar.
Der wichtigste Börsenindex ISE100 hat seit Mitte März über sieben Prozent an Wert verloren. „Obwohl sich türkische Aktien bereits extrem verbilligt haben, meiden ausländische Anleger einen Einstieg“, konstatiert die türkische Wirtschaftszeitung „Dünya“ in einer Kolumne am Donnerstag.
Türkische Aktien sind billig
Auch der Wert aller gehandelten Anleihen sank im selben Zeitraum von 9,9 auf 7,4 Milliarden US-Dollar. Der Anteil ausländischer Investoren am türkischen Anleihemarkt sank demnach von 4,95 auf 4,86 Prozent und bewegt sich damit auf den historischen Tiefstand zu.
Die Folge: Die Türkische Lira hat seit Mitte März mehr als zwölf Prozent an Wert verloren. Türkische Staatsbanken und die Zentralbank scheinen sich gegen einen weiteren Wertverlust zu stemmen, indem sie ausländische Devisen auf den Markt werfen. So ließe sich der Wert dieser Devisen verwässern, im Gegenzug gewänne die Lira relativ gesehen an Wert.
Ein Tropfen auf den heißen Stein. So sind die Brutto-Devisenreserven des Landes in der Woche vom 26. März bis zum 2. April um 2,8 Milliarden auf 48 Milliarden US-Dollar abgeschmolzen. Der Wert der Goldreserven sank um 385 Millionen auf 39,36 Milliarden US-Dollar. Insgesamt verringerten sich die Gesamtreserven des Landes binnen einer Woche um knapp 3,2 Milliarden US-Dollar. Die Lira konnte ihre Verluste allerdings nicht wieder wettmachen und notiert aktuell bei 9,71 Lira pro Euro.
Der türkische Präsident Erdogan versucht, politisch gegenzusteuern. Auf einer Online-Veranstaltung der D-8, einem Verbund muslimisch geprägter Entwicklungs- und Schwellenländer, forderte Erdogan den verstärkten zwischenstaatlichen Handel in lokaler Währung. Dadurch würde die Abhängigkeit von Euro und Dollar verringert werden, die Wechselkurse zu diesen Währungen spielten dann eine geringere Rolle.
Doch bis dahin ist es ein weiter Weg. Auch die Realwirtschaft spürt die Turbulenzen an den türkischen Finanzmärkten. Nicht nur, dass Aktionäre ihre Anteile an gelisteten Firmen abstoßen. Auch die Kalkulation ändert sich, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern. Wenn zum Beispiel eine deutsche Firma in der Türkei Produkte verkauft, so verringern sich die Einnahmen in Euro, je schwächer der Wechselkurs der Lira zum Euro ist.
Die Folge: Das Unternehmen erwirtschaftet weniger Umsatz. Viele erhöhen daher die Preise, was zu Inflation führt. Das betrifft vor allem das produzierende Gewerbe. So wundert es nicht, dass die Konsumenteninflation in der Türkei mit 16 Prozent bereits hoch ist, die Produzenteninflation mit über 30 Prozent jedoch deutlich höher.
Wer in der Türkei produziert und exportiert, darf sich freuen
Andersherum profitieren ausländische Firmen, die in der Türkei für den Weltmarkt produzieren. Sie sparen Geld, etwa bei den Personalkosten. Wenn ein deutsches Unternehmen einem türkischen Ingenieur beispielsweise 20.000 Lira monatliches Gehalt zahlt, dann entsprach dieser Wert vor einem Jahr noch knapp 3000 Euro. Inzwischen sind es rund 2100 Euro.
Auch Exporteure in der Türkei profitieren, dazu zählen auch ausländische Firmen mit Produktionsstätten vor Ort. Ihre Produkte werden in vielen Teilen der Welt günstiger, wenn die Lira an Wert verliert. Analog dazu ist der Erwartungswert für türkische Exporte zuletzt auf einen Rekordwert von 132 geklettert. Der Index wird vom türkischen Handelsministerium ermittelt und spiegelt die Erwartungen der exportierenden Wirtschaft des Landes wider.
Der aktuelle Wert, der sich auf das zweite Quartal 2021 bezieht, ist so hoch wie seit zehn Jahren nicht mehr. Die Importerwartungen sind entsprechend negativ: Wenn die Heimatwährung an Wert verliert, werden importiere Produkte wie Lebensmittel oder Maschinen für Türkinnen und Türken teurer.
Zu den Profiteuren zählen offenbar auch wohlhabende Türkinnen und Türken mit Euro und Dollar auf ihren Konten. Die Daten der Zentralbank deuten an, dass sie sich den Währungsverlust der Lira zunutze gemacht haben. Innerhalb von zwei Wochen nach dem Rauswurf des alten Notenbankchefs verringerten sich die Devisenguthaben türkischer Kontoinhaber um gut zehn Milliarden US-Dollar oder rund fünf Prozent. Wer seine Ersparnisse in Dollar oder Euro kurz vor Agbals Rauswurf auf dem Devisenkonto geparkt hat, der erhält nun innerhalb von drei Wochen – in Lira gerechnet – eine Rendite von zwölf Prozent.
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