Naher Osten Die Gewinner und Verlierer des Syrien-Kriegs

Einfluss gewonnen, Image gestärkt.
Istanbul, Berlin, Moskau Der Krieg in Syrien kennt nur Verlierer – wie oft hat man diesen Satz in den vergangenen sechseinhalb Jahren gelesen? Und wer will schon von Siegern sprechen angesichts dieser Schreckensbilanz: 500.000 Tote, 13 Millionen Menschen, die aus ihrem Zuhause vertrieben wurden, ganz zu schweigen von den wirtschaftlichen Schäden, von der Weltbank auf mehr als 225 Milliarden Dollar geschätzt.
Doch zur bitteren Wahrheit des bald siebenjährigen Grauens gehört, dass sich die Zerstörung des Landes für einige der Protagonisten gelohnt hat. Russland und Iran gehen gestärkt aus dem Krieg hervor, bei dem es um viel mehr ging als das Herrschaftssystem in Damaskus. Was in Syrien ausgefochten wurde, war der Kampf um Einfluss und Vorherrschaft im Nahen Osten.
In dieser Woche wurde klar, wie sehr sich die Machtbalance in der Region verschoben hat. Während Kremlchef Wladimir Putin mit dem iranischen Präsidenten Hassan Rohani und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan die Nachkriegsordnung für Syrien aushandelte, begnadigte US-Präsident Donald Trump zwei Truthähne und flog dann zum Golfspielen nach Florida. Die Zeit der unangefochtenen US-Dominanz in der Region, die 1990 mit der Befreiung Kuwaits begann und 2011 mit dem Abzug aus dem Irak endete, ist zumindest vorbei. Die Amerikaner haben das Spielfeld geräumt. Über die Zukunft der Region entscheiden andere.
Russland: Die neue Ordnungsmacht
Der Moment gehört Putin. In der Olympia-Stadt Sotschi inszenierte er seinen Friedensgipfel. „Es naht das Ende der groß angelegten Militärmaßnahmen gegen Terrorgruppen in Syrien“, triumphierte Putin. Dank der Anstrengungen Russlands, Irans und der Türkei haben wir den Kollaps Syrien verhindert.“
Beim Beginn der Luftangriffe 2015 hatte Putin als wichtigste Aufgabe vorgegeben, „die gesetzliche Obrigkeit zu stabilisieren und Voraussetzungen für die Suche nach einem politischen Kompromiss zu schaffen“. Dieses Ziel ist nun erreicht. Der Kreml will sich wieder als internationale Ordnungsmacht etablieren. Nur aufgrund der russischen Militärhilfe konnte das syrische Regime den Bürgerkrieg überstehen. Machthaber Bashar al-Assad weiß das genau: Erst vor Tagen pries er – ebenfalls in Sotschi – Putin und die russische Luftwaffe als „Retter Syriens“. Das ist mehr als ein Imageerfolg für den Kreml: Er hat beweisen, dass er traditionelle Verbündete auch gegen den Druck aus Washington halten kann. Für den Aufbau neuer politischer, wirtschaftlicher und militärischer Blöcke ist diese Erkenntnis extrem wichtig.

Syriens Präsident weiß, bei wem er sich bedanken kann, dass er immer noch an der Macht ist.
Ob die Person Assad aus russischer Sicht eine langfristige Lösung für die Führung Syriens ist, bleibt abzuwarten. Putin hat stets betont, das syrische Volk müsse selbst über seinen Präsidenten entscheiden. Für den 2. Dezember plant der Kremlchef den nächsten Gipfel. Er hat Vertreter des syrischen Regimes und der syrischen Opposition zu einer Nationalkonferenz eingeladen. Da die militärisch stark geschwächte Opposition kaum in der Lage ist, Bedingungen zu stellen, wird das Treffen nach Ansicht westlicher Diplomaten vor allem dazu eine neue Legitimationsgrundlage für das Regime zu schaffen. Ein schneller Wechsel an der syrischen Staatsspitze kommt aus russischer Sicht nicht in Frage. Assad habe gute Chancen, auch nach den politischen Verhandlungen an der Macht zu bleiben, erklärte der Chef des Sicherheitsausschusses im Föderationsrat Franz Klinzewitsch jüngst. Der russische Vorschlag, 2021 Wahlen in Syrien abzuhalten, wird von westlicher Seite skeptisch gesehen. Solange jedenfalls wie nicht geklärt ist, ob die geflüchteten Syrer, mehrheitlich Assad-Gegner, an dem Votum teilnehmen können.
Russlands Partnerschaft mit Assad erklärt sich aus militärischen Interessen: Zum bereits bestehenden Flottenstützpunkt in Tartus kommt nun der Luftwaffenstützpunkt Hemeimim, den Assad dem Kreml für unbefristete Zeit zur Verfügung gestellt hat. Beide Stützpunkte sind nicht nur Symbole des Großmachtstatus, sondern vergrößern den Aktionsradius des russischen Militärs in der Region. Auch die innere Sicherheit hofft Russland mit seinem Militäreinsatz gestärkt zu haben. Die Terrormiliz Islamischer Staat ist weitgehend zerschlagen. In den Reihen der Islamisten haben tausende Bürger aus der früheren Sowjetunion gekämpft, deren Rückkehr Moskau fürchten musste. Diese Gefahr ist verringert geworden.
Wirtschaftliche Interessen in Syrien spielen für Russland in Syrien eine untergeordnete Rolle, auch wenn Putin-nahe Oligarchen bei der Erschließung der Ölreserven und bei der Ausbeutung der Phosphatvorkommen beteiligt seien sollen. Aber zumindest die Kosten des Militäreinsatzes – inoffizielle Schätzungen sprechen von zwei Milliarden Euro – könnte Russland durch verstärkte Exporte aufwiegen: Die russische Waffentechnik dürfte durch den erfolgreichen Einsatz neue Interessenten anziehen.
Iran: Von Erfolg zu Erfolg
Ein Gewinner ist auch der Iran, die schiitische Macht am Golf. Die Alawiten, zu denen Assad gehört, sind eine Untergruppe der Schiiten. Assads gefestigte Position ist eine von mehreren Entwicklungen, die dem Iran zugute kommen: Im Irak hat mithilfe der USA die schiitische Bevölkerungsmehrheit die Macht erobert und kooperiert eng mit dem Nachbarn. Im Jemen haben die schiitischen Huthi-Rebellen große Teile des Landes erobert, sie werden von Teherans Revolutionsgarden und der Hisbollah-Miliz aus dem Libanon unterstützt.
Saudi-Arabien und die anderen sunnitischen Golfstaaten auf der anderen Seite sind Verlierer des Syrien-Krieges – ebenso die USA, die Türkei und die EU. Sie alle hatten gehofft, dass der Aufstand der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit in Syrien zum Sturz des Despoten Baschar al-Assad führen würde – womit auch Assads Schutzmacht Iran geschwächt worden wäre. Das Gegenteil ist geschehen. „Iran gewinnt den Krieg um die Kontrolle über den Nahen Osten“, bilanziert Jonathan Spyer vom Global Research in International Affairs Center. Das alarmiert nicht nur Teherans Erzfeinde in Riad, sondern auch die Israelis. Das neue Gleichgewicht der Kräfte, das in der syrischen Trümmerwüste entsteht, ist daher hochgradig instabil. Putin scheint das zu wissen. Der Kreml setzt auf Telefondiplomatie, um Saudis und Israelis für seine Friedensinitiative zu gewinnen. Das Ergebnis ist noch völlig offen. Die Saudis versuchen derzeit, die zersplittere syrische Opposition einen. Vertreter der Assad-Gegner sind in Riad zusammengetroffen. Fortschritte gibt es, aber keinen Durchbruch.
Türkei: Strategisches Dilemma
Wie die Araber zählen auch die Türken zu den Verlierern des Konflikts. In den ersten Jahren des syrischen Bürgerkriegs war die Position Ankaras relativ klar und eindeutig: Die Opposition sollte unterstützt werden, Assad sollte stürzen. Ab 2014, spätestens mit dem direkten Einschreiten Russlands im Jahr darauf, wurde die Position von Staatschef Erdogan zunehmend diffuser. Daran zeige sich, „dass der zu Beginn des Konfliktes selbstbewusst auftretenden Türkei das Heft des Handelns zunehmend entgleitet“, stellte der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags fest.
Klar ist, dass für Ankara geopolitische Interessen auf dem Spiel stehen. Über die Grenze zu Syrien flohen Millionen von Menschen. Nach neuesten Schätzungen der UNO blieben 3,5 Millionen von ihnen in der Türkei. Die müssen versorgt werden. Die Türkei will die Bedingungen für eine Rückführung der Flüchtlinge schaffen, muss sich dabei aber mit Russland und Iran arrangieren.
Das zweite strategische Interesse der Türkei liegt in der Präsenz kurdischer Milizen im türkisch-syrischen Grenzgebiet, die von der Türkei als Terrororganisationen angesehen werden. Ein Großteil der türkischen Bevölkerung hält diese Gruppen wie die YPG und die PYD für Ableger der PKK, die auch in Europa als Terrororganisation gilt. Die türkische Führung wird nicht müde zu betonen, dass sie die Präsenz dieser Gruppen – oder gar das Entstehen einer kurdische Autonomieregion auf syrischem Grenzgebiet – niemals tolerieren würde. Doch ausgerechnet die Amerikaner, jahrzehntelang die wichtigsten Verbündeten der Türkei, unterstützen die Kurden.
Der Westen: In der Zuschauerrolle
Darum wird das Gezerre der Großmächte wird in Syrien noch eine Weile weitergehen. Die Amerikaner, die zwar schon lange keine Hauptrolle mehr spielen, wollen als Nebenakteur weiter mitmischen. Nachdem sie zu Beginn der syrischen Revolution den Rücktritt Assads gefordert hatten, gingen sie mit dem Aufstieg des Islamischen Staates dazu über, sich auf die Bekämpfung der Islamisten zu konzentrieren. Die US-Luftwaffe sowie amerikanische Spezialkräfte und Militärberater halfen dem kurdisch-arabischen Militärbündnis „Demokratische Kräfte Syriens“ beim Vormarsch gegen den IS. Das Primärziel ist erreicht, das Kalifat der Extremisten ist fast vollständig zerschlagen. Und doch zeigen die Amerikaner keine Bereitschaft, ihre Truppen aus dem Norden Syriens abzuziehen. Nach dem Sieg über den IS formuliert Washington ein neues Ziel: Druck für eine politische Lösung des Syrienkonflikts aufzubauen – und ein Gegengewicht zu Iran zu bilden. „Wir werden sicherstellen, die Bedingungen für eine diplomatische Lösung zu schaffen“, verspricht US-Verteidigungsminister James Mattis. Dass ein paar tausend US-Soldaten aber ausreichen, um Iran und das Assad-Regime zu Konzessionen zu bewegen, ist zu bezweifeln. Sicher ist nur, dass der Verbleib der Amerikaner die Kurden stärkt. Die Truppenpräsenz ist eine Rückversicherung gegen Angriffe aus der Türkei.
Völlig außen vor, weil militärisch unbedeutend, sind die Europäer, obwohl sie von den Ereignissen im Nahen Osten unmittelbar betroffen sind – wie die Flüchtlingskrise gezeigt hat. Ihr einziger Hebel sind die Hilfsmittel für Syrien, um die sie die Russen bereits gebeten haben. Diese solle erst fließen, wenn ernsthafte Initiativen zu erkennen sind, die syrischen Volksgruppen miteinander zu versöhnen und so die Bedingungen für einen nachhaltigen Frieden zu schaffen.
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