Nationaler Volkskongress Sieben Fragen und Antworten zum größten politischen Event in China

Beim letzten Treffen ließ die chinesische Führung um Xi Jinping ein drakonisches neues Staatssicherheitsgesetz für Hongkong abnicken.
Peking In Peking kommen ab diesem Donnerstag 5000 Delegierte zum größten politischen Event des Jahres in China zusammen: In der Großen Halle des Volkes tagt zum einen ab Freitag der Nationale Volkskongress (NVK), das Scheinparlament der Volksrepublik, und bereits ab Donnerstag dessen Beratungsgremium. Die Treffen sind vor allem eine große Show, denn weder Volkskongress noch das Beratungsgremium haben Einfluss auf die Gesetzgebung.
Dennoch wird es interessant zu beobachten, welche Gesetzesvorlagen bis zum 11. März abgenickt werden – und vor allem: Was in dem Fünfjahresplan steht, mit dem die Kommunistische Partei und Chinas Regierung die aus ihrer Sicht wichtigsten Weichen für die Zeit bis 2025 stellen und der im Laufe des Treffens abgenickt werden soll. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Veranstaltung.
1. Warum ist das Treffen wichtig?
Die Zusammenkunft bietet einen Überblick darüber, was der chinesischen Regierung und der Kommunistischen Partei wichtig ist und worauf sie kurzfristig und in den kommenden Jahren ihren Fokus legen wird. In diesem Jahr ist das Treffen von besonderer Bedeutung, weil die Führung ihren Fünfjahresplan vorlegen wird, der bis 2025 die Weichen für die Wirtschaft stellen soll.
Kern des Plans wird eine Strategie sein, die in Pekings Propaganda-Sprech „Dual Circulation“ genannt wird. China will sich damit unabhängiger vom Ausland machen – und die eigenen Unternehmen stärken. Importe aus dem Westen sollen zunehmend durch im Land selbst produzierte Erzeugnisse ersetzt, der Binnenkonsum soll gestärkt werden. Der Plan wird somit auch Auswirkungen auf die Geschäfte von deutschen Unternehmen haben – positive wie negative.
2. Wann wird der Fünfjahresplan genau veröffentlicht – und was wird drinstehen?
Bislang ist noch unklar, wann genau der Plan veröffentlicht werden soll. Möglicherweise könnte sogar erst nach dem Ende des Treffens des Nationalen Volkskongresses die staatliche Nachrichtenagentur den abschließenden Text publizieren.
Spannend wird in jedem Fall, was konkret drinsteht. In den vergangenen Monaten gab es zwar bereits erste Hinweise, die einen Ausblick erlaubten. So wurde im November ein rund 30 Seiten langer Entwurf des Plans veröffentlicht. Der zeigte allerdings nur in groben Zügen, auf welche Bereiche sich die chinesische Führung konzentrieren will. So sollen mehr Innovationen bei der Künstlichen Intelligenz, Quantencomputern oder Halbleitern erzielt werden.
Der fertige Fünfjahresplan wird hingegen wahrscheinlich mehr als 200 Seiten umfassen, so war es in der Vergangenheit üblich. Darin werden dann konkrete Ziele stehen – sowohl makro- also auch mikroökonomisch. Im 13. Fünfjahresplan, der bis 2020 galt, hieß es etwa, dass „152.000 Kilometer Asphalt- oder Betonstraßen in Dörfern“ gebaut werden sollen und die Anzahl von zivilen Flughäfen auf 50 erhöht werden soll.
3. Bislang wurde am ersten Tag des Treffens des Nationalen Volkskongress ein Wachstumsziel für das laufende Jahr festgelegt – ist das auch in diesem Jahr so?
Wahrscheinlich nicht. Schon im vergangenen Jahr hatte die chinesische Führung wegen der allgemein unsicheren Wirtschaftslage kein Wachstumsziel veröffentlicht. Beobachter rechnen auch in diesem Jahr nicht damit.
Im Mai hatte Chinas Premierminister Li Keqiang die „große Ungewissheit bezüglich der Covid-19-Pandemie und des weltweiten Wirtschafts- und Handelsumfelds“ als Grund dafür genannt, dass er am Eröffnungstag der NVK-Sitzung kein spezifisches Ziel festlegte. Es war das erste Mal seit 1990, dass die chinesische Regierung bei diesem Treffen diesbezüglich keine Vorgaben verkündete.
Schon seit Jahren gibt es in China eine Diskussion darüber, wie sinnvoll es ist, überhaupt ein Ziel festzulegen. Ma Jun, Wirtschaftswissenschaftler und Mitglied des währungspolitischen Beratungsausschusses der Zentralbank, sagte kürzlich auf einem Wirtschaftssymposium, dass die Wachstumsziele des Bruttoinlandsprodukts (BIP) dauerhaft abgeschafft werden und die Stabilisierung der Beschäftigung und die Kontrolle der Inflation die wichtigsten makropolitischen Ziele sein sollten.
Doch auch wenn es keine übergeordnete Wachstumsvorgabe für ganz China gibt – auf Provinzebene haben die Lokalfürsten bei ihren Treffen vor den „Zwei Sitzungen“ durchaus Marken gesetzt. Laut chinesischen Staatsmedien streben die 31 Provinzen und Regionen in China an, ihr BIP bis 2021 um mehr als sechs Prozent zu steigern. Der Berliner China-Thinktank Merics hat ausgerechnet, dass sich bei Gewichtung der Ziele der Provinzen im Durchschnitt eine landesweite Wachstumsvorgabe von 6,8 Prozent ergibt.
4. Für welche Branchen wird der Fünfjahresplan besonders wichtig?
Es wird erwartet, dass sich die chinesische Führung in ihren Plänen insbesondere etwa auf den Gesundheitsmarkt, Künstliche Intelligenz, Halbleiter, aber auch die Entwicklung der Landwirtschaft konzentrieren wird. Zudem wird damit gerechnet, dass Peking eine Reihe von Maßnahmen verkünden wird, die dafür sorgen sollen, dass China, wie von Staats- und Parteichef Xi Jinping öffentlich zugesagt, bis zum Jahr 2060 kohlenstoffneutral wird. Das heißt, auch für Unternehmen in den Branchen erneuerbare Energien, grüne Technologien oder auch für Elektroautobauer wird es spannend.
5. Was ist makroökonomisch noch zu erwarten?
Chinas Gesellschaft altert in einem dramatischen Tempo, hinzu kommt durch die jahrelang praktizierte Ein-Kind-Politik ein riesiger Rückgang bei der Geburtenrate. 2020 sind im Vergleich zum Vorjahr 15 Prozent weniger Neugeborene in China amtlich gemeldet worden. Insbesondere die immer weiter steigenden Preise für Wohnungen machen den Menschen in China Sorgen und hindern sie daran, Nachwuchs zu bekommen. Gleichzeitig hat sich die chinesische Regierung schon seit Jahren vorgenommen, den Konsum zu steigern. Ökonomen sind skeptisch, ob das gelingen wird.
Denn dass China als eine der wenigen großen Volkswirtschaften während der Coronakrise überhaupt gewachsen ist, ist vor allem auf einen hohen Produktionsoutput, unter anderem infolge von riesigen Infrastrukturprojekten, zurückzuführen.
Insbesondere Verbraucher mit geringem Einkommen waren jedoch deutlich zurückhaltender im Konsum. „Der Konsum in China hat sich noch nicht erholt“, sagt Michael Pettis, Finanzprofessor an der Peking-Universität. Es wird erwartet, dass der Fünfjahresplan Maßnahmen vorsehen könnte, wie der Binnenkonsum gesteigert werden soll. Das könnte dann auch deutschen Firmen zugutekommen, die eine starke Marke in China haben, etwa dem Sportartikelhersteller Adidas.
6. Wird es wieder Änderungen für Hongkong geben?
Bei der letzten Sitzung des Nationalen Volkskongresses im Mai hatte die chinesische Führung ein drakonisches neues Staatssicherheitsgesetz für Chinas Sonderverwaltungszone Hongkong von den Delegierten abnicken lassen. Die Folgen für die Finanzmetropole waren dramatisch. 100 Oppositionelle und Demokratieaktivisten wurden seitdem auf Grundlage des Gesetzes verhaftet.
In diesem Jahr wird die nächste drastische Änderung erwartet, die Pekings Druck auf Hongkong noch verstärken wird. Laut Medienberichten soll der Wahlprozess für das Parlament und die Regierung Hongkongs so angepasst werden, dass am Ende ausschließlich Peking-treue Vertreter in den beiden Gremien sitzen. Das war bislang nicht so.
Das Vorgehen Chinas in Hongkong würde die ohnehin bereits jetzt schon nahezu ausgeschaltete Opposition weiter unterdrücken und könnte daher auch zu weiteren Spannungen mit den USA und Europa führen. Denn bei der Übergabe der ehemaligen britischen Kronkolonie an die Volksrepublik hatte Peking damals das Versprechen abgegeben, dass Hongkong nach dem Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ seine Autonomie auch innerhalb von China bewahren dürfe.
7. Welche Sicherheitsvorkehrungen wurden getroffen?
Dem großen Treffen vorangegangen ist eine riesige Corona-Impfkampagne in Chinas Hauptstadt. Die Bewohner Pekings wurden in den vergangenen Wochen aktiv von sogenannten Nachbarschaftskomitees dazu angehalten, sich impfen zu lassen. Taxifahrer, Reinigungskräfte, Lieferfahrer, sie alle sind inzwischen geimpft.
Die Maßnahmen, die infolge der Pandemie getroffen wurden, fallen dieses Mal etwas zurückhaltender aus als beim letzten Treffen im Mai. Die rund 5000 Delegierten, die aus allen Teilen des Landes kommen, mussten einen Covid-Test machen, bevor sie nach Peking einreisten, eine Langzeit-Quarantäne wurde laut Medienberichten jedoch nicht verlangt. Die Teilnehmer an den „Zwei Sitzungen“ dürfen sich jedoch, wie schon im letzten Jahr, nur zwischen den Tagungsstätten und ihren speziell zugewiesenen Hotels bewegen.
Die Berichterstattung ist mit dem Verweis auf die Pandemie auch in diesem Jahr stark eingeschränkt. Nur ausgewählte Journalisten sind in der Großen Halle des Volkes zugelassen. Sie kommen nicht in direkten Kontakt mit den Sprechern oder Mitgliedern der chinesischen Regierung oder des Nationalen Volkskongresses, sondern können Pressekonferenzen lediglich per Videoübertragung verfolgen.
Mitarbeit: Yukun Zhang
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