Neue Vorsitzende von Schwedens Sozialdemokraten Magdalena Andersson wird wohl Schwedens Regierungschefin

Schwedens aktuelle Finanzministerin und studierte Ökonomin gilt als durchsetzungsstark und wirtschaftlich kompetent.
Stockholm An Selbstbewusstsein hat es ihr noch nie gefehlt. Sie sei „Europas sparsamster Finanzminister“, erklärte Magdalena Andersson bei einem Treffen mit ihren zumeist männlichen Kollegen in Brüssel. Nun könnte die „sparsamste Finanzministerin“ bald Schwedens erste Frau an der Spitze einer Regierung werden. Am Donnerstag wurde sie zur neuen Vorsitzenden der schwedischen Sozialdemokraten gewählt und tritt damit die Nachfolge von Stefan Löfvén an.
Der 64-Jährige hatte im August seinen Rücktritt als Parteivorsitzender bekanntgegeben und gleichzeitig erklärt, dass er auch das Amt des Ministerpräsidenten abgeben werde. Wann genau das geschieht, ist noch nicht klar, doch die meisten Beobachter vermuten, dass der endgültige Rückzug aus der Politik schon in den kommenden Tagen oder Wochen vollzogen werden wird.
Die 54-jährige Andersson war die einzige Kandidatin für die Nachfolge von Löfvén. Die Ökonomin wurde mit überwältigender Mehrheit auf dem Parteitag der Sozialdemokraten in Göteborg gewählt. Und das, obwohl der linke Parteiflügel im Vorfeld der Wahl einige Bedenken gegenüber Andersson geäußert hatte. Sie stünde dem konservativen Lager innerhalb der Partei nahe, lautete eine Kritik, sie sei gegenüber Steuererhöhungen und anderen Umverteilungsmaßnahmen eher skeptisch, eine andere.
Der härteste Vorwurf jedoch lautet: „Sie redet über Steuern, aber erhöht sie nicht. Sie spricht über Ungleichheit, aber tut nichts dagegen“, polterte Daniel Suhonen vom linken Flügel der Partei in einigen Medien.
Die zweifache Mutter ist seit 2014 Finanzministerin und hat das Land durch eine straffe Finanzpolitik gut durch alle Krisen geführt. Aus politischen Kontroversen hat sie sich herausgehalten und Regierungschef Löfvén den Vortritt gelassen, wenn es darum ging, zwischen den unterschiedlichen Flügeln in der Partei zu vermitteln. Das wird in Zukunft nicht mehr möglich sein.
Coronakrise und Bandenkriminalität verunsichern die Bürger
Die Partei, die das Land wie keine andere seit mehr als einhundert Jahren geprägt hat, braucht eine Führungsperson, um zwischen den unterschiedlichen Positionen zu vermitteln und der Basis zu zeigen, dass traditionelle sozialdemokratische Politik nicht verhandelbar ist. Auch nicht für den Preis der Machterhaltung.
Und es gibt mehr Probleme: Neben der Bekämpfung der Coronapandemie muss Andersson – sollte sie zur Regierungschefin gewählt werden – die eskalierte Bandenkriminalität bekämpfen. Allein in diesem Jahr wurden bei Schießereien zwischen verschiedenen Clans über 40 Menschen auf offener Straße erschossen. Schweden nimmt damit den traurigen Spitzenplatz in Europa ein.
Die größte Herausforderung für Andersson wird es aber sein, Mehrheiten für die rot-grüne Minderheitsregierung zu finden. Derzeit benötigt die Regierung die parlamentarische Unterstützung der liberalen Zentrumspartei und der exkommunistischen Linkspartei. Der Noch-Regierungschef Löfvén hat bitter erfahren müssen, dass die Kompromissfindung zwischen den vier Parteien äußerst schwierig ist. Linkspartei und das Zentrum haben in wesentlichen Fragen wie der Umverteilungspolitik und dem Arbeitsrecht nahezu unvereinbare Positionen, was auch dazu geführt hatte, dass Löfvén im Spätsommer das Handtuch warf.
Um Regierungschefin zu werden, benötigt Andersson die Stimmen beider Stützparteien. Die zieren sich noch. Die Vorsitzende der Linkspartei, Nooshi Dadgostar, forderte von Andersson klare Zugeständnisse. „Wenn Andersson zur Regierungschefin gewählt werden will, muss sie sich mit uns an den Verhandlungstisch setzen. Sie muss uns schon etwas anbieten, damit wir unsere Stimmen für sie abgeben.“
Ökonomin, Leistungsschwimmerin und begeisterte Wanderin
Vor allem muss sie als Regierungschefin den Haushalt für das kommende Jahr im Parlament durchbringen. Die Opposition hat bereits angekündigt, einen eigenen Haushalt vorzulegen. Sollte Andersson keine Mehrheiten bekommen, müsste sie im schlimmsten Fall mit dem Haushalt der Opposition regieren – Stefan Löfvén kann ein Lied davon singen, wie das vor zwei Jahren war.
Es warten also schwierige Zeiten auf die Ökonomin, die Wirtschaftswissenschaften in Stockholm studiert hat und ein kurzes Gastspiel an der Harvard-Universität gab. Dass ihr Mann Richard ein renommierter Wirtschaftsprofessor an der Stockholmer Handelshochschule ist, sei ein „match made in heaven“, eine Traumbeziehung, wie sie selber sagt. Sie habe so immer einen perfekten Ansprechpartner, um über die Probleme unserer Zeit zu diskutieren.
Als neuer Finanzminister kommt er allein schon wegen der familiären Beziehung nicht infrage. Doch sollte Andersson in den nächsten Wochen zur Regierungschefin gewählt werden, muss sie sich schnellstens um ihre Nachfolge selbst kümmern. Noch gibt es keinen klaren Favoriten für das Amt.
Andersson wäre die erste Frau an der Spitze des skandinavischen Landes, wenn sie neue Regierungschefin wird. Noch nie zuvor hatte es eine Frau an diese Position gebracht. Und das, obwohl sich das Land eine „feministische Politik“ verordnet hat. Doch während Dänemark, Island, Finnland und bis vor Kurzem auch Norwegen von Frauen regiert werden, dominierten an der Spitze der Regierungen in Stockholm immer Männer.
Im September kommenden Jahres wird in Schweden ein neues Parlament gewählt. Bis dahin muss die einstige Leistungsschwimmerin und begeisterte Wanderin den Negativtrend ihrer Partei umkehren, die nur noch auf 25 Prozent der Stimmen kommt. Ansonsten wäre es ein kurzes Gastspiel gewesen.
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