Niederländischer Regierungschef Ein Mann der klaren Worte: Regierungschefs reiben sich an Mark Rutte

Der niederländische Regierungschef spricht unbequeme Wahrheiten offen aus.
Brüssel Statt in einer Luxuslimousine fährt Mark Rutte am dritten Tag des EU-Gipfels mit einem unscheinbaren Bus vor. Geschickt gewählt vom niederländischen Regierungschef, denn der Rechtsliberale gibt sich gerne bescheiden und will so womöglich dieses Bild aufrechterhalten. Denn abseits des roten Teppichs hat sich Rutte in die erste Reihe gedrängt und die Rolle des Protagonisten während der EU-Verhandlungen gesichert.
Seit Freitag ringen die EU-Regierungschefs in Brüssel um den Corona-Wiederaufbaufonds und den mittelfristigen EU-Finanzrahmen für die Jahre 2021 bis 2027. Vor allem die „Sparsamen Fünf“ stellen sich quer: die Niederlande, Österreich, Schweden, Dänemark und seit Neuestem auch Finnland. An ihre Spitze steht der sonst so bescheidene Rutte – und macht Angela Merkel und Emmanuel Macron das Leben schwer.
Bei dem Brüsseler Marathongipfel wächst die Empörung über die Blockadehaltung des niederländischen Premiers. Wie groß der Frust über die Blockadehaltung des Niederländers ist, zeigen die Äußerungen des französischen Präsidenten Macron. Beim Arbeitsessen in großer Runde hatte Macron den Niederländer und den österreichischen Kanzler Sebastian Kurz als „die neuen Briten“ bezeichnet. Die beiden Länder hätten sich offenbar entschlossen, die Rolle des strukturellen Blockierers vom Vereinigten Königreich zu übernehmen, sagten EU-Diplomaten.
Der 53-jährige Rutte lehnte bereits vor dem Gipfel den von Deutschland und Frankreich vorgeschlagenen Plan ab, den Wiederaufbaufonds in der Coronakrise größtenteils als nicht rückzahlbare Zuschüsse an besonders betroffene Länder wie Italien und Spanien auszuzahlen.
Schon am Samstag kam deshalb EU-Ratspräsident Charles Michel auf Ruttes Druck mit einem Kompromissvorschlag seinen Forderungen entgegen. Der Vermittlungsversuch sieht vor, das Volumen der Zuschüsse deutlich zu verringern. Er zeigt außerdem, wohin die Reise aufgrund der harten Haltung Ruttes geht: Die Niederlande übernehmen auf dem Gipfel die Rolle Großbritanniens nach dem Brexit und setzen auf lange und harte Verhandlungen.
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Doch im Gegensatz zu Politikern in London ist Rutte zum Kompromiss fähig. Das wissen auch seine Landsleute und nennen ihn deshalb gerne „Herr Silikon“. Ähnlich wie das Material ist er biegsam und anpassungsfähig. Auch seine sonst so bescheidene Art kommt an.
Um klare Worte nie verlegen
Noch immer telefoniert der fröhliche Politiker mit seinem alten Nokia-Handy und steuert – wenn nicht auf dem Fahrrad – mit seinem betagten Saab durch die Lande. „Ich habe nie wirklich gelernt, schnell auf einem iPhone zu tippen“, bekennt er. „Also telefoniere ich und sende Textnachrichten auf Nokia.“
Um klare Worte ist der smarte Politiker, der seine Berufslaufbahn einst beim Konsumgüterkonzern Unilever begann, nie verlegen. Als er beim Besuch eines Supermarkts in seiner Heimatstadt Den Haag nach Versorgungsengpässen beim Klopapier gefragt wurde, antwortete er direkt: „Es gibt so viel Vorrat, dass wir zehn Jahre kacken können.“ Damit hatte er die Sympathien auf seiner Seite – mal wieder.
Hinter seinem fröhlichen Wesen verbirgt sich aber auch ein beinharter Verhandler, der unbequeme Wahrheiten offen ausspricht und nicht so leicht zu bezwingen ist, wie die Gipfelverhandlungen in den letzten Tagen zeigen.
In den Niederlanden punktet er mit seinem rechten Kurs in der Finanzpolitik. Der gelernte Historiker weiß sehr genau, dass seine Landsleute die historisch einmalige Summe, über die momentan noch verhandelt wird, nicht in diesem Umfang ohne Bedingungen verschenken wollen. Deshalb bietet er Merkel und Macron seit Tagen die Stirn, verhindert zusammen mit den „Sparsamen Fünf“ eine schnelle Einigung und erzwingt Kompromisse von Michel.
Allein damit hat der Niederländer bereits einen Sieg eingefahren, auch wenn das Ergebnis der Finanzverhandlungen von rund 1,8 Billionen Euro noch offen ist. Kein Wunder also, dass Rutte schon am Morgen mit einem siegesgewissen Lächeln aus seinem Bus ausstieg und über den roten Teppich zu den Verhandlungen schritt.
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Die Rechtsstaatlichkeit ist eine Pflicht! Die Prüfung der Verwendung von EU-Mitteln ebenfalls. Diese Prüfung muss den Netto-Zahlern ein ausreichendes Mitspracherecht geben.
Ein kleiner Hinweis: Es gibt Länder, in denen Steuerhinterziehung ein Volkssport ist. Die betroffenen Nationen sind beim Steueraufkommen benachteiligt. Hier muss zunächst eine nachweisbare Besserung eintreten.
Ein besonderes Beispiel ist Italien. Ein Handelsblatt-Artikel hat das Problem beschrieben. Vereinfacht: Der Staat ist arm, der Bürger kann sich mit seinem Vermögen durchaus mit dem deutschen Bürger messen.
Das macht nachdenklich. Es zeigt auf, wo man ansetzen muss, bevor die EU-Milliarden fliessen. Herrn Rutte wünsche ich viel Standvermögen.
Im Übrigen stimme ich Herrn Zekert voll zu
Wäre jetzt nicht die Gelegenheit, die Wiedereinführung der Rechtstaatlichkeit in Ungarn und Polen genauso wie das Thema Steueroasen in der EU mit dem Corona-Paket und dem künftigen EU-Haushalt zu verknüpfen?
Meiner Meinung nach hat die EU in der jetzigen Form und Zusammensetzung keine Zukunft. Daher sollten die EU-Willigen gemeinsam austreten und eine Nachfolgerorganisation mit weitreichenden Rechten der Wähler gründen.