Österreich Verdacht auf Bestechung, Bestechlichkeit und Untreue – Sebastian Kurz' Partei unter Druck

Im Visier der Justiz waren unter anderem die Arbeitsplätze des Sprechers und des Medienbeauftragten von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP).
Wien Gerüchte, dass sich über Österreichs Regierungspartei ÖVP und Bundeskanzler Sebastian Kurz ein neuerliches Gewitter zusammenbraut, gab es seit September. Am Mittwochmorgen war es so weit: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) rückte an, um im Kanzleramt, in der ÖVP-Zentrale, im Finanzministerium und in einem Medienhaus Materialien zu sichern.
Sie suchten Mails aus der Zeit seit Anfang 2016 sowie Datenträger, Server, Handys und Laptops. Betroffen war der engste Kreis um Kurz – etwa ein Pressesprecher, sein Medienberater und sein Chefstratege. Kurz selbst wies den Korruptionsverdacht zurück. „Ich bin überzeugt davon, dass sich auch diese Vorwürfe schon bald als falsch herausstellen werden“, sagte der konservative Politiker (ÖVP) dem Sender ORF.
Er warf den Ermittlern vor, Chatnachrichten aus dem Zusammenhang zu reißen oder falsch darzustellen. „Und dann wird drumherum ein strafrechtlicher Vorwurf kreiert.“ Bundespräsident Alexander Van der Bellen sprach angesichts der Hausdurchsuchungen von einem sehr ungewöhnlichen und schwerwiegendem Vorgang.
Die Geschichte ist verworren, wirft aber ein Schlaglicht auf Österreichs politische Kultur und das „System Kurz“. Die Staatsanwaltschaft verdächtigt die ÖVP, sich bei der Mediengruppe Österreich Berichterstattung „erkauft“ zu haben.
Kurz soll laut Anklagebehörde ab April 2016 als damaliger Außenminister daran mitgewirkt haben, mit durch Steuergelder finanzierten Inseraten Einfluss auf redaktionelle Inhalte zu nehmen. Es geht um Umfragen zum politischen Geschehen, die in den Publikationen veröffentlicht wurden und vom Finanzministerium angeblich bezahlt worden seien.
Die WKStA glaubt, dass diese Umfragen einzig dem Zweck gedient hätten, Kurz und die ÖVP gut aussehen zu lassen. Sie seien „ausschließlich parteipolitisch“ motiviert gewesen. Daraus leitet die Behörde den Verdacht der Bestechung, der Bestechlichkeit und der Untreue ab.
Die stellvertretende ÖVP-Generalsekretärin Gabriela Schwarz sprach in einer Mitteilung von falschen Anschuldigungen. „Das passiert immer mit demselben Ziel und System: die Volkspartei und Sebastian Kurz massiv zu beschädigen“, sagte sie. Es gehe den Ermittlern offenbar um einen „Showeffekt“.
ÖVP-Fraktionschef August Wöginger kündigte Widerstand an. „Wir werden hier mit aller Kraft dagegenhalten, sowohl auf der politischen als auch auf der juristischen Ebene.“
Oppositionsparteien fordern Kurz zum Rücktritt auf
Die Nachricht hat das ohnehin schwer angeschlagene politische System Österreichs erneut erschüttert. Kaum hatte sich die Meldung herumgesprochen, forderten die politischen Kontrahenten des Bundeskanzlers, FPÖ und SPÖ, dessen Rücktritt. Die Grünen, als Partner der ÖVP seit Januar 2020 mit in der Koalition, hatten stets betont, dass mit ihnen nur eine „saubere Politik“ möglich sei.
Dabei gilt Kurz bereits als „Beschuldigter“ in einem anderen Verfahren der WKStA. Im Mai war bekannt geworden, dass gegen den Kanzler und dessen Kabinettschef Bernhard Bonelli ermittelt werde. Beide werden verdächtigt, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss über die Hintergründe einer Stellenbesetzung falsch informiert zu haben. Im Raum steht Österreichs altes Übel des Postengeschachers.
Chatprotokolle illustrieren in diesem Fall, wie es Thomas Schmid, einem ehemaligen Generalsekretär im Finanzministerium, gelungen war, sich den Chefposten bei der staatlichen Beteiligungsfirma Öbag gleichsam zuzuschneiden. Die Frage ist, ob Kurz in die Vorgänge involviert war und er über sein Engagement die Wahrheit sagte.
Der Kanzler sagte im Ausschuss, dass er über die Nominierung Schmids zwar informiert, aber nicht in sie eingebunden gewesen sei. Aufgrund von Chatprotokollen glaubt die WKStA, dass Kurz mehr mit der Ernennung Schmids zu tun hatte, als er im Ausschuss sagte.
Klagen die Staatsanwälte Kurz an?
Anfang September musste Kurz dazu eine über fünfstündige Befragung durch einen Richter über sich ergehen lassen. Gespannt wartet ganz Österreich nun darauf, ob die Staatsanwälte Kurz anklagen werden. Das dürfte sich bald entscheiden.
Typisch für Österreich und eines Rechtsstaates eigentlich unwürdig ist, dass es sowohl zur jüngsten Hausdurchsuchung als auch zu den Ermittlungen im Mai schon vorab Indiskretionen gab. Denn wenn Verdächtige im Voraus von Ermittlungen Wind bekommen, können sie erstens Dokumente verschwinden lassen. Und Politiker sollten nicht aus den Medien erfahren, dass gegen sie Ermittlungen laufen.
Mit Agenturmaterial
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