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Ostseepipeline Letztes Rohr verschweißt: Nord Stream 2 ist fertiggestellt

Der Bau der Ostseepipeline ist abgeschlossen. Gazprom will Nord Stream 2 noch 2021 in Betrieb nehmen – doch die Gegner geben nicht auf.
06.09.2021 - 14:35 Uhr 6 Kommentare
Rohre für die Ostseepipeline: Ab Oktober soll dadurch Gas geliefert werden. Quelle: Reuters
Nord Stream 2

Rohre für die Ostseepipeline: Ab Oktober soll dadurch Gas geliefert werden.

(Foto: Reuters)

Brüssel, Berlin Das letzte Rohr der umstrittenen Ostseepipeline Nord Stream 2 ist verschweißt worden. Es werde anschließend auf den Meeresboden abgesenkt und schließlich mit dem anderen Ende verbunden, teilte die Nord Stream 2 AG am Montag mit. Erwartet wird, dass der russische Gasmonopolist Gazprom im Oktober mit den Gaslieferungen nach Deutschland beginnt.

Um die Fertigstellung der Gasleitung hat jahrelang eine geopolitische Schlacht getobt. Nun endet der Kampf – und ein neuer beginnt: der Kampf um die Inbetriebnahme und die rechtliche Zertifizierung.

Die Gegner der Pipeline hoffen, dass die neue Bundesregierung, eine Klage der Deutschen Umwelthilfe und strenge regulative Vorgaben aus Brüssel das Projekt doch noch zum Scheitern bringen. Ein Urteil, nach dem sich Nord Stream 2 den verschärften Auflagen der vor zwei Jahren beschlossenen EU-Gasmarktrichtlinie unterwerfen muss, macht ihnen Mut.

Doch der russische Energiekonzern Gazprom, Eigentümer der Pipeline und der Betreibergesellschaft Nord Stream 2 AG, zeigt sich siegessicher: „Vor Jahresende, während der Heizperiode, können wir das erste Gas durch die Nord-Stream-2-Pipeline auf den europäischen Markt liefern“, sagt Gazprom-Chef Alexej Miller.

Ein Grund für die russische Zuversicht könnten die Vorbereitungen sein, die Moskau getroffen hat, um das Machtspiel um die Pipeline in seinem Sinne zu entscheiden. Seit Wochen warnen Experten, dass Gazprom Gaslieferungen nach Europa verknappt. So hat der russische Staatskonzern für September nur vier Prozent der zusätzlichen Leitungskapazität gebucht, die ihm für den Export durch die Ukraine zur Verfügung standen.

Taktiert Russland oder sind es die Kräfte des Marktes?

Die Gaspreise in Europa sind schon kräftig gestiegen. Doch je nachdem wen man fragt, fallen die Begründungen für den Preisanstieg unterschiedlich aus. Gasmarktexperten verweisen darauf, dass es nach einem coronabedingten Rückgang der Gasnachfrage im Frühjahr 2020 in diesem Jahr auf den größten europäischen Märkten zu einem starken Wachstum der Nachfrage gekommen sei.

Hinzu kommt, dass China in den ersten fünf Monaten 2021 im Vergleich zum Vorjahr 25 Prozent mehr Gas eingeführt hat. Nach einem milden Winter 2019/20 folgte zudem ein vergleichsweise harter Winter 2020/21. In diesem Frühjahr und Sommer mussten deshalb Speicher weltweit gefüllt werden. Und dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Russland verweist zusätzlich auf Produktionsprobleme. Von einer künstlichen Verknappung kann bei dieser Sichtweise nicht die Rede sein.

Die Gaspreise in Europa sind kräftig gestiegen. Experten meinen, Gazprom nutze die angespannte Marktsituation als Druckmittel. Quelle: Reuters
Russisches Verlegeschiff vor der Insel Poel (Archivbild)

Die Gaspreise in Europa sind kräftig gestiegen. Experten meinen, Gazprom nutze die angespannte Marktsituation als Druckmittel.

(Foto: Reuters)

Kritiker der Ostseepipeline lassen diese Deutung allerdings nicht gelten. Nach ihrer Überzeugung ist die angespannte Marktsituation Folge strategischen Kalküls der Russen. Die Kritiker verweisen dazu auf Aussagen des Gazprom-Managements. Man werde „mit der Inbetriebnahme von Nord Stream 2 in der Lage sein, den zusätzlichen Bedarf zu decken“, hatte Gazproms Exportchefin Elena Burmistrowa im Mai gesagt – obwohl sich die Versorgungslage schon jetzt über die bestehenden, durch die Ukraine führenden Pipelines verbessern ließe.

„Es besteht kein Zweifel daran, dass Gazprom Nord Stream 2 als Druckmittel einsetzt“, schlussfolgert Alan Riley, Energieexperte des Atlantic Council. Für ihn steht fest: Moskau will die Angst vor Versorgungsengpässen schüren, um die Europäer davon abzubringen, der Pipeline weitere Hürden in den Weg zu legen. Die „angespannte Marktsituation“ könnte sich „zugunsten einer schnellen technischen Zertifizierung und eines baldigen (vorläufigen) Betriebs von Nord Stream 2 auswirken“, schreibt die Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik.

Es ist kein Geheimnis, dass Gazprom die regulativen Vorschriften der EU umgehen will. Die Russen sehen die Gasrichtlinie als eine „Lex Nord Stream 2“, eine illegale Spezialgesetzgebung, die eine „diskriminierende Wirkung“ habe.

Doch die Versuche der Nord Stream 2 AG, sich dem Geltungsbereich der Gasrichtlinie zu entziehen, scheiterten bisher. Ende August hat das Oberlandesgericht in Düsseldorf eine Beschwerde der Projektgesellschaft gegen die Bundesnetzagentur zurückgewiesen, die sich in Deutschland um die Umsetzung der Gasrichtlinie kümmern muss.

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Gazprom erwägt, in Berufung zu gehen, und hat zudem ein Schiedsgerichtsverfahren gegen die EU auf Basis der umstrittenen „Energiecharta“ eingeleitet – Ausgang offen. „Das Konsortium versucht mit allen Mitteln, die Anwendung des europäischen Rechts zu verhindern“, kritisiert der Grünen-Politiker Reinhard Bütikofer.

Die Bestimmungen der Gasrichtlinie gelten für Pipelines, die aus Drittstaaten in die Europäische Union führen und nach 2019 gebaut wurden. Die Regelung schreibt eine Entflechtung vor, was bedeutet, dass Erdgasproduzenten und Pipelinebetreiber voneinander getrennt sein müssen. Außerdem müssen Drittanbieter Zugang zur Leitung erhalten.

Vieles hängt an Brüssel

Diese Anforderungen gelten allerdings nur für jenes Teilstück der Pipeline, das durch deutsche Hoheitsgewässer verläuft. So, wie die Bundesnetzagentur die EU-Vorgaben interpretiert, dürften sie für Gazprom durchaus zu erfüllen sein, auch wenn dies Zeit und Geld kosten würde. Eine andere Frage ist, ob sich Brüssel, das Nord Stream 2 wesentlich kritischer bewertet als die deutschen Behörden, damit zufriedengibt. Gut möglich, dass erst ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs in einigen Jahren die Unklarheiten beseitigt.

Bis dahin ist davon auszugehen, dass Entflechtung nicht zwingend bedeuten muss, dass Gazprom die Pipeline verkauft, eine konzerninterne Umstrukturierung könnte genügen. Der Zugang von Drittanbietern wiederum ließe sich womöglich mit einer „virtuellen Einspeisung“ sicherstellen. Wenn an einem bestimmten Punkt der Leitung ein Teil des Gases von einer russischen auf eine europäische Firma übertragen wird, könnte die Vorgabe erfüllt sein.

Die Ostseepipeline belastete lange Zeit das Verhältnis zwischen Deutschland und den USA. Quelle: dpa
Nord Stream 2

Die Ostseepipeline belastete lange Zeit das Verhältnis zwischen Deutschland und den USA.

(Foto: dpa)

Von der Nord Stream 2 AG heißt es, man halte „uneingeschränkt“ an der „Rechtsposition zur Änderung der Gasrichtlinie“ fest, beschäftige sich mit allen Optionen. Als „reine Vorsichtsmaßnahme“, wie ein Firmensprecher betont, hat die Nord Stream 2 AG bei der Bundesnetzagentur beantragt, als „unabhängiger Übertragungsnetzbetreiber“ zertifiziert zu werden.

Dieses Verfahren könnte sich noch mehrere Monate hinziehen, da auch die EU-Kommission einbezogen werden muss. Daraus zu schließen, dass auch die Pipeline frühestens 2022 befüllt werden kann, wäre aber falsch.

Ein Sprecher der Bundesnetzagentur erläutert: „Die Bundesnetzagentur entscheidet nicht über die Aufnahme des Betriebs, sondern prüft die regulierungsrechtlichen Fragen, zum Beispiel die Einhaltung der Entflechtungsregeln.“

Die Genehmigung der Betriebsaufnahme erfolge durch die zuständigen Behörden in Mecklenburg-Vorpommern. „Sollten zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme die entflechtungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sein, so kann die Bundesnetzagentur dies als Ordnungswidrigkeit ahnden.“ Sprich: Gazprom könnte die Pipeline schon vor Abschluss der Zertifizierung in Betrieb nehmen und würde allenfalls ein Bußgeld riskieren.

Trotz dieser für Pipeline-Gegner trüben Aussichten ist der Widerstand gegen das Projekt ungebrochen – in Osteuropa, im EU-Parlament und in Teilen der Kommission. In Deutschland lehnen vor allem die Grünen Nord Stream 2 ab. Je besser die Grünen bei den Bundestagswahlen abschneiden, desto schwieriger wird es für Gazprom.

Gazprom gibt Fertigstellung von Nord Stream 2 bekannt

Letzte Hürde: Die neue Bundesregierung

Doch die Gasleitung lässt sich politisch nicht einfach abklemmen. Gazprom und die an der Finanzierung des Projekts beteiligten europäischen Energiefirmen könnten Schadensersatz beanspruchen.

Welche Möglichkeiten bleiben den Gegnern der Pipeline also? „Die nächste Bundesregierung könnte dem Projekt die politische Unterstützung entziehen“, sagt Grünen-Politiker Bütikofer. Das klingt gemessen an den in den vergangenen Monaten immer wieder erhobenen Forderungen nach einem Baustopp zwar erst einmal ziemlich dürftig, könnte allerdings weitreichende Folgen haben. 

Wenn die Bundesregierung von Nord Stream 2 abrückt, muss die EU-Kommission keinen Konflikt mit Deutschland mehr fürchten und dürfte eher geneigt sein, die Gasmarktvorschriften in voller Strenge anzuwenden. 

Möglicherweise würde auch die US-Regierung, die im Juli aus Rücksicht auf die Bundesregierung Sanktionen ausgesetzt hatte, zu neuen Wirtschaftsstrafen greifen. Und schließlich könnte sich die Neubewertung in Berlin auf das Verfahren der Deutschen Umwelthilfe auswirken, die vor Gericht „eine Rücknahme der Bau- und Betriebsgenehmigung“ für Nord Stream 2 erstreiten will.

Mehr: Sieben Hürden, an denen Nord Stream 2 noch scheitern könnte

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6 Kommentare zu "Ostseepipeline: Letztes Rohr verschweißt: Nord Stream 2 ist fertiggestellt"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • "Europa ringt um Genehmigung"
    Das ist völlig irreführend.Europa ringt um die Nichtgenehmigung.

  • Die Energiesicherung braucht vor allem Diversitaet - das ist NS2 eine wichtige Stuetze
    nachdem man Kernenergie und Kohle abschaltet.

  • Ich glaube die Merkel war ein Doppelagent und hat alles für
    die Energiewende vorbereitet.

  • Hier in Bayern gibt es auch paar nagelneue Gaskraftwerke die so gut wie nicht laufen.
    Die kann man schnell hochfahren. Sind gute Sicherheit für die Spannung.
    Deshalb bereit weil ihr es seid!

  • @Herr Axel Braun
    Herrlich Ihr Kommentar!
    Es ist schon etwas jenseits der Realität, wenn man den Grünen, den ideologischen Dogmatikern glauben soll, dass man auch ohne Kernkraft, ohne Kohle und ohne Gas hier in Deutschland leben und produzieren kann - früher hieß es mal
    "Bei uns kommt der Strom aus der Steckdose"
    "Der letzte mach das Licht aus"
    inzwischen scheint es soweit zu sein - es wird zappen duster in Deutschland und wir alle müssen dann auf Netflix verzichten - finde ich irgendwie gut - mag irgendwie Netflix nicht - ich glaube, ich wähle doch die Grünen!

  • Umstritten oder nicht - wenn kommendes Jahr die letzten Kernkraftwerke abgeschaltet werden dürfte Nordstream 2 die letzte Chance auf eine geheizte Bude mit Netflix abends sein...

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