Pandemie Zweite Corona-Welle in Israel: Netanjahu hat viel Vertrauen verspielt

Die Umfragewerte des Premiers sinken.
Tel Aviv Bis vor wenigen Wochen galt Israels Kampf gegen Sars-CoV-2 als vorbildlich und wurde weltweit gepriesen. Doch jetzt liefert der Musterschüler von gestern reichlich Anschauungsmaterial für Fehler, die zu vermeiden sind: Die Regierung hat zu früh und ohne Strategie gelockert, zudem wegen politischer Querelen wertvolle Zeit verloren. Jetzt wird Israel als eines der ersten Länder von einer zweiten Welle erfasst. Der Anstieg der Fallzahlen gehört derzeit zu den höchsten weltweit.
Die Regierung hat das öffentliche Leben deshalb erneut stark eingeschränkt. Bars, Klubs, Theater, Hochzeitshallen, Konzertsäle, Schwimmbäder und Fitnesscenter sind seit Beginn dieser Woche wieder geschlossen. Die Einhaltung der Maskenpflicht wird fortan mit einem erhöhten Polizeiaufgebot kontrolliert, und die Buße für Maskenverweigerer wurde auf umgerechnet 130 Euro erhöht.
Die Neuinfektionen in Israel sind auf einen Rekordwert gestiegen. Das Gesundheitsministerium des Landes teilte am Mittwoch mit, dass am Dienstag 1320 Fälle gemeldet wurden – so viele wie nie zuvor an einem Tag seit Ausbruch der Pandemie. Insgesamt wurden in Israel bislang mehr als 32.700 Infizierte registriert.
Sollten die Fallzahlen weiter in die Höhe schnellen, droht Premier Benjamin Netanjahu mit zusätzlichen Einschränkungen. Israel könnte dann weltweit zu den ersten Ländern zählen, die ein zweites Mal mit einem totalen Lockdown konfrontiert sind.
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Experten kritisieren, dass die Lockerung der Corona-Maßnahmen zu schnell und ohne Strategie erfolgt sei. So wurden zum Beispiel Mitte Mai die Schulen und Kindergärten nicht schrittweise, sondern gleichzeitig geöffnet, und es war versäumt worden, Vorschriften wie die Maskenpflicht durchzusetzen. Die Schulen mutierten dadurch zu Virenschleudern.
Ansteckungsgefahr lässt sich geografisch nicht eingrenzen
Im Gegensatz zur ersten Welle ist es den Behörden nicht gelungen, die Ansteckungsketten zu identifizieren und zu unterbrechen. Zudem lässt sich dieses Mal die Ansteckungsgefahr geografisch nicht eingrenzen, da jetzt das ganze Land vom Virus heimgesucht wird.
Weil sich zahlreiche Politiker, darunter auch Netanjahu und der frühere Gesundheitsminister, über die Coronavorschriften hinweggesetzt hatten, haben sie wichtiges Vertrauenskapital in der Bevölkerung verspielt.
Das könnte für Netanjahu politische Folgen haben. Nur ein Drittel gibt in einer Umfrage an, mit dem finanziellen Management des Premiers zufrieden zu sein. Anfang Mai war diese Frage noch von 53 Prozent positiv beantwortet worden. Fast eine ebenso schlechte Note erhält Netanjahu für seine gesundheitspolitische Leistung. Mit ihr sind laut Umfrage 62 Prozent unzufrieden, 20 Prozentpunkte mehr als Anfang Mai.
Der Präventivmediziner Gabi Barbash aus Tel Aviv wirft der Regierung vor, die Krise schlecht gemanagt zu haben. Sie habe beispielsweise Ende April Versammlungen unnötig früh zugelassen und damit das Ansteckungsrisiko erhöht. Sobald mehr als zehn oder 15 Personen zusammen sind, werde es gefährlich, sagt Barbash.
Zudem habe es Israel vernachlässigt, verlässliche und effiziente Testmethoden zu applizieren. Es dauere zu lange, bis entsprechende Resultate vorliegen, womit das Risiko einer Ansteckung erhöht werde.
Die Folgen des Lockdowns während der ersten Welle haben mehrere Hunderttausend Bürger in die Armut getrieben. Anfang März herrschte Vollbeschäftigung, und die Wirtschaft florierte. Inzwischen hat jeder Vierte seinen Job verloren, und Kleinunternehmer mussten Konkurs anmelden. Laut Oppositionsführer Yair Lapid werde es zu „Gewalt auf den Straßen“ kommen, wenn die wirtschaftliche Not nicht mit einem Ausbau der finanziellen Hilfen für Arbeitslose und Unternehmer gemildert werde.
Mehr: Die Fallzahlen in Israel steigen wieder – vor allem in den Schulen.
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