Parlamentswahl Wie radikal sind die spanischen Rechtsextremen?

Der Chef der rechtsextremen Vox-Partei will die EU nicht verlassen, aber wehrt sich gegen eine engere Partnerschaft der Mitgliedsländer.
Madrid Spanien gehörte bis vor kurzem zu den ganzen wenigen Ländern in Europa, in deren Parlamenten noch keine Rechtsradikalen vertreten waren. Doch im vergangenen Dezember hat sich das geändert – da zog die rechtsradikale Partei Vox in das andalusische Regionalparlament ein. Stimmen die Umfragen, wird sie auch bei der nationalen Wahl an diesem Sonntag erfolgreich sein. Ein Blick auf ihr Wahlprogramm und Äußerungen des Parteichefs Santiago Abascal deuten darauf hin, dass sie am ehesten den ungarischen Nationalisten rund um Viktor Orbán nahestehen.
„Vox hat nicht viel mit den rechtsradikalen Parteien Nordeuropas gemein“, sagt José Fernández Albertos, Politologe am Forschungszentrum für Sozial- und Humanwissenschaften (CSIC) in Madrid. „Die Partei spricht nicht für diejenigen, die von der Globalisierung benachteiligt sind, die Wirtschaft spielt eine untergeordnete Rolle in ihrem Programm.“
Der inhaltliche Kern von Vox ist die Verteidigung der nationalen Einheit Spaniens. Grund für den Aufstieg der Partei, die bei den Parlamentswahlen 2016 gerade einmal auf 0,2 Prozent der Stimmen kam, ist der Aufstand der katalanischen Separatisten. Sie haben Spanien im Oktober 20017 mit einem illegalen Referendum in eine schwere Verfassungskrise gestürzt.
Viele Spanier haben dem damaligen konservativen spanischen Ministerpräsidenten Rajoy vorgeworfen, die Zwangsverwaltung Kataloniens nach Artikel 155 der Verfassung erst viel zu spät aktiviert zu haben. „Die Unzufriedenheit der konservativen Wähler war der perfekte Nährboden für Vox“, sagt der Politologe Pablo Simón, Politologe an der Madrider Universität Carlos III. „Kein Land ist gegen rechtsaußen immun.“
Vox-Mitgründer Abascal ist im Baskenland aufgewachsen. Sein Vater und Großvater waren dort als konservative Politiker aktiv und wurden von der Terrororganisation ETA bedroht, die für ein unabhängiges Baskenland kämpfte.
Der 43-Jährige hat nun den Kampf gegen jede Autonomiebestrebung zum Kern seiner Politik gemacht. „Katalanische Brüder, die Rückeroberung hat begonnen“, rief er Tausenden von Anhängern Ende März in Barcelona zu. „Spanien wird weder diskutiert noch dialogisiert, die Einheit Spaniens wird bis zur letzten Konsequenz verteidigt.“
Abascal geht für die Lösung des Katalonien-Konflikts weiter als alle anderen Parteien. Er will Spanien, das heute aus 17 Regionen mit weit reichenden Kompetenzen besteht, wieder zu einem politisch zentralisierten Staat machen. Regionalparlamente sowie Regionalgerichte will er abschaffen. Parteien, Vereine und Nichtregierungsorganisationen, die für die Trennung eines Territoriums von Spanien eintreten, will er verbieten und nationale Symbole wie die spanische Flagge, die Nationalhymne oder die Krone besonders schützen.
Parallelen zu Viktor Orbán
Diese Einschränkungen der demokratischen Rechte sowie die Verteidigung von Nationalsymbolen erinnern an den ungarischen Ministerpräsidenten Orbán. Der bemüht gerne den Ausdruck der „illiberalen Demokratie“ für seine Politik. Die amerikanische Denkfabrik „Freedom House“ hat Ungarn dieses Jahr zum ersten Mal nur als „teilweise freies“ Land eingestuft. Sie beschuldigt Orbáns Partei Fidesz, „eine Politik in Gang zu setzen, die die Arbeit von Oppositionsgruppen, Journalisten, Universitäten und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) behindert, deren Haltungen sie für ungünstig hält.“
Auch was die Pressefreiheit angeht, nimmt sich Abascal ein Beispiel an Ungarn. Vox hatte in Spanien eine WhatsApp-Gruppe für Journalisten gegründet, in der die Partei über ihre Versammlungen und Termine informierte. Nachdem einige Medien über eine irrtümlich an diese Gruppe gesendete interne Information von Vox berichtet hatten, schmiss die Partei sie kurzerhand aus der Gruppe.
Mit Blick auf Europa hält sich Abascal stärker als andere rechtsradikale Parteien mit Tiraden gegen Brüssel zurück. Die würden in Spanien auch nicht gut ankommen, denn die EU-Institutionen und das gesamte Konstrukt Europa genießen dort ein hohes Ansehen.
„In Bezug auf Europa sagen wir ja zu Europa, aber nicht so. Vox schlägt nicht vor, die Europäische Union zu verlassen, aber wir wollen auch nicht die Vereinigten Staaten von Europa“, sagte Abascal Ende vergangenen Jahres in einem Interview. Marine Le Pen hatte dagegen jahrelang den Austritt Frankreichs aus dem Euro gefordert. Allerdings hat selbst sie jüngst davon Abschied genommen und vor einigen Tagen angekündigt, die EU müsse „von innen heraus“ verändert werden.
Was genau Vox für Europa fordert, ist unklar. Anfragen des Handelsblatts ließ die Partei unbeantwortet. Ein konkreter Hinweis findet sich aber in ihrem Wahlprogramm. Darin fordert Vox, den Schengen-Raum abzuschaffen, bis „eine europäische Garantie existiert, dass Kriminelle ihn nicht nutzen werden, um vor der Justiz zu flüchten (so wie es die separatistischen Putschisten gemacht haben) und nicht die Mafias der illegalen Einwanderung von ihm profitieren“.
Gemeint ist die Flucht des abgesetzten katalanischen Regierungschefs Carles Puigdemont samt der Hälfte seiner ehemaligen Minister kurz nachdem sie 2017 die katalanische Republik ausgerufen hatten. Spanien klagte sie wegen Rebellion an, in Deutschland wurde Puigdemont festgenommen als er auf der Durchreise war. Ein deutsches Gericht sprach ihn aber später wegen der Anklage auf Rebellion frei. Unterdessen sitzt die zweite Hälfte seiner ehemaligen Regierung in Spanien in Untersuchungshaft und verantwortet sich gerade vor Gericht.
Der spanische Politologe Guillem Vidal von der Universität München geht davon aus, dass die junge Partei Vox jenseits des klar definierten Kampfes gegen den Separatismus und für spanische Traditionen wie den Stierkampf andere Themen erst noch antestet. „Sie haben gesehen, dass es in Europa einen Raum für Parteien gibt, die gegen die politische Korrektheit verstoßen“, erklärt er. „Vox versucht deshalb, mit den absurdesten radikalen Vorschlägen Aufmerksamkeit zu erzielen, um zu gucken, was funktioniert.“
Ein Beispiel ist Abascals Forderung nach Waffenbesitz für Spanier. Ende März erklärte er, jeder Spanier solle zur eigenen Verteidigung eine Waffe besitzen und damit sein Leben verteidigen dürfen, „ohne sich damit einer juristischen Hölle aussetzen zu müssen“.
Ähnlichkeiten mit den großen europäischen Rechtsextremen bestehen vor allem bei den Themen Migration und Islam. Spanien war 2018 das Land, in dem die meisten illegalen Einwanderer angekommen sind. In seinem Wahlprogramm fordert Vox ihre „Deportation“. Jedem, der illegal nach Spanien eingereist ist, soll lebenslang das Recht verwehrt bleiben, eine legale Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. Die Strafen gegen Schleuser, die den Migranten die Überfahrt von Afrika nach Europa ermöglichen, sollen verschärfte werden und auch für diejenigen gelten, die mit ihnen zusammenarbeiten – etwa Hilfsorganisationen.
Inspiriert von Donald Trump
Diese Position erinnert an den italienischen Innenminister Matteo Salvini, der den Schiffen von Hilfsorganisationen mit geretteten Migranten das Anlegen an italienischen Häfen verweigert. „Mir gefällt, was Salvini mit der Immigration macht“, sagte Abascal im vergangenen Jahr. Aber auch bei US-Präsident Donald Trump nimmt sich Abascal ein Beispiel und fordert den Bau einer Mauer um die beiden spanischen Enklaven in Afrika, Ceuta und Melilla. Nach den Terrorattentaten in Barcelona im Sommer 2018 forderte er, „fundamentalistische Moscheen zu schließen“ und Imame, die den Dschihaddismus nicht verurteilen, des Landes zu verweisen.
Und doch: „Das Thema Einwanderung steht bei Vox nicht im Zentrum“, meint Politologe Albertos und vermutet die fehlende Tendenz zur Fremdenfeindlichkeit in Spanien als Grund dafür. Das Land hat in den Boomjahren bis zur Wirtschaftskrise 2008 Millionen von Einwanderern aufgenommen, die vor allem als südamerikanischen Ländern kamen und sich entsprechend leicht integrierten.
Abascal bleibt damit beim Thema Islam deutlich hinter dem niederländischen Rechtsextremen Geert Wilders zurück, der im Wahlkampf 2017 forderte, alle Moscheen und islamische Schulen zu schließen und den Koran sowie das öffentliche Tragen von Kopftüchern zu verbieten. Auch die deutsche AfD ist in dem Punkt wesentlich radikaler als Abascal und behauptete etwa im Bundestageswahlkampf 2017 auf Plakaten „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“.
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