Pedro Castillo Perus neuer Präsident ist ein politisch unerfahrener Außenseiter – kann das gutgehen?

„Eine neue Zeit hat begonnen“, schrieb der neue Präsident Perus, Pedro Castillo, auf Twitter zu einem Bild von sich mit erhobenen Armen.
Lima Sein Profil auf dem Nachrichtendienst Twitter hat der Peruaner Pedro Castillo schon um die Berufsbezeichnung „gewählter Präsident der Republik Peru (2021-2026)“ ergänzt. Noch steht zwar das offizielle Endergebnis aus. Doch der Sozialist hat sich nach der Stichwahl um das Präsidentenamt in Peru bereits zum Wahlsieger erklärt.
Castillo liegt nach Auszählung aller Stimmen hauchdünn in Führung: Er kommt auf 50,125 Prozent und liegt damit in dem rund 33 Millionen Einwohner zählenden Land nur 44,058 Stimmen vor seiner konservativen Rivalin Keiko Fujimori mit 49,875 Prozent, wie die Wahlkommission am Dienstag mitteilte.
„Eine neue Zeit hat begonnen“, schrieb Castillo auf Twitter zu einem Bild von sich mit erhobenen Armen. Für die Konservativen in Peru ist er ein Linkspopulist mit autoritären Ambitionen, so wie Hugo Chávez in Venezuela das war. Andere hoffen, dass sich Castillo im Amt zum Pragmatiker mäßigt, wie einige seiner linken Vorgänger, etwa der Ex-Oberstleutnant Ollanta Humalla.
Tatsächlich haben die Peruaner schon öfter in ihrer jüngeren Geschichte Außenseiter gewählt. Doch einen politisch völlig Unbekannten und Unerfahrenen wie Castillo als Präsidenten gab es noch nie. Außer als Gewerkschaftsführer hat der Lehrer noch nie ein politisches Amt ausgeübt. Vor rund 20 Jahren war er bei seiner bisher einzigen Kandidatur für ein Bürgermeisteramt in einer Kleinstadt gescheitert. Er hat bisher kaum Interviews gegeben.
Man kann auch nicht sagen, dass die Peruaner begeistert für den Außenseiter gestimmt haben. Im ersten Wahlgang entschieden sich gerade mal 15 Prozent aller Wahlpflichtigen für ihn. Castillos so überraschender wie knapper Wahlsieg zeigt, dass Peru nicht nur politisch gespalten, sondern auch regional, zwischen Stadt und Provinz.
Gewerkschafter und Indigener aus der Provinz
Zum ersten Mal hat mit Castillo ein Kandidat aus dem Landesinneren die Präsidentschaftswahlen gewonnen, der zweite überhaupt erst, der nicht aus der Hauptstadt Lima stammt. Sein politischer Aufstieg ähnelt dem seines Vorbilds Evo Morales in Bolivien. Der war auch als Gewerkschafter und Indigener aus der Provinz überraschend zum Präsidenten gewählt worden.
Der 51-jährige Castillo kommt aus Cajamarca, einer armen Andenregion nördlich von Lima, die im Norden an Ecuador angrenzt. Dort ist er auf einem Bauernhof mit sieben Geschwistern aufgewachsen. Die Eltern waren Analphabeten. Castillo arbeitete über 25 Jahre in der abgelegenen Gegend als Grundschullehrer.
Die Region Cajamarca dürfte Castillo neben seiner sozialen Herkunft auch aus zwei anderen Gründen politisch geprägt haben: Dort hat der spanische Eroberer Francisco Pizarro den letzten Inka-Herrscher Atahualpa festgenommen und hinrichten lassen. Danach brach das Inkareich zusammen und wurde zur Kolonie Spaniens. Dieses historische Trauma ist in der Region allgegenwärtig.
Im Wahlkampf kritisierte Castillo regelmäßig ausländische Unternehmen, die den Peruanern ihren Reichtum wegnehmen würden. Von den ursprünglichen Forderungen nach einer Enteignung der ausländischen Bergbaugesellschaften hat er sich zwar distanziert. Doch will Castillo neue Verträge und höhere Steuern aushandeln.
In- wie ausländische Bergbaukonzerne können kaum auf Entgegenkommen durch Castillo rechnen – auch dafür könnten dessen Erfahrungen in Cajamarca wichtig sein. Dort betreiben Unternehmen wie der US-Konzern Newmont Corporation sowie der peruanische Konzern Buenaventura mit Yanacocha seit fast zwei Jahrzehnten eines der größten Goldbergwerke weltweit. Es gab immer wieder Proteste wegen Umweltproblemen.
Vor knapp zehn Jahren kam es zu bürgerkriegsähnlichen Konflikten mit Einsatz des Militärs und Toten unter den Demonstranten. Dennoch gelang es den Einwohnern, Erweiterungen in Yanacocha sowie ein weiteres riesiges Minenprojekt (Conga) zu stoppen. Seitdem ist der Goldbergbau rückläufig in dieser Region.
Mit einer Verfassungsänderung zum Machtzuwachs
Im Wahlkampf und auch in den wenigen Äußerungen danach, wiederholte Castillo immer wieder, dass er eine Versammlung einberufen wolle, um die Verfassung zu ändern. In der Bevölkerung wird ein neues Grundgesetz, anders als in Chile etwa, nicht als Priorität gesehen.
Konservative fürchten, dass Castillo einen solchen Schritt dennoch versuchen könnte, um mit einer neuen Konstitution mehr Macht zu bekommen, so wie es Chávez in Venezuela oder auch Morales in Bolivien gemacht haben.
Der größte Teil seiner marxistisch-leninistischen Linkspartei „Peru Libre“ würde ihn dabei vermutlich unterstützen. Zwar hat er im Parlament nur 42 Abgeordnete auf seiner Seite. Aber es sind auch nur 66 Stimmen notwendig, um eine verfassungsgebende Versammlung einzuberufen. Ein neuer Gesetzestext müsste per Volksentscheid ratifiziert werden.
Den größten Widerstand wird Castillo im Parlament bekommen: Seine unterlegene Kontrahentin Keiko Fujimori hat dort großen Einfluss und Erfahrungen damit, Präsidenten aus dem Amt zu jagen oder das Leben schwer zu machen. Zumal Castillo keinerlei Erfahrungen im Umgang mit dem Kongress hat. In Peru haben sich in den letzten drei Jahren vier Präsidenten abgewechselt.
Gleichzeitig muss Castillo das Corona-Impfprogramm beschleunigen. Peru ist das Land mit der höchsten Sterberate in der Pandemie weltweit. 190.000 Peruaner sind an Folgen einer Corona-Infektion gestorben, drei Millionen Menschen sind in die Armut abgestiegen.
Die Bevölkerung ist zutiefst verängstigt durch die hohe Zahl an tödlich verlaufenden Viruserkrankungen. Zu Recht fühlt sie sich vom Staat vernachlässigt – was auch ein Grund für den Wahlsieg des Außenseiters Castillo war. Doch ob der so schnell Verbesserungen im Krisenmanagement anbieten kann, bleibt abzuwarten.
Angespanntes Verhältnis zur Wirtschaft
Auch das Verhältnis zur Wirtschaft dürfte angespannt bleiben: Zwar hat Castillo einige gemäßigte Ökonomen in sein Beraterteam berufen. Doch die Versuchung könnte groß für ihn sein, mit spektakulären Enteignungen seine Popularität hoch zu halten und seine Wähler sowie den radikaleren Flügel seiner Partei zufriedenzustellen. Kürzlich äußerte sich Castillo positiv über den linken Militärdiktator Juan Velasco Alvarado (1968 bis 1975). Der General hatte ausländische Konzerne enteignet und eine breite Landreform umgesetzt.
Mit solchen Maßnahmen würde Castillo an den Pfeilern des peruanischen Erfolgsmodells für die Wirtschaft sägen. Das besteht aus einer marktwirtschaftlichen Politik, starken Exporten und hohen Investitionen in die Rohstoffindustrie. Mit dem Modell sind auch die meisten Peruaner gut gefahren: Die Wirtschaft wuchs zwischen 2001 und 2016 5,6 Prozent jährlich. Die Armutsrate ist von 60 auf rund 20 Prozent gesunken.
Auch für 2021 sind die Aussichten gut, dass sich Peru nach dem schweren Wirtschaftseinbruch vom letzten Jahr (Minus elf Prozent) wieder erholen könnte. Einige Investmentbanken rechnen mit einem Wachstumsschub von bis zu 13 Prozent in diesem Jahr. Voraussetzung ist jedoch politische Stabilität. Doch die dürfte auch unter Castillo schwierig werden.
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