Indien Von Tee, Toilettenwasser und Therapiehunden

Hier wären dringend Veränderungen nötig: Ein überfüllter Zug in einem Bahnhof im indischen Allahabad steht sinnbildlich für Indiens mangelhaften Bahnverkehr.
Bangalore Wer an die Züge des Subkontinents denkt, hat wahrscheinlich als erstes die Bilder von überfüllten Waggons vor Augen, die nicht einmal auf den Dächern noch einen freien Platz bieten. Die chronische Unpünktlichkeit und die vielen Unfälle belasten das Verhältnis zwischen den Indern und dem Staatsbetrieb zusätzlich. Dass es im vergangenen Finanzjahr erstmals seit 35 Jahren weniger als 100 Unfälle gab, war unter diesen Voraussetzungen bereits eine Erfolgsmeldung.
Und wenn man denkt, es könnte kaum noch schlimmer kommen, machen Nachrichten wie diese die Runde: In einem Zug in Südindien soll ein Teeverkäufer Wasser aus der Toilette entnommen haben, um damit sein Heißgetränk zu brühen. Eine Videoaufnahme, die das nahelegte, machte vergangene Woche Schlagzeilen – und sorgte landesweit für Empörung. Es ist nicht das erste Mal, dass die Lebensmittelversorgung der Staatsbahn Ekel auslöst: Bereits im vergangenen Jahr urteilte ein Behördenbericht, dass das in den Zügen servierte Essen unter unhygienischen Bedingungen zubereitet werde und für den Konsum durch Menschen ungeeignet sei.
Die Probleme scheint der Konzern, der bereits seit mehr als anderthalb Jahrhunderten auf dem Subkontinent unterwegs ist und jeden Tag 23 Millionen Menschen befördert, allein nicht in den Griff zu bekommen. Er bittet jetzt deshalb die Öffentlichkeit um Mithilfe. Bis Mitte des Monats sollen die Inder konkrete Vorschläge einreichen, um die Servicequalität des Unternehmens zu verbessern. Die beste Idee soll mit einer Million Rupien – umgerechnet rund 12.500 Euro – prämiert werden.
Ein paar neue Einfälle hat das altehrwürdige Unternehmen dringend nötig. Denn im Wettbewerb um Passagiere wird die Konkurrenz immer stärker: Statt mit der ruckeligen Bahn zu fahren, bei der bereits Verbindungen mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 36 Kilometern pro Stunde als Express-Strecken gelten, entscheiden sich immer mehr Inder für das Flugzeug: Rund 100 Millionen Tickets verkaufen die indischen Fluggesellschaften aktuell pro Jahr für Inlandsflüge. Die Nachfrage wuchs zuletzt um 15 Prozent.
Den Komfort in den beiden Fortbewegungsmitteln konnte ich in den vergangenen Wochen gut vergleichen: Für eine Dienstreise flog ich erst von Mumbai nach Chennai – und fuhr dann weiter mit dem Nachtzug in die IT-Metropole Bangalore. Der Flughafen in Mumbai, dessen Terminal 2 vor ein paar Jahren von dem amerikanischen Architekturbüro Skidmore, Owings & Merrill wunderbar gestaltet worden ist, überrascht mit einem ungewöhnlichen Angebot: Zwischen den Handtaschen- und Uhrenläden liegen drei Golden Retriever auf dem Fußboden. Es handele sich um Therapiehunde, erklärt mir eine Mitarbeiterin. "Als Entspannung für gestresste Reisende." Ich bin zwar schon etwas spät dran, lasse mir die Chance nicht entgehen: Ich kraule die Hündin Angel für ein paar Minuten hinter dem Ohr und fühle mich für einen Moment fast so sorgenlos wie früher, als ich Garten meiner Eltern mit unserem Familienhund Henry spielte.
Bei der Staatsbahn stehe ich dagegen schon beim Ticketbuchen kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Das Reservierungssystem ist ein Musterbeispiel für die Bürokratie des Landes: Es gibt acht verschiedene Buchungsklassen und 19 Kontingente, aus denen man wählen kann. Wer im allgemeinen Ticketkontingent kein Glück hat, kann es zum Beispiel im Frauenkontingent versuchen oder im Kontingent für Frauen über 45 oder im Touristenkontingent, wenn man aus dem Ausland kommt. Ich entscheide mich für das Kontingent der kurzfristig buchbaren Online-Tickets. Die gibt es aus mir unbekannten Gründen aber nur zwischen zehn Uhr morgens und mittags – zumindest im Fall der klimatisierten Waggons. Für die nicht klimatisierten geht es erst um 11 Uhr los.
Dass die Server regelmäßig zusammenbrechen, wenn alle gleichzeitig zugreifen, versteht sich von selbst. Weniger nachvollziehbar ist für Neukunden, die sich erst noch einen Account zulegen müssen, dass das erst nach 11.30 Uhr 30 ist. Eine Webseite, die so kundenfreundlich ist wie eine schlecht geführte Amtsstube. Anti-Stress-Hunde, die einem helfen, bei der Buchung Haltung zu bewahren, wären meiner Meinung nach ein Top-Kandidat für den Ideenwettbewerb der Bahn.
Im Wettbuchen mit den 1,3 Milliarden Indern, die gefühlt gerade alle das gleiche Ticket haben wollen wie ich, unterliege ich drei Mal hintereinander. Wartelistenplatz 58 ist das Ergebnis meines vorletzten Versuchs – bis ich dann ein Ticket finde, das zwar in der gleichen Klasse ist, aber im teuren Premium-Kontingent. Die für sechs Stunden angesetzte 350-Kilometer-Fahrt von Chennai nach Bangalore kostet mich damit ziemlich genau gleich viel der 55-Minuten-Flug zwischen den beiden Städten. Aber immerhin ist es ein Erlebnis.
Natürlich ist nicht alles schlecht an der indischen Eisenbahn. Mit einem Streckennetz von 67.000 Kilometern schafft sie es fast in jeden Winkel des riesigen Staates. Das müssen die Fluggesellschaften erstmal hinbekommen. Auch als Arbeitgeber ist das Unternehmen, das mehr als eine Million Menschen beschäftigt, äußerst beliebt: Als Indian Railways vor einigen Wochen 90.000 Stellen ausschrieb, bekam der Konzern 28 Millionen Bewerbungen.
Als Passagier bin ich am Ende mit meiner Bahnfahrt ganz zufrieden. In meiner kleinen Ecke im Mehrbettabteil kann ich tatsächlich ganz gut schlafen. Dass der Zug mit einer Stunde Verspätung mein Ziel erreicht, finde ich sogar ganz gut. Eigentlich hätte er um drei Uhr morgens ankommen sollen, so kann ich bis vier Uhr weiterdösen. Der Bahnhof ist um die Zeit auch angenehm leer. Den Tee zum Frühstück trinke ich dann aber doch lieber im Hotel.
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