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Portugals Premier António Costa „Wir haben einen besseren Weg gefunden“

Das Ende der Austerität sei der Grund für die Erholung Portugals, sagt Premierminister António Costa. Er fordert im Interview mehr Macht für die EU, um neue Krisen zu verhindern – und hat auch Wünsche an Deutschland.
30.05.2017 - 06:21 Uhr Kommentieren
Vertrauen ist der Schlüssel für die Wirtschaft. Quelle: Reuters
António Costa

Vertrauen ist der Schlüssel für die Wirtschaft.

(Foto: Reuters)

António Costa ist ein höflicher Mann, der über das ganze Gesicht strahlt, wenn er lacht. Für das Handelsblatt nimmt er sich Zeit, auch wenn draußen die Kameras für seine Ansprache an die Nation warten. Den Portugiesen wird Costa darin später zur Überwindung der Krise gratulieren. Kurz zuvor hatte die EU das Land wegen guter Haushaltszahlen nach über sieben Jahren aus dem Defizitverfahren entlassen.

Herr Costa, vergangenen Sommer wollte die EU noch Sanktionen gegen Portugal verhängen, weil das Land erneut das Haushaltsdefizit überzogen hatte. Jetzt hat sie Portugal ganz aus dem Defizitverfahren entlassen. Kann Europa hoffen, dass Portugal keine Sollbruchstelle des Eurosystems mehr ist?
Die EU sieht die Fortschritte in Portugal. Wir wachsen wieder, die Arbeitslosigkeit sinkt und wir haben das Haushaltsdefizit 2016 auf zwei Prozent gesenkt. Das ist klar unter den drei Prozent, die die EU vorschreibt und das niedrigste Defizit der vergangenen 42 Jahre in Portugal. Dieses Jahr werden wir das Defizit weiter senken. Die Entscheidung der EU ist also die natürliche Folge aus den EU-Defizitregeln. 

Als sie vor 18 Monaten antraten und zahlreiche Sparmaßnahmen auslaufen ließen, fürchteten viele ein neues Einbrechen der Konjunktur. Doch Sie haben mehr gespart als Ihre konservativen Vorgänger. Wie schwer ist es, heute in der EU Sozialist zu sein?
Als unsere Regierung die Arbeit aufgenommen hat, sind ihr viele ideologische Vorurteile entgegengeschlagen – sowohl in Medien als auch in europäischen Institutionen. Aber wir haben gezeigt, dass wir einen neuen und besseren Weg gefunden haben, um das Land zu stabilisieren. 

Was haben Sie besser gemacht?
Die Austerität zu beenden war entscheidend, um das Vertrauen der Bevölkerung und der Wirtschaft zu stärken. Die privaten Investitionen sind im vergangenen Jahr um mehr als sieben Prozent gestiegen und legen derzeit noch stärker zu. Vertrauen ist der Schlüssel für die Wirtschaft und das haben wir den Portugiesen wieder gegeben – in ihr Land, in ihre Zukunft, und in unsere Fähigkeiten, aus der Krise zu kommen.

Aber Sie haben die Austerität nicht beendet, sondern mehr gespart.
Nein. Wir haben den Familien Einkommen zurückgegeben und Bedingungen geschaffen, damit die Unternehmen investieren. Dadurch wuchs die Wirtschaft stärker und wenn sie das tut, sinkt auch das Defizit. Wenn man Familien und Unternehmen die Mittel wegnimmt, kann kein Land wachsen.

Sie wollen sagen, dass das Defizit, das  2015 noch bei 4,4 Prozent lag, allein wegen des kräftigeren Wachstums gesunken ist?  
Wir haben auch unnötige Ausgaben gekürzt und  Bürokratie abgebaut.

Die drei großen Ratingagenturen stufen Portugal auf Ramschniveau ein. Dort hält sich das Vertrauen in Ihr Land in Grenzen.
Ich glaube, dass die Ratingagenturen die jetzige Entscheidung der EU-Kommission nicht erwartet haben. Ich bin zuversichtlich, dass sie ihre Bewertungen nun bald anheben. Jetzt ist für alle klar, dass unsere Lage deutlich besser ist als 2011, als sie diese Bewertungen gegeben haben. Sie werden das ändern müssen, wenn sie glaubwürdig bleiben wollen.

Sie stellen für dieses Jahr ein Wachstum von 1,8 Prozent in Aussicht. Im ersten Quartal lag es bei 2,8 Prozent – erwarten Sie einen krassen Einbruch oder wieso heben sie ihre Prognose nicht an? 
Wir sind keine Prognoseagentur. Wir sind da, um Resultate zu liefern. Unsere Prognosen sind konservativ, um uns gegen mögliche Überraschungen zu wappnen. Aber wir versuchen immer, unsere Ziele zu übertreffen. Das erste Quartal war so gut, dass das Wachstum zum Jahresende sicher über 1,8 Prozent liegen wird.

Spanien und auch Irland haben wie Portugal in der Finanzkrise EU-Hilfen bekommen und Vorschläge der Geldgeber (Troika) umgesetzt. Beide Länder wachsen deutlich stärker als Portugal. Was haben sie besser gemacht?
Die Hilfsprogramme waren sehr verschieden. In Spanien und Irland wurde der Finanzsektor saniert. Der ist jetzt stabil und kann die Wirtschaft finanzieren. In Portugal war die Strategie umgekehrt: Die Geldgeber haben sich hier das Finanzsystem nicht angeguckt. Hätten wir das damals schon in Ordnung gebracht so wie Spanien und Irland, würden wir heute mit Sicherheit auch viel stärker wachsen. 

Kritiker sagen, die portugiesischen Banken hätten bei den Troika-Besuchen die faulen Kredite in ihren Bilanzen verheimlicht, weil sie harte Sanierungsmaßnahmen fürchteten.  
Die Banken haben nichts verheimlicht, die Troika wollte nicht hingucken. Und das war ein großer Fehler. Meine Regierung musste sich jetzt darum kümmern. Aber im vergangenen Jahr haben wir für die wichtigsten Banken ausländische Investoren gefunden und sie rekapitalisiert.

Die Banken haben Berge faule Krediten – insgesamt 17 Prozent. Ihre Regierung hat an Plänen für eine Bad Bank gearbeitet. Wie weit sind die?
Wir brauchen keine Bad Bank. Die Banken haben heute das nötige Eigenkapital, um in Ruhe das Problem der faulen Kredite anzupacken. Und mit dem höheren Wachstum können auch mehr Unternehmen ihre fälligen Kredite zurückzahlen.

Sie haben keine weiteren Pläne, um den Finanzsektor zu stabilisieren?

Doch, wir arbeiten mit der portugiesischen Zentralbank an einer gemeinsamen Plattform der Banken zwecks Koordinierung der Krediteintreibung. Viele Unternehmen haben Kredite bei mehreren Banken. Wenn die Institute sich untereinander besser absprechen, wird es leichter sein, ausstehende Kredite einzutreiben. Aber die Lage ist heute schon deutlich besser als vor einem Jahr. Heute ist es mehr eine statistische Frage als ein wirtschaftliches Hindernis.

Aber die Kreditvergabe sinkt weiter statt zu steigen. Das ist ein beträchtliches Hindernis für das Wachstum.

Unsere Banken kommen aus einer Phase sehr harter Anpassung. Sie mussten die Eigenkapitalanforderungen der EU in einer Zeit erfüllen, in der die Wirtschaft stagnierte. Aber jetzt wächst sie wieder, die Banken haben neue Investoren und überwinden ihre Probleme.

Können Sie ausschließen, dass der Staat den Banken erneut helfen muss?
Ja. Es gibt kein Signal dafür, dass sie weitere Staatshilfen brauchen.

Sie haben damit auch keine gute Erfahrung: Der Staat hat 2014 die Großbank Novo Banco mit vier Milliarden Euro gerettet – und jetzt zum symbolischen Wert an den Hedgefonds Lone Star abgegeben. Wieso?
Die Idee, dass der Verkauf ein einfacher Prozess sein würde und dass man die Bank für einen hohen Preis verkaufen könnte war eine Illusion der vorherigen Regierung, die durch nichts gerechtfertigt war.

Aber das Institut ist der gute Teil der Pleitebank Banco Espirito Santo. Der sollte frei von Risiken und entsprechend viel wert sein.
Die konservative Regierung hat versucht, Novo Banco zu verkaufen, aber keiner wollte sie haben. Wir haben jetzt das beste Angebot angenommen, das es gab. Die Qualität dieses Angebots zeigt die Qualität der Lösung, die man für die Aufteilung von Espirito Santo in eine Bad Bank und in Novo Banco gefunden hat.

Kommen wir zur Politik. Der französische Präsident Emmanuel Macron fordert einen europäischen Finanzminister und ein Parlament für die Eurozone. Was halten Sie davon?
Die Vorschläge sind richtig und nötig, um die europäische Wirtschafts- und Währungsunion zu vollenden. Wir brauchen ein gemeinsames Budget, um eine gemeinsame Politik zu finanzieren. Und für ein Budget braucht man die nötigen Institutionen.

Können Sie den Portugiesen nach den Erfahrungen mit der Troika vermitteln, dass Portugal noch mehr Macht an Brüssel abgibt?  
Es geht nicht um mehr oder weniger Macht, sondern um die Frage, wie die gemeinsame Währung für alle Mitgliedsstaaten zu etwas positivem wird und wie sie zur Harmonisierung der einzelnen Volkswirtschaften beitragen kann. Der Euro wirkt in jedem Land anders. Das liegt zum Teil an nationalen Problemen, um die sich jedes Land selbst kümmern muss. Aber es gibt auch strukturelle Gründe und da müssen wir ansetzen.

Wie soll das konkret aussehen?
Deutschland hat einen sehr interessanten Vorschlag gemacht, den die anderen Länder leider nicht akzeptiert haben. Angela Merkel wollte konkrete Reform-Projekte finanzieren, die die Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Länder steigern sollten. Die Idee sollte man noch einmal diskutieren.

Sind Sie bereit, Brüssel über den Haushalt von Portugal entscheiden zu lassen? 
Es ist doch heute schon kein EU-Mitglied mehr vollkommen frei darin, über seinen Haushalt zu entscheiden. Wir haben gemeinsame Regeln beschlossen und an die müssen wir uns alle halten. 

Braucht die EU eine Reform?

Ja. Wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, dass jetzt wo die große Staatsschuldenkrise vorbei ist, auch die Probleme gelöst sind. Der Brexit zwingt uns dazu, den europäischen Haushalt neu zu überdenken. In der Währungsunion gibt es Asymmetrien der Wirtschaften, die wir ausgleichen sollten. Die EU rät zwar jedem Land, was es wirtschaftlich tun sollte, aber ihr fehlt die Macht, diese Empfehlungen auch durchzusetzen. Das müssen wir ändern.

Wie soll die Harmonisierung der Wirtschaftskraft aussehen?
Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass wir Mechanismen brauchen, die automatisch aktiviert werden, um bei Krisen, die die Staaten unterschiedlich treffen, die negativen Auswirkungen abzufedern, aber auch um künftigen Krisen vorzubeugen. Ich denke da etwa an eine europäische Arbeitslosenhilfe, an die Vollendung der Bankunion mit der Schaffung einer gemeinsamen Einlagesicherung und an eine Haushaltskapazität, die die Konvergenz voranbringt. Die Eurozone ist instabil, weil die Unterschiede zwischen prosperierenden Staaten und denen mit Problemen wachsen. 

Sie meinen die Spreizung zwischen Süden und Norden? 
Der Süden ist inzwischen schon sehr weit in den Norden gerückt (lacht). Wenn man in 19 Ländern dieselbe Währung hat, die für fünf Länder sehr gut und für die anderen 14  schlecht oder nicht besonders hilfreich ist, muss man etwas tun. Wir sollten alle von der gemeinsamen Währung profitieren, das ist wichtig für die Stabilität der ganzen Eurozone.

Sie sind Mitglied im Verein der Länder Südeuropas, die sich regelmäßig treffen. In jedem Communiqué betonen Sie, dass sie den Einhalt Europas damit nicht gefährden wollen. Aber ein Treffen einer Teilgruppe führt doch automatisch zu einer Blockbildung.   
Die Südländer sind keine formalisierte Gruppe wie die von Visegrad in Mitteleuropa. Wenn sich Deutschland mit Spanien, Frankreich und Polen trifft, ruft das ja auch keinen Argwohn hervor. In der Gruppe der Südeuropäer sind mit Italien, Frankreich und Spanien drei der größten EU-Mitgliedsländer vertreten. Wir sind Nachbarn und wollen den Dialog stärken und die Bedingungen schaffen, damit die EU wieder zu mehr Zusammenhalt findet. 

In der Abschlusserklärung ihres letzten Treffens in Madrid forderten sie eine europäische Einlagensicherung – ein Plan, der in Deutschland nicht gut ankommt. 
Das ist aber nichts Neues, sondern Teil der Bankenunion, der noch nicht umgesetzt wurde. Einige Länder wollen das nicht, aber die bestehenden Regeln gelten für alle.

Den deutschen Sparern zu erklären, dass sie künftig für die Schulden der Portugiesen haften sollen, wird kompliziert.  
Alles in Europa ist immer kompliziert. Aber ohne Europa wäre es noch komplizierter.

Wie sehen sie eine womöglich neu erwachsende Achse zwischen Frankreich und Deutschland? 
Diese Achse gab es ja früher schon. Aber Deutschland hat in letzter Zeit etwas aus den Augen verloren, wer seine engsten Verbündeten sind. Das Verhältnis zu Frankreich ist entscheidend für die Zukunft der EU. Wenn Deutschland sich wieder stärker um die Länder im Süden und im Norden Europas kümmert und nicht mehr nur um die im Osten könnte das helfen, die EU zu stärken.

Portugal ist eines der wenigen Länder in Europa, in dem es keine populistische Partei gibt – weder auf der rechte noch auf der linken Seite. Wie kommt das? 
Der Populismus bekommt immer dann Nahrung, wenn die Bürger das Gefühl haben, die demokratischen Parteien sind alle gleich und es gibt keine politischen Wahlmöglichkeiten. In Portugal haben die Parteien verschiedene Lösungen aufgezeigt und die Bevölkerung konnte ihren Weg wählen. Dasselbe haben wir in Frankreich mit Macrons Alternative gesehen, der zur Niederlage der Rechtsradikalen geführt hat.

Europa hat seine Not mit dem neuen US-Präsidenten Donald Trump. Der ist zu Hause in zahlreiche Skandale verwickelt. Bereitet Ihnen das Sorgen?
Ich werde mich nicht zu internen Fragen der USA äußern. Ich denke es ist klar, dass ich Trump nicht gewählt hätte. Aber wir haben eine gute und starke Beziehung zu den USA im Atlantischen Bündnis. Und die werden wir aufrechterhalten, unabhängig von der jeweiligen US-Regierung. 

Ein Thema, das in der EU nicht funktioniert, sind Flüchtlinge. Auch Portugal hat bisher noch nicht so viele aufgenommen wie vereinbart. Allein Deutschland schultert die Aufgabe.
Nun ja, das ist der Preis des Erfolgs. Die Leute wollen nach Deutschland, weil sie denken, dass sie da bessere Chancen haben. Ich war in Athen in einem Flüchtlingslager und ich habe die Menschen dort nach Portugal eingeladen. Aber viele haben mir gesagt, sie möchten nach Deutschland, weil sie dort Arbeit finden und gute Gehälter. Auch das zeigt, dass wir unsere Wirtschaften besser angleichen müssen, sonst wollen alle nur die erfolgreichen Länder.

Aber Portugal ist bereit, doppelt so viele Flüchtlinge aufzunehmen wie das EU-Kontingent vorsieht. Dafür muss es doch Mechanismen geben. 
Wir reden auch gerade mit Deutschland über ein bilaterales Abkommen, um mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Aber man kann niemanden zwingen.

Herr Costa, vielen Dank für das Interview.

 

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