Post-Corona Einschränkungen für Impfverweigerer, Maskenpflicht aufheben: Israels Plan für den Weg in die Normalität

Das Ichilov-Krankenhaus konnte am Montag seine letzte Corona-Station schließen.
Tel Aviv Restaurants bewirten Gäste, Hotels empfangen inländische Urlauber, in den Fitnesszentren wird trainiert, Theatervorführungen sind erlaubt, und die Geschäfte sind geöffnet. Wer in Tel Aviv die gut besuchten Cafés sieht, hat den Eindruck, dass die Coronakrise bereits überwunden ist. Als erstes Land findet Israel nach gut einem Jahr wieder in eine Normalität zurück. Die Wirtschaft kommt in Gang, das öffentliche Leben kehrt nach monatelangem Lockdown zurück.
Vorläufig gelten weiterhin geringfügige Einschränkungen, auch der Schulbetrieb bleibt reduziert. Bereits im April könnte jedoch sogar die Maskenpflicht auf den Straßen und an den Stränden aufgehoben werden, heißt es im Gesundheitsministerium.
Um eine möglichst schnelle Herdenimmunität zu erreichen und das Land vollständig aus der Krise zu führen, denkt die Regierung nun über drastische Maßnahmen vor allem für Impfverweigerer nach. Bereits jetzt verbannen einige Firmen Arbeitnehmer, die sich nicht impfen lassen wollen, ins Homeoffice. Zudem werden sie auch in der Freizeit von Lockerungen ausgeschlossen.
Mit einer geimpften Bevölkerung von knapp 50 Prozent erreicht Israel bereits jetzt einen weltweit einzigartigen Spitzenwert. Besonders gut geschützt sind die Risikogruppen. So haben 90 Prozent der über 50-Jährigen bereits beide Impfdosen erhalten. Erste Kliniken konnten ihre Corona-Abteilungen bereits schließen.
Der israelische Ökonom Leo Leiderman prophezeit dem Land einen baldigen Konjunkturaufschwung. Der Erfolg der Impfkampagne und die Effektivität des Biontech/Pfizer-Vakzins werden sich „sehr positiv auf das Wachstum der Wirtschaft auswirken“, so Leiderman, der an der Universität Tel Aviv Makroökonomie lehrt. Für dieses Jahr rechnet die Zentralbank mit einem Anstieg des Sozialprodukts um über sechs Prozent, nachdem es 2020 ein Minus von 2,4 Prozent verzeichnet hat.
Starker Hightech-Sektor schiebt Konjunktur an
Die im Vergleich zu anderen OECD-Ländern ansehnliche Konjunktur erklärt Dan Ben-David vom Shoresh Institution for Socioeconomic Research mit der Stärke des Hightech-Sektors. Falls die Immunisierung der Bevölkerung keinen Rückschlag erleidet, etwa durch das Auftreten neuer Virusvarianten, könnte das Sozialprodukt pro Kopf im nächsten Jahr wieder das Niveau wie vor der Coronakrise erreichen, schätzt das Taub Center for Social Policy in einem neuen Bericht.
Das gilt aber nicht für alle Sektoren. Da die Einreise von Urlaubern bis auf Weiteres blockiert ist, rechnen Tourismusexperten nur mit einer langsamen Erholung der Branche. Die Zunahme der Heimarbeit könnte die Nachfrage nach Büroflächen beeinflussen und sich auf die Mietpreise auswirken, heißt es in der Studie des Taub Centers. Möglich sei auch eine Veränderung der Lebensmuster, die zu einem Auszug aus dem Großraum Tel Aviv und zu Verlagerungen in Gebiete im Norden oder Süden des Landes führen könnten.
Kurz vor dem Wahltag am 23. März kann Premier Benjamin Netanjahu jede positive Nachricht brauchen, da er laut Meinungsumfragen auf keinen klaren Sieg hoffen kann. Den Kampf gegen die Epidemie hatte er deshalb gleich zu Beginn zur Chefsache erklärt.
Für die 15 Millionen Dosen von Biontech/Pfizer, die jetzt den Aufschwung ermöglichen, hat Israel knapp 800 Millionen Dollar bezahlt, einen Betrag, der über dem derzeitigen Marktwert liegt. Doch als Gegenleistung verpflichtete sich Pfizer auch dazu, den Impfstoff schnell zu liefern.
Das Geld sei gut investiert, meint ein Beamter im Finanzministerium, weil es deutlich günstiger sei als weitere Wochen im Lockdown. Allein für das wirtschaftliche Rettungspaket hat Israel rund 30 Milliarden Dollar bereitgestellt, um die durch das Virus verursachte Wirtschaftskrise zu bewältigen.
Impfgegner könnten Plan gefährden
Israel strebt eine Herdenimmunität in der Bevölkerung an. Diese werde erreicht, wenn acht von zehn Bewohnern geimpft seien, sagte die Leiterin des Epidemiologiezentrums des Sheba Medical Centers, Gili Regev. Ohne Impfkampagnen im großen Stil gibt es bis auf Weiteres keinen Ausweg aus der Coronakrise, davon sind Gesundheitsexperten überzeugt.
Das würde jedoch voraussetzen, dass auch die unter 16-Jährigen immunisiert werden können. Solange das nicht möglich sei, müsse die Impfaktion möglichst viele der über 16-Jährigen erfassen. „Je mehr geimpft werden, umso sicherer ist es für alle“, sagte Regev. Sorgen machen ihr deshalb die geschätzten rund vier Prozent der Israelis, die sich nicht impfen lassen wollen. Auch wenn es eine im internationalen Vergleich geringe Zahl ist.
Die Impfgegner werden durch gezielt gestreute Falschmeldungen in den sozialen Medien abgeschreckt. Dazu gehört beispielsweise die fälschliche Behauptung, dass der Impfstoff ein „Gift“ sei, mit dessen Hilfe Chips in den Körper gelangen würden, um die Bewegungen der Geimpften zu überwachen. Frauen fürchten zudem, dass die Vakzine ihre Fruchtbarkeit beeinträchtigen könnten. Auf passiven Widerstand stößt die Impfkampagne vor allem in der arabischen und orthodoxen Bevölkerung, wo das Misstrauen gegenüber den Behörden traditionell groß ist.
Zum Start der Impfkampagne gegen Ende Dezember war das Vakzin in der Bevölkerung noch euphorisch begrüßt worden. Täglich wurden Mitte Januar bis zu 250.000 Impfungen verabreicht. Derzeit sind es nur noch 100.000. Weil Israels Premier Netanjahu dazu drängt, die Bevölkerung vollständig gegen Covid-19 zu impfen, werden Skeptiker sogar mit kostenlosen Getränken oder Pizza in die Impfzentren gelockt.
Grüner Pass soll neue Freiheiten bieten
Wirksamer ist der sogenannte Grüne Pass, das Impfzertifikat des Gesundheitsministeriums. Von den neuen Freiheiten durch die Lockerungen können nämlich nur diejenigen profitieren, die den amtlichen Ausweis einer Impfung vorweisen. Jeder, der nicht willens sei, sich impfen zu lassen, werde „zurückgelassen“, droht Gesundheitsminister Yuli Edelstein. Als Alternative, dem Impfzwang auszuweichen, bieten sich häufige Tests.
Um möglichst schnell Herdenimmunität zu erreichen, will Netanjahu das Zertifikat als griffiges, aber umstrittenes Instrument einsetzen. Die drastischen Maßnahmen beinhalten strenge Vorschriften für die Impfgegner: Wer sich nicht impfen lassen will, muss künftig mit großen Nachteilen rechnen. In Restaurants, zu Konzerten oder in Fitnesscentern sind demnach nur diejenigen zugelassen, die einen „Grünen Pass“ vorweisen können, alternativ auch einen negativen Test.
Im internationalen Reiseverkehr ist der israelische Grüne Pass noch nicht anerkannt. Freiheiten verspricht er ausschließlich im Inland. Wer zum Beispiel von Tel Aviv nach Eilat fliegen will, muss zusammen mit der Einstiegskarte den Grünen Pass vorweisen, bevor er in die Maschine steigen darf. Israelische Bürgerinnen und Bürger können zudem nach einem Auslandsaufenthalt mit dem Grünen Pass einreisen, ohne sich in Quarantäne begeben zu müssen.
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