Reaktionen Europas Sozialdemokraten feiern Scholz-Sieg: So sieht das Ausland die Bundestagswahl

Im Ausland wird Olaf Scholz als Wahlsieger wahrgenommen.
Paris, Brüssel, London, Madrid, Rom, New York, Moskau, Düsseldorf Diese Bundestagswahl wurde im Ausland aufmerksamer verfolgt als vorherige, weil sie das Ende der Merkel-Ära markiert. Wer sich allerdings Klarheit erhofft hatte, wurde enttäuscht. Das Ergebnis lässt internationale Beobachter ratlos zurück, viele fürchten nun eine monatelange Hängepartie. Allerdings feiern Sozialdemokraten in ganz Europa nach dem knappen SPD-Sieg ihren Parteifreund Olaf Scholz.
Hier die Reaktionen im Überblick:
Frankreich
Im Lager der französischen Sozialisten beeilte man sich, der Schwesterpartei in Deutschland zu gratulieren. Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo, die für die Sozialisten im kommenden Jahr als Präsidentschaftskandidatin antreten will, wertete das Abschneiden der SPD als Zeichen dafür, sich von einem langjährigen Umfragetief nicht entmutigen zu lassen. „Die SPD hat die Prognosen durchkreuzt“, schrieb Hidalgo auf Twitter. „Meine ganze Unterstützung gilt Olaf Scholz, der, so hoffe ich, der nächste Kanzler sein wird.“
Hidalgo lobte die SPD für ihren „guten Wahlkampf“ und das „ambitionierte Programm“ rund um höhere Löhne, gerechte Wohnungspolitik und Klimaschutz. Derzeit sieht es allerdings nicht danach aus, dass die Sozialisten bei der französischen Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr eine entscheidende Rolle spielen werden. In Umfragen sind sie abgeschlagen, das linke Lager in Frankreich ist zersplittert.
Insgesamt hielten sich die politischen Kräfte in Frankreich am Morgen nach der Bundestagswahl zurück, auch von Präsident Emmanuel Macron gab es zunächst keine Reaktion. Der Élysée-Palast hatte im Vorfeld der Wahl durchblicken lassen, dass man sich sowohl mit Laschet als auch mit Scholz als Kanzler gut arrangieren würde.
Wichtig sind der französischen Regierung vor allem zügige Koalitionsverhandlungen. Die Befürchtung in Paris ist groß, ohne einen handlungsfähigen deutschen Partner in die im Januar beginnende französische EU-Ratspräsidentschaft starten zu müssen.
Großbritannien
Auch auf dem Labour-Parteitag in Brighton wurde der SPD-Sieg zufrieden registriert. Scholz’ „inspirierender Wahlkampf hat gezeigt, dass positive Führung zählt“, twitterte Parteichef Keir Starmer. Andy Burnham, Bürgermeister von Manchester, sprach von einem Signal für Europa. „Das ist ein Hoffnungszeichen für linke Parteien überall“, sagte er. „Nach der Finanzkrise haben wir erlebt, wie die Wähler sich den Konservativen zuwendeten. Nach der Pandemie werden wir nun einen Schwenk nach links sehen.“
Die Labour-Partei ist bei Wahlen seit elf Jahren ähnlich erfolglos, wie die SPD es lange war. „Das Comeback der SPD sendet die Botschaft, niemals aufzugeben“, sagte der Labour-Abgeordnete Hilary Benn. „Olaf Scholz ist ein Leuchtfeuer für die Labour-Bewegung“, lobte Lord Andrew Adonis. Er habe gezeigt, dass Sozialdemokraten unter starker Führung siegen können. Auch Labour müsse sich für eine progressive Koalition mit Grünen und Liberaldemokraten öffnen.
Die konservative Regierung von Premier Boris Johnson kommentierte das Wahlergebnis zunächst nicht. Der Deutschland-affine Wirtschaftsstaatssekretär Greg Hands äußerte sich allerdings kritisch mit Blick auf die Sondierungsgespräche. Dass „die weniger populären Parteien“ FDP und Grüne nun offenbar zuerst über mögliche Koalitionen sprechen wollten, sei „die Art von Vorgehen, die das Verhältniswahlrecht so unattraktiv macht“, twitterte der Tory.
Die Strategen im Londoner Finanzviertel erwarten von einer SPD-geführten Regierung eine andere Wirtschafts- und Finanzpolitik. „An den internationalen Märkten wird damit gerechnet, dass ein Kanzler Scholz fiskalpolitisch weniger konservativ wäre“, sagt Christian Keller, Chefökonom der Bank Barclays. „Das würde die Binnennachfrage in Deutschland ankurbeln und die Handelsbilanzen in der Euro-Zone ausgleichen. Auch wäre er aufgeschlossener gegenüber einer Kapitalmarktunion und einer gemeinsamen Schuldenaufnahme der Euro-Länder. Beides sehen ausländische Investoren positiv.“
Spanien
Der sozialistische spanische Premier Pedro Sánchez gratulierte Scholz und der SPD schon am Wahlabend per Twitter. „Spanien und Deutschland werden weiter für ein stärkeres Europa arbeiten und dafür, dass die Erholung fair und grün ist und niemanden zurücklässt“, twitterte Sánchez.
Die linksgerichtete spanische Tageszeitung „El País“ merkte an, dass in den vier großen europäischen Ländern keine einzige konservative Regierung mehr an der Macht wäre, sollte es in Deutschland zu einer sozialdemokratisch geführten Regierung kommen.
„Scholz könnte dann eine Wende einleiten, die über die Wirtschaftspolitik hinausgeht“, so die Zeitung. „Die deutschen Sozialdemokraten passen zur neuen Orthodoxie, die Joe Biden in den USA und Institutionen wie der Währungsfonds anführen: Mit der SPD an der Spitze wäre es unwahrscheinlicher, dass die Stimuli in Europa vorzeitig beendet werden.“
Olaf Scholz ist den Spaniern in guter Erinnerung, weil er sich als Finanzminister für den europäischen Wiederaufbaufonds eingesetzt hat, von dem Spanien stark profitiert. Die konservative Zeitung „El Mundo“ weist dagegen darauf hin, dass der knappe Sieg der SPD nur schwerlich als Wunsch der Deutschen für einen Wandel gedeutet werden könne. Schließlich habe sich der Finanzminister im Wahlkampf als Statthalter Merkel’scher Politik positioniert.
Italien
In Italien überwiegt einen Tag nach der Wahl die Angst vor einem Stillstand in Europa. Das Patt in Deutschland könnte auch zu einem großen Patt in Brüssel führen, schreibt die römische „La Repubblica“. Sollte sich die Berliner Regierungsfindung bis Jahresanfang hinziehen, könnten viele Kerndossiers der EU sich stark verzögern – angefangen bei der Reform des Stabilitätspakts über das Thema Flüchtlinge bis hin zur gemeinsamen Verteidigung. Mit dem G20-Gipfel in Rom und der Klimakonferenz COP 26 in Glasgow stehen zudem wichtige internationale Termine an, bei denen Deutschland als Gleichgewicht fehlen könnte.
Das Ende der Ära Merkel schwäche auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die schon seit Wochen unter Druck stehe. Sollte Scholz Kanzler werden, säße in keinem der Kernländer Europas mehr ein Vertreter der Europäischen Volkspartei (EVP) – es wäre ein Novum in der EU.
„Der Kanzler wird Scholz sein, daran habe ich keinen Zweifel“, erklärte Italiens ehemaliger Premier Enrico Letta, Chef der Sozialdemokraten (PD), im „Repubblica“-Interview. „Er hat es geschafft, der CDU das Positive an Merkels Erbe zu entreißen.“
Scholz sei unterbewertet worden, er habe eine entscheidende Rolle in Europa übernommen, seit er das Finanzministerium führe. „Aus der deutschen Wahl ist quasi ein italienisches Parlament entstanden, eine Fragmentierung der Parteien, die monatelange Verhandlungen nach sich ziehen wird“, mahnt aber auch Letta.
Der ehemalige Regierungschef Matteo Renzi, der sich mit seiner Kleinstpartei Italia Viva von der PD abgespalten hatte und heute die Regierung von Mario Draghi stützt, findet es bemerkenswert, dass kleine Parteien wie die FDP und die Grünen nun über den neuen Kanzler entscheiden. Er sieht ein „Klima der Instabilität und Unsicherheit“. Es sei nun an Draghi und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, die Führung Europas zu übernehmen, schrieb Renzi an seine Unterstützer.
EU
In Brüssel zwingt das Wahlergebnis EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen zu einer Neuorientierung. Die CDU-Politikerin hat bisher von ihrem engen Draht zu Merkel profitiert, der sie viele Jahre als Ministerin diente. Damit ist es nun vorbei. Die enge persönliche Bindung in die Regierungszentrale des mächtigsten EU-Staats würde mit einem Kanzler Scholz entfallen. Doch das muss kein Unglück von der Leyen bedeuten. Sie ist ideologisch flexibel genug, sich auch mit einer SPD-geführten Bundesregierung zu arrangieren.
Die Kommissionschefin hat sich längst ihren parteipolitischen Bindungen gelöst. Ihre Behörde hat einen progressiven Kurs eingeschlagen, der gut zum Programm von SPD und Grünen passt. Der Wiederaufbaufonds zur Überwindung der Coronakrise geht maßgeblich auf Vorarbeiten aus Scholz‘ Finanzministerium zurück. Bei der Weiterentwicklung der europäischen Währungsunion gibt es große Schnittmengen mit der SPD. Und für von der Leyens wichtigstes Projekt, den grünen Umbau der europäischen Wirtschaft mit dem Gesetzespaket „Fit for 55“, dürfte es künftig mit einer grünen Regierungsbeteiligung noch stärkeren Rückhalt geben.
USA
US-Präsident Joe Biden hat am Sonntagabend bei seiner Rückkehr aus dem Wochenende von US-Journalisten vom Vorsprung der SPD erfahren. Er reagierte darauf mit „I’ll be darned“ – einer älteren Redeweise, mit der man seine Überraschung ausdrückt. „Die sind solide“, schob er hinterher.
Das Verhältnis der beiden Länder war in den letzten Jahren angespannt. Das „Wall Street Journal“ hatte erst letzte Woche berichtet, Merkel habe Bidens Angebot eines Telefonats in dessen erster Amtswoche nicht angenommen und das Gespräch von einem Freitag auf den darauffolgenden Montag verschoben. Auch in den Monaten danach blieben die Beziehungen kühl.
„Die jüngeren Wähler haben deutlich links gewählt“, sagt Daniel Alpert, Mitgründer der Boutique-Investmentbank Westwood Capital aus New York. „Dadurch läuten sie einen Richtungswechsel für die Zukunft ein. Während der Nationalismus eine Niederlage einstecken musste, dreht sich die Stimmung klar zugunsten der Sozialdemokratie.“ Noch müsse man abwarten, ob sich dieser Trend auch in anderen westlichen Ländern widerspiegele.
Es werde noch eine Weile dauern, bis sich eine Koalition herauskristallisiere, so Alpert weiter. Aber es sei klar, dass die deutsche „Austeritätsagenda“ in Europa ohne Merkels Popularität deutlich schwieriger durchzusetzen sein werde.
China
Mit einer Ära in der die „Spannungen zwischen Peking und Berlin zunehmen“, rechnet Xu Heqian, Auslandschef des chinesisches Wirtschaftsmagazins Caixin. Die Beziehung zwischen China und Deutschland werde „zerbrechlicher als bisher“, sagte er dem Handelsblatt. Er sei deshalb „nicht zu optimistisch“ was den China-Kurs des künftigen Bundeskanzlers angehe.
Den SPD-Kanzlerkandidaten, Olaf Scholz, hat Xu während eines deutsch-chinesischen Medienaustauschs 2016 persönlich kennengelernt. Er habe ihn als sehr pragmatischen und geschickten Politiker wahrgenommen, „sehr anpassungsfähig an jede politische Funktion, die er einnimmt“.
Die Staatszeitung Global Times bezeichnete die Situation in Deutschland als „komplex“, da keine der beiden traditionellen, großen Parteien in der Lage sei eine Regierung zu bilden und noch unklar sei, ob Laschet oder Scholz Kanzler werde.
In den sozialen Medien wird vor allem das Ende der Ära Merkel thematisiert. Die Bundeskanzlerin hatte ein gutes Verhältnis zu China gepflegt und war in der Volksrepublik beliebt. „Wir hoffen, und erwarten, dass die neue deutsche Regierung ihre pragmatische und ausgewogene China-Politik fortsetzen wird“, kommentierte Außenamtssprecherin Hua Chuanying das deutsche Wahlergebnis.
Russland
„Erstaunlicherweise“ werde das Schicksal der kommenden Regierungskoalition nicht von den großen, sondern von den kleinen Partnern bestimmt, meint der Vizechef des Föderationsrats Konstantin Kossatschow. Für Russland sieht der bekannte Außenpolitiker damit gewisse Schwierigkeiten. Dass der Posten des Außenministers traditionell an einen der Junior-Partner in der Koalition gehe, „sind nicht die vielversprechendsten Perspektiven“ für Russland, urteilt er.
Die Grünen bezeichnet Kossatschow als „Ultrasystempartei der neuen Ethik und des militanten radikalen Liberalismus“, die stets antirussische Positionen eingenommen habe, sowohl bei der Gas-Pipeline Nordstream 2, als auch bei der Krim und bei der Frage nach Waffenlieferungen für die Ukraine. Auch die FDP sei „ideologisch aufgeladen“, in ihr lebten allerdings immerhin noch die Traditionen Hans-Dietrich Genschers fort. Den verstorbenen Außenminister lobt Kossatschow für seinen Pragmatismus in den Phasen der deutsch-russischen Annäherung.
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Ex-Zentralbankchef Sergej Alexaschenko sieht Deutschland nun in einer Phase der „völligen Ungewissheit“. Deutschland werde monatelang steuerlos sein und sich daher auch außenpolitisch weniger engagieren. Das gebe Wladimir Putin, der ein „gutes Gespür für taktische Momente“ habe, freie Hand, warnte der inzwischen in die Opposition gewechselte Alexaschenko vor möglichen neuen Spannungen in Osteuropa.
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