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Regierungskrise Warschau jetzt auch auf Konfrontationskurs mit den USA – Regierungspartei drückt umstrittenes Mediengesetz durch

Polens Regierung ist am Ende. Hauptgrund ist ein Gesetz der Regierungspartei PiS, ausländische Medieneigner draußen zu halten. Das bringt Ärger aus Washington.
11.08.2021 - 18:22 Uhr Kommentieren
Mit dem Mediengesetz geht Warschau nicht nur mit der EU auf Konfrontationskurs, sondern erstmals auch mit den USA. Quelle: AP
Mateusz Morawiecki

Mit dem Mediengesetz geht Warschau nicht nur mit der EU auf Konfrontationskurs, sondern erstmals auch mit den USA.

(Foto: AP)

Berlin Offiziell geht es wieder einmal gegen Polens Lieblingsfeind: Russland. Tatsächlich geht es aber auch um die Wirtschaft. Die polnische Regierungspartei PiS will nicht-europäischen Eignern von Medien den Zugang zu Polens Markt verwehren.

Damit will die „Partei für Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) von Moskau gesteuerte Medien draußen halten. Doch getroffen wird als Erstes TVN, der große regierungskritische Privat-Fernsehsender, der dem US-Konzern Discovery gehört. Wegen seines Protestes gegen das von der PiS durchgedrückte Mediengesetz setzte Regierungschef Mateusz Morawiecki in der Nacht zum Mittwoch seinen Vizepremier Jaroslaw Gowin ab und löste so den Koalitionsbruch aus.

Dennoch brachte die PiS am Mittwochabend mit den Stimmen rechtsgerichteter Abgeordneter mit 228 gegen 216 Stimmen das Gesetz durch den Sejm. Zuvor hatte die Opposition durchgesetzt, die Abstimmung zu verschieben, aber die Parlamentspräsidentin ließ dieses Votum nochmals überstimmen. Zuvor hatten die USA mit ernsthaften Konsequenzen gedroht, da eine der größten amerikanischen Investitionen in den USA bedroht werde.

Der für Wirtschaft zuständige Gowin führt die kleine liberale Partei Porozumenie (Verständigung), die zusammen mit der europakritischen Partei „Solidarisches Polen“ des Justizministers Zbigniew Ziobro und der PiS die Regierung und die absolute Mehrheit im Parlament Sejm stellt. Die ist durch den Koalitionsbruch dahin, und die PiS sucht bereits am rechten Rand des Sejm, etwa bei der der rechtsorientierten Protestpartei Kukiz, nach neuen Mehrheiten.

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Mit dem Mediengesetz geht Warschau nicht nur mit der EU auf Konfrontationskurs, sondern erstmals auch mit den USA. Tomasz Grodzki, Vorsitzender des Senats (Oberhaus) und Mitglied der oppositionellen Bürgerplattform, kritisierte die Entscheidung und berief sich dabei auf den Berater von US-Außenminister Antony Blinken, Derek Chollet: Der habe das Mediengesetz als „Angriff auf freie Medien“ bezeichnet.

Freie Medien seien ein fundamentaler Bestandteil der Beziehungen zwischen den USA und Polen, sagte US-Außenamtssprecher Ned Price. „Deswegen haben wir die polnische Regierung gedrängt, ihren Einsatz für diese Prinzipien unter Beweis zu stellen“, fügte er hinzu.

TVN, dessen Lizenz bis zum 26. September verlängert werden müsste, hat immer wieder kritisch über Regierung und Opposition berichtet. Zuvor hatte die Regierung schon den Verkauf von 20 regionalen Tages- und 100 Wochenblättern von der Verlagsgruppe Passau an den staatlich kontrollierten Warschauer Ölkonzern PKN Orlen bewirkt. Es gebe „genug andere Titel, in denen die Regierung kritisiert wird“, kommentierte der Vizeminister im Ministerium für Staatsbeteiligungen, Artur Sobon (PiS), den künftigen redaktionellen Kurs der Zeitungen.

Gowins Rauswurf war keine Überraschung

Der Rauswurf Gowins zeichnete sich seit einiger Zeit ab: Während die PiS und Justizminister Ziobro immer härter gegen die Unabhängigkeit von Justiz und Medien vorgingen, rückte Gowins Partei immer stärker davon ab. Auch gegen das von Premier Morawiecki vorgelegte milliardenschwere Konjunkturprogramm „Polnischer Deal“ („Polski Lad“) opponierte Gowin und begründete das mit dem Interesse des Mittelstands.

Der „Polnische Deal“ soll neben Infrastrukturinvestitionen und konsumorientierten Konjunkturhilfen auch die Ausgaben für das Gesundheitssystem auf sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis 2027 erhöhen. Die Abflüsse im Umfang von 143 Milliarden Euro sollen durch Steuererhöhungen für Einkommen über umgerechnet 2800 Euro und eine Erhöhung des Krankenversicherungsbeitrags auf neun Prozent finanziert werden.

Regierungskoalition in Polen könnte zerbrechen

Das sei ganz der populistische Kurs der PiS, urteilt der Polenexperte Cornelius Ochmann, Vorstand der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit: „Arme und Rentner werden entlastet, und erstmals werden Steuern erhöht. Der Mittelstand wird höher besteuert. Das ist eine Katastrophe.“

Hintergrund ist, dass die PiS, die in Meinungsumfragen aktuell bei 34,2 Prozent liegt, vor allem auf arme Wählerschichten setzt – während die oppositionelle Bürgerplattform um den früheren EU-Ratspräsidenten und Ex-Premier Donald Tusk vor allem von Unternehmern und Besserverdienenden gewählt wird. Tusks Bündnis konnte in den Umfragen um 6,3 Punkte auf 27,6 Prozent zulegen.

Insgesamt steht Polen bisher wirtschaftlich blendend da: Für das laufende Jahr rechnet das renommierte Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche nach minus 2,7 Prozent im Vorjahr mit einem Wachstum von fünf Prozent im Jahr 2021. Polen hat mit gut drei Prozent die niedrigste Arbeitslosigkeit in der EU.

Mögliche negative Folgen für Polens Wirtschaft

Doch die zunehmende Konfrontation mit der EU – wegen der Angriffe Warschaus auf die Unabhängigkeit der Justiz, der Einschränkung von Pressefreiheit und Bürgerinnenrechten – könnte das Wirtschaftswachstum verringern: Sollten die Mittel aus dem noch immer nicht für Polen freigegebenen EU-Wiederaufbaufonds erst im nächsten Jahr ausgezahlt werden, werde sich das Bruttoinlandsprodukt um 0,5 bis einen Prozentpunkt reduzieren, erwartet Jakub Borowski, Chefökonom der Credit Agricole Bank Polska.

Wegen des von der EU beschlossenen Rechtsstaatsmechanismus, der Zahlungen an EU-Mitgliedstaaten nur bei Einhaltung der EU-Werte vorsieht, verlangen immer mehr Europapolitiker Kürzungen für Warschau. Bisher ist Polen der mit Abstand größte Empfänger von EU-Zahlungen.

Allein aus dem Wiederaufbaufonds soll das größte osteuropäische EU-Mitglied gut 60 Milliarden Euro an Zuschüssen und Krediten bekommen. Immerhin hat PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski, Polens heimlicher Herrscher, aber offiziell nur Vizepremier, inzwischen ein Entgegenkommen in der Frage der von der EU strikt abgelehnten Disziplinarkammer angeboten.

Die von der Regierung besetzte Disziplinarkammer kann missliebige Richter absetzen. Doch nun macht der Euro-Skeptiker und Justizminister Ziobro, an zwei neuen Fronten Druck: Er lehnt das EU-Klimaschutzprogramm „Fit for 55“ entschlossen ab, das für Polens von Kohle dominierte Energiewirtschaft viel zu teuer sei. Und auf EU-Gelder solle die Regierung verzichten, wenn Brüssel damit seine Vorstellungen für einen Rechtsstaat für Polen erzwinge.

Mehr: Polen Regierungsbündnis vor dem Aus – Streit um Rundfunkgesetz

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