Regionalwahlen in Großbritannien Wahlsieger Johnson startet Operation Schottland

Der britische Premierminister zementierte bei den Kommunalwahlen sein Image als Wahlsieger.
London Im nordenglischen Hartlepool hatten sie eine riesige aufblasbare Figur von Boris Johnson vor das Wahllokal gestellt. Es war eine treffende Metapher, denn der britische Premier erscheint nach den Kommunalwahlen der vergangenen Woche überlebensgroß. Zugleich hält sich der Verdacht, dass viele seiner Versprechen nur heiße Luft sind.
Johnsons Konservative haben in England mehr als 200 lokale Mandate hinzugewonnen, und die Labour-Opposition hat mehr als 300 verloren. Der Regierungschef profitierte vom Amtsbonus in der Coronakrise. Die schnelle Impfkampagne und das bevorstehende Lockdown-Ende im Juni werden ihm angerechnet. Trotz seines Missmanagements im vergangenen Jahr, das dem Land die höchste Opferzahl Europas bescherte, kann Johnson sich nun als Corona-Bewältiger inszenieren – nachdem er bereits den Brexit geliefert hat.
Mit dem Erfolg zementiert Johnson, 56, sein Image als Wahlsieger. In seiner zwanzigjährigen Politikkarriere hat er bereits vier große Wahlen gewonnen: 2008 und 2012 wurde er zweimal zum Bürgermeister in London gewählt. 2016 gewann er das Brexit-Referendum, 2019 die Unterhauswahl.
Boris Johnson setzt weiter auf Brexit-Populismus
Jedes Mal bewies er, dass sein Appeal über alle Parteigrenzen hinweg bis weit ins Labour-Lager reicht. Er gleicht darin dem früheren Labour-Premier Tony Blair, der es vermochte, auch die konservativen Wähler im Süden Englands anzusprechen. Die konservative „Times“ träumt bereits von einem Jahrzehnt unter Johnson.
Wähler zeigen wenig Scheu, wenn sie den Regierungschef auf der Straße treffen. Sie nennen ihn „Boris“ und reißen sich um Selfies. Während um den kumpelhaften Premier ein regelrechter Personenkult entstanden ist, wird der blasse Labour-Oppositionsführer Keir Starmer von vielen Wählern nicht einmal erkannt.
Auch inhaltlich lässt Johnson der Opposition keinen Raum, sondern besetzt offensiv deren Terrain. Er hat die traditionelle Haushaltsdisziplin der Tories aufgegeben und Milliardeninvestitionen des Staates versprochen. Zur Finanzierung der neuen Ausgaben hat er sogar die Erhöhung der Unternehmensteuer angekündigt – lange ein Tabu in konservativen Kreisen.
Zugleich streut er immer wieder eine Prise Brexit-Populismus ein. Am Wahltag schickte er zwei Kriegsschiffe der Royal Navy zur Kanalinsel Jersey, um eine Protestaktion französischer Fischer „zu beobachten“. Der Flottenaufmarsch gegen die Franzosen kam an der Basis gut an.
In Schottland schlugen die Nationalisten Boris Johnson mit den eigenen Waffen
Die Opposition scheint gegen die Mischung aus Staatsinterventionismus und Nationalismus hilflos. Nur in Schottland wurde Johnson mit den eigenen Waffen geschlagen. Dort profitierte Regionalregierungschefin Nicola Sturgeon von ihrem Amtsbonus in der Coronakrise – und vom wachsenden Nationalgefühl der Schotten in Abgrenzung zu den Engländern. Zwar verpasste ihre schottische Nationalpartei die absolute Mehrheit um einen Sitz, aber zusammen mit den Grünen hat sie nun eine Mehrheit für ein zweites Unabhängigkeitsreferendum. Johnson habe keine demokratische Rechtfertigung, die Volksabstimmung zu blockieren, sagte Sturgeon.
Der Kampf um Schottland wird eine der zentralen Aufgaben in Johnsons Amtszeit. Er muss entscheiden, ob er ein Unabhängigkeitsreferendum genehmigt – und wie er es gewinnen will. Die Brexit-Erfahrung zeigt, dass nationaler Populismus selbst die besten ökonomischen Argumente übertrumpfen kann.
Johnsons zweite zentrale Aufgabe wird nicht einfacher: Er will das Süd-Nord-Gefälle zwischen London und dem Rest Englands abbauen. Im Regierungsprogramm, das Königin Elisabeth II. am Dienstag in der „Queen’s Speech“ vorträgt, wird der Premier erneut Milliardeninvestitionen für die strukturschwachen Regionen im Norden ankündigen. Doch ist in den vergangenen Jahrzehnten jede Regierung an diesem Ziel gescheitert.
Auch Johnson fällt bislang vor allem durch große Ankündigungen auf. Von den versprochenen staatlichen Investitionen in die Infrastruktur sei noch nichts zu erkennen, sagt Ökonom Fabrice Montagne von der Großbank Barclays. Irgendwann wird der Verweis auf Brexit und Corona nicht mehr ziehen, um den Mangel an Fortschritt zu entschuldigen. Vor der nächsten Unterhauswahl 2024 wird Johnson liefern müssen, sonst sind seine Wähler auch schnell wieder weg.
Mehr: Fünf Gründe, warum eine schottische Unabhängigkeit keinen Sinn macht
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