Report Obdachlosigkeit in Kalifornien nimmt dramatische Ausmaße an

Alleine in Los Angeles leben 44.000 Menschen auf der Straße.
San Francisco, Los Angeles Es ist wieder eine dieser vielen schlaflosen Nächte – nicht wegen einer langen, durchgefeierten Party mit Freunden oder einem der vielen Festivals, für die San Francisco so berühmt ist. Es ist der alltägliche Lärm der Verzweiflung, der nicht schlafen lässt.
Mein Appartementhaus im Herzen von San Francisco ist fast 100 Jahre alt, die Fenster sind undicht. Ob sie geschlossen oder offen sind, spielt eigentlich keine Rolle. Jede Nacht schreien sich auf der Straße vor dem Fenster die Verlierer der Digitalgesellschaft ihre Wut und ihren Frust aus rauen Kehlen von der Seele. Oft stundenlang. Es sind Betrunkene, Obdachlose, Drogenabhängige, Entwurzelte, die nie zur Ruhe finden, barfuß und die gehüllt sind in löchrige Filzdecken.
Übertönt werden ihre Schreie nur ab und zu von den Sirenen der Polizeifahrzeuge, die über die O'Farrell-Straße Richtung Union Square vorbeijagen. Wegen des Gebrülls hält schon lange keine Streife mehr an. Vermutlich ist irgendjemand zusammengeschlagen worden. Vielleicht ist noch Schlimmeres geschehen, dorthin geht die Jagd der Polizei.
Am Morgen zeigt sich mein San Francisco hinter meinem Küchenfenster mit der abgeplatzten weißen Farbe von der versöhnlichen Seite. Der Himmel ist strahlend blau, gegenüber sehe ich historische Gebäude mit reich verzierten Fassaden. Daneben steht ein gleißend weißer Appartementturm aus den 40er-Jahren, auf dessen Spitze eine amerikanische Flagge im Sommerwind weht.
Ich bin privilegiert. Meine kleine Wohnung liegt im obersten Stockwerk, und der Blick aus dem Fenster zeigt beim Morgenkaffee ein Stückchen Himmel und die malerische Seite der Westküstenmetropole. Um die Straße unten zu sehen, müsste ich mich aus dem Fenster lehnen. Aber das mache ich nicht.
Viele Obdachlose zieht es nach Kalifornien
„Kalifornien ist eine Schande für die USA“, hat US-Präsident Donald Trump jubelnden Fans auf einer Wahlkampfveranstaltung in Ohio zugerufen. Besonders San Francisco und Los Angeles mit ihren „Zeltstädten und fürchterlichen Verhältnissen“ seien ein Desaster. Die Hälfte aller Obdachlosen in den USA lebten in Kalifornien, behauptete der Präsident. Dass viele Wohnungslose in den Süden der Staaten zieht, bestreiten offizielle Stellen auch gar nicht. Wer kein Dach über dem Kopf hat, geht natürlich nach Kalifornien, nicht nach Alaska.
Jennifer Friedenbach von der Bürgerinitiative „Coalition on Homelessness“ kritisiert einen Präsidenten, der immer nur Sprüche mache und nichts gegen die Obdachlosigkeit unternehme. „Die Krise ist in den 80ern von einem anderen Republikaner ausgelöst worden, der die Mittel für den sozialen Wohnungsbau um 80 Prozent gekürzt hat“, sagt Friedenbach. Er erinnert so an den damaligen Präsidenten Ronald Reagan.
Hinzu kommt, dass viele Menschen auf der Straße mit psychischen Problemen zu kämpfen haben. Und die psychiatrischen Krankenhäuser wurden damals gleich mit geschlossen. Die Patienten irrten einfach auf der Straße umher. Bei vielen Krankenversicherungen war vor der Gesundheitsreform von Trumps Amtsvorgänger Barack Obama überhaupt keine Behandlung bei Geisteserkrankungen zu bekommen. Sie wurde einfach nicht bezahlt.
Trump macht nun die Kalifornien regierenden liberalen Demokraten für das Chaos und die entwürdigenden Zustände verantwortlich. Sie würden nur Geld verschwenden, behauptet der Präsident.
Kalifornien ist im Mittelpunkt des Vorwahlkampfs der Präsidentenwahl 2020 angekommen.

Direkt neben den Zelten befinden sich die Riesen-Trucks von Hollywood-Filmproduktionen.
Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom lade „die ganze Welt“ ein, auch illegale Einwanderer, auf Kaliforniens Kosten zu leben. War es in der Woche zuvor noch Baltimore im demokratischen Maryland, dem Trump menschenunwürdige Zustände vorwarf („Rattenverseucht, da will doch niemand leben“) oder Chicago, die Heimatstadt der Clintons, ist es nun San Francisco – mal wieder.
Tore hindern Obachlose daran, im Eingangsbereich zu schlafen
Trump will den demokratischen Vorzeigestaat Amerikas schlechtreden. Bei der Wahl in 2016 gaben in Kalifornien 66 Prozent der Wähler ihre Stimme an die demokratische Konkurrentin Hillary Clinton, im Silicon Valley waren es mehr als 90 Prozent.
Auf der einen Seite ist Kalifornien die Heimat des Silicon Valleys, beherbergt die Filmmetropole Hollywood und große Teile der Rüstungs- und Elektronikindustrie. Auf der anderen Seite herrscht dort die größte Kinderarmut der USA. Die Obdachlosigkeit steigt wegen rasch steigender Mieten und Immobilienpreise stetig an.
Die Straße holt mich wieder ein, wenn ich das Haus durch das gusseiserne Frontgitter verlasse, das irgendwann vor der Haustüre installiert worden ist. Es hindert Obdachlose daran, nachts im Eingangsbereich ihre Schlafsäcke auszurollen, ihre Notdurft zu verrichten oder durch die videoüberwachte Lobby ins Haus zu gelangen.
Jedes Haus hier hat solche Gitter installiert. Hier, das ist die Grenze zum Tenderloin. Dieser Stadtteil war in den 20er- und 30er-Jahren das kulturelle Herz der San Francisco. In einem Rechteck von sieben mal sieben Straßenblöcken zwischen Market und Geary-Street, und Mason und Van Ness-Street schätzt die Stadtverwaltung die Zahl der Obdachlosen auf knapp 4000.
Mein Weg zum Moscone-Veranstaltungszentrum führt mich auch an der imposanten Glide-Kirche an der Kreuzung Ellis- und Taylor Street vorbei. Die Glide Memorial United Methodist Church wurde 1931 eröffnet, ist heute eine der liberalsten Kirchen der USA und Ankerpunkt für die Verlorenen aus Tenderloin. Wenn die Essensausgabe ansteht, ist die Schlange oft mehrere hundert Meter lang, sie reicht um den ganzen Block und manchmal sogar darüber hinaus.
Jeden Abend werden hier und in den umliegenden Straßen auf den Bürgersteigen die Zeltstädte aufgebaut. Zerlumpte und vom täglichen Auf- und Abbau gezeichnete Nachtbehausungen drängen sich an Hausfassaden und bieten ihren Bewohnern einen letzten Rest von trügerischem Schutz, den sie mitunter aus einem früheren Leben noch kennen.
Es können immerhin irgendetwas hinter sich schließen – und sei es auch nur ein defekter Reißverschluss.

Der Großteil der Obdachlosen hat seine Wohnung wegen der immer weiter ansteigenden Mietpreise verloren.
Im größten Warenhaus der Innenstadt, bei Target, sind seit 2017 die Campingzelte in großen Gitterboxen eingeschlossen. Wer eines kaufen will, muss einen Verkäufer ansprechen. Die Diebstahlsrate war ohne diese Sicherheitsmaßnahme zu hoch, heißt es. Weggeschlossen sind auch Zahnpasta, Hygieneartikel für Frauen und Rasierbedarf.
Völlig verstörte Touristenfamilien bahnen sich entsetzt ihren Weg durch die teilweise halb- oder gar nicht bekleidet Menschen, die mit oder ohne Schlafsack apathisch auf den Bürgersteigen liegen. Entsetzte Kinder krallen sich an die Hände der Mütter und Väter, die noch die Koffer hinter sich herziehen, auf dem Weg ins Hotel. Es riecht penetrant nach Urin.
Die Hotels dieser Touristen sind zentral gelegen und ein Schnäppchen bei Preisen von üblicherweise verlangten 200 bis 500 Dollar pro Nacht. Aber es wird schnell klar, dass es im Tenderloin einen Grund für den günstigen Tarif gibt.
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keiner ist freiwillig obdachlos...es sind überall Geschichten eines Scheiterns des Individuums und der "erfolgreichen" Gesellschaft. Aber einfach ausgedrückt sind sie die Folge eines Versagens der Verteilung von Erfolg. Ein Land, dass über 600 Millarden USD jährlich für Militär ausgibt aber keinen Cent für sozialen Wohnungsbau (das machen nur Kommunisten) ausgibt und das de Fakto kein Gesundheitssystem hat, ein Land, dass die meisten Milliardäre weltweit hat...warum hat das Obdachlose? Weil es einfach nicht so "First" ist, wie sein Präsident es will und auf seine Art es auch nie werden wird.
Kalifornien ist ein reicher Bundesstaat, der den Demokraten zugetan ist.
Gerne wird auch über viele soziale Probleme und auch Klimawandel politisch diskutiert.
Da sind zum Einen die Bürger, die sich Sorgen machen, aber gut verdienen und sich die teuren Wohnungen leisten können. Da sind auch die Bürgern, die die Wohnungen teuer vermieten. Und zum Anderen sind da die Obdachlosen, die nur um das Überleben kämpfen.
NEIN und ich glaube wirklich nicht, dass Obdachlose gerne in San Francisco leben - dort ist es ungemütlich kalt - da schon lieber in Los Angeles oder San Diego.
Meine Frage: Was hält die Obdachlosen in San Francisco/Kalifornien? Leben sie dort, weil sie Angst vor republikanischen Repressionen haben? Warum interviewt man nicht diese Menschen, viele von ihnen haben eine Geschichte und sind recht klug!
Es ist schade, wenn man Menschen nur beobachtet, sich seine Meinung bildet, ohne mit ihnen gesprochen zu haben.