Russland Vor der Dumawahl verteilt Wladimir Putin innenpolitische Geschenke

Für den Kremlchef ging es diesmal vor allem darum, rechtzeitig vor der Dumawahl im Herbst innenpolitische Zeichen zu setzen.
Moskau In seiner Rede zur Lage der Nation würde es „vor allem um innenpolitische Fragen“ gehen, sagte Wladimir Putin gleich zu Anfang. Anders formuliert: Allzu viele Worte über neue Waffensysteme, mit denen der russische Präsident vor drei Jahren noch den Saal in Ekstase versetzt hatte, sollten die Zuhörer diesmal nicht erwarten.
Tatsächlich kam der außenpolitische Teil diesmal nur am Ende relativ kurz zur Sprache. Und auch wenn Putin im 21 Jahr seiner Amtszeit mit der Außenpolitik wie üblich die meisten Emotionen auslöste und seine Warnungen an das Ausland, die russischen Interessen nicht zu missachten, den größten Beifall fanden, war er 2021 diesbezüglich zurückhaltender als bei früheren Veranstaltungen.
Für den Kremlchef ging es vor allem darum, rechtzeitig vor der Dumawahl im Herbst innenpolitisch eine Zäsur zu setzen und den Kampf gegen Covid für beendet zu erklären. Weltweit hat die Pandemie für Unsicherheit gesorgt und zu Verdruss bei den Menschen geführt – so auch in Russland.
Putin war aber schnell dabei, die russische Medizin dafür zu loben, dass sie besser mit Covid zurechtgekommen sei als die „Gesundheitssysteme anderer entwickelter Länder“ – ein klarer Seitenhieb gegen Europa und die USA. Angesichts der Übersterblichkeit von rund 450.000 Menschen, die sich seit dem Ausbruch der Seuche im vergangenen April in Russland entwickelt hat, gibt es berechtigte Einwände gegen diese These.
Auf der anderen Seite kann der Kremlchef für sich beanspruchen, die Krise seit dem Herbst ohne einen weiteren Lockdown der Wirtschaft, ohne größere Freiheitseinschränkungen für die Bevölkerung durchgestanden zu haben.
Finanzspritze für Familien und Arme
Und tatsächlich sind die Infektionszahlen in Russland offiziell rückläufig, sodass Putin zwar einerseits warnte, dass „das Coronavirus noch nicht endgültig besiegt“ sei, andererseits aber vorschlug, schon mehr oder weniger wieder zur Tagesordnung überzugehen, um die Bekämpfung der sozialen Folgen der Pandemie anzugehen.
Naturgemäß gingen diese Forderungen im Wahljahr einher mit zahlreichen Versprechungen – gerade gegenüber den von Covid besonders betroffenen ärmeren Bevölkerungsschichten. Neben relativ unverbindlichen Aussagen zur Steigerung der Realeinkommen kündigte Putin konkrete Hilfen für Alleinerziehende und werdende Mütter in sozialen Nöten an.
Eine Einmalzahlung über gut 100 Euro gibt es im Sommer auch für Familien mit Schulkindern. Die Maßnahme erwies sich bereits 2020 als äußerst populär bei den Russen.
Interessanterweise fehlten diesmal fast völlig die ansonsten traditionellen Forderungen nach einem „technologischen Durchbruch“ Russlands. Stattdessen kündigte Putin durchaus konkret an, bis 2024 fast 20 Milliarden Euro in die Forschung zu investieren, unter anderem, um Russland bei der Produktion von Medikamenten und Vakzinen autark zu machen, aber auch, um den Energiesektor umzubauen.
Worte über Umwelt- und Klimaschutz hatte es auch schon in früheren Ansprachen Putins gegeben. Diesmal jedoch, so schien es, war der Akzent darauf deutlich stärker gelegt als in der Vergangenheit.
Anwalt des kleinen Mannes
Das Versprechen, die momentanen Steuererleichterungen für Klein- und Mittelständler dauerhaft festzuschreiben, wurde hingegen von der vagen Andeutung einer möglichen Steuererhöhung für Unternehmer zum Jahresende konterkariert. Trotz der Krise erwarteten viele Konzerne einen Rekordgewinn, so Putin, der die Forderung hinterherschickte, diese Gewinne wieder zu reinvestieren und nicht in Dividendenzahlungen zu stecken.
Ob die angekündigten Großkredite an Regionen tatsächlich dazu führen, dass künftig verstärkt Infrastrukturprojekte zum Nutzen und zur Bequemlichkeit der Bürger verwirklicht werden, bleibt abzuwarten. Solche Versprechungen gab es auch schon in der Vergangenheit.
In jedem Fall versuchte Putin einmal mehr, sich als Anwalt des „kleinen Mannes“ zu präsentieren – sei es bei der Forderung nach einem kostenlosen Gasanschluss für alle Haushalte in Russland oder bei dem Versprechen, die Arbeitslosigkeit bis Jahresende wieder auf das Vorkrisenniveau zu drücken.
Putins Rede findet in einer aufgeheizten Atmosphäre statt, innen- wie außenpolitisch. Washington hat gerade eine neue Sanktionsrunde gegen Moskau gestartet. Mit der tschechischen Regierung liegt die russische Führung wegen Vorwürfen eines Anschlags auf ein tschechisches Munitionsdepot über Kreuz, und auf die Zuspitzung im Donbass haben weltweit Politiker mit Besorgnis reagiert.
Daheim macht vor allem die Situation um Alexej Nawalny Probleme, auch wenn Putin den Namen in seiner Rede natürlich nicht erwähnte. Die Inhaftierung des Kremlkritikers hat nicht zu seinem Verstummen geführt. Im Gegenteil: Fast täglich gibt es Berichte über den sich verschlechternden Gesundheitszustand des Politikers, der Ende März aus Protest gegen die Verweigerung eines unabhängigen Arztes in den Hungerstreik getreten ist.
Protestaufruf des Nawalny-Fonds
Am Abend hat Nawalnys Fonds zur Korruptionsbekämpfung (FBK) zu landesweiten Protesten aufgerufen. Das Datum wurde bewusst gewählt, um Putins Zukunftsvisionen mit den Bildern real knüppelnder Polizisten zu kontrastieren. Dass die Sicherheitskräfte hart vorgehen werden, haben sie schon bei den vorangegangenen Demos im Winter klargemacht, als sie eine Rekordzahl an Demonstranten festnahmen.
Die Kundgebungen am Mittwoch geißelte die Staatsanwaltschaft bereits im Vorfeld als illegal und warnte potenzielle Teilnehmer vor strafrechtlichen Folgen. Das Zentrum von Moskau wurde bereits am Morgen weiträumig abgesperrt, Nawalny-Vertraute wie seine Juristin Ljubow Sobol oder die FBK-Pressesprecherin Kira Jarmysch wurden festgenommen.
Die zunehmende Polarisierung der russischen Gesellschaft, die einhergeht mit einer verstärkten Gewaltbereitschaft auf beiden Seiten, passt wenig zu der von Putin beschworenen Einheit des russischen Volkes.
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