Saudi-Arabien Kronprinz treibt Saudi-Arabiens Öffnung voran – und beginnt mit den Rechten für Frauen

Bis jetzt mussten Frauen die Genehmigung eines männlichen Familienmitglieds einholen, um einen Pass zu erhalten und ins Ausland zu reisen. Jetzt können Frauen, die älter als 21 Jahre alt sind, einen Pass beantragen.
Berlin Die Revolution geht weiter: Der spätestens seit der Ermordung des saudischen Bloggers Jamal Khashoggi vor einem Jahr im Konsulat des Königreichs in Istanbul schwer umstrittene Kronprinz Mohammed bin Salman öffnet sein Heimatland politisch immer weiter.
In der Nacht zu diesem Freitag, der in der islamischen Welt arbeitsfrei ist, wurde ein Dekret des Königs veröffentlicht, das Frauen nun auch das freie Reisen erlaubt. Bisher brauchten sie immer die Zustimmung von Ehemann, Vater oder Bruder, wenn sie einen Reisepass beantragen oder ins Ausland reisen wollten.
„Guardianship“ wird bisher die Vormundschaft der Männer über saudische Frauen genannt. Und immer wieder erzählten in den vergangenen Jahren Frauen über Twitter, Facebook und andere Netzwerke Horrorgeschichten, wie sie von männlichen Verwandten drangsaliert und bevormundet wurden. Live bei Twitter übertrug zuletzt die 18-jährige Rahaf al-Qunun ihr Fluchtdrama und löste so weltweite Solidarität aus.
Die Tür ihres Hotelzimmers in Bangkok hatte sie mit Schrank und Bett verbarrikadiert, während sie in die Kamera ihres Handys um Asyl vor ihrer gewalttätigen Familie in Saudi-Arabien flehte. Nach einer Odyssee um die halbe Welt gewährte ihr schließlich Kanada Schutz vor der Willkür ihres Vaters und ihrer Brüder.
Endlich ohne Kopftuch gab sie TV-Interviews und erzählte auf Youtube, wie sie nun anderen bedrängten Frauen in ihrer Heimat helfen wolle.
Immerhin bei der Frage des Reisens muss sie das nun nicht mehr tun: In dem königlichen Dekret, das der alternde Monarch König Salman bereits vor drei Tagen unterzeichnet haben soll, wird jedem volljährigen saudischen Bürger das Recht auf einen Reisepass eingeräumt – ganz ohne geschlechtsspezifische Einschränkung.
Bisher mussten bei Frauen männliche Verwandte zustimmen – auch dann, wenn die Frauen studieren oder arbeiten wollten. Vor einem Jahr war im bisher erzkonservativen Königreich das Verbot abgeschafft worden, dass Frauen selbst Auto fahren dürfen.
Erstmals wird die häusliche Allmacht der saudischen Männer begrenzt – und das strikte Vormundschaftsrecht gelockert. Doch abgesehen davon bleiben alle anderen Bevormundungen der Frauen bestehen: Frauen dürfen auch weiterhin nicht selbst entscheiden, wen sie heiraten, ob sie studieren, arbeiten oder eine Wohnung mieten.
Öffnung des Handels als Angriff auf islamische Konservative
Aber der 33 Jahre alte Thronfolger, dem von US-Geheimdiensten der Auftrag zum Mord am Blogger Khashoggi zur Last gelegt wird, will sein Land jetzt noch schneller umbauen. Und dabei legt er sich mit dem mächtigen islamischen Klerus an.
Saudi-Arabien ist mit den für Moslems heiligen Stätten Mekka und Medina seit der Zeit des Propheten Mohammed die Wiege des sunnitischen Islams. Bisher hatten dort besonders konservative wahhabitische Imame das Sagen.
Das will der in seiner Heimat nur MbS genannte, junge Kronprinz ändern: Im Bau ist die 500 Milliarden US-Dollar teure gigantische Industrie-Megacity Neom am Roten Meer, wo künftig liberale Lebensformen herrschen sollen.
Unweit der Hauptstadt Riad wächst mit Qiddiya etwas bisher Undenkbares aus dem Wüstensand: Eine riesige Stadt mit Themenparks, Unterhaltungszentren sowie Spiel- und Abenteuerflächen – und das in einem Land, in dem bis vor Kurzem noch Kinos und Opernhäuser verboten waren.
Und nun will MbS bei seinem 83-jährigen Vater durchsetzen, dass eine weitere Festung des konservativen Islams geschliffen wird: Läden sollen künftig rund um die Uhr öffnen können. Bisher wurden gegen 15, 18.30 und 20 Uhr immer wieder Kunden aus Shoppingmalls, Supermärkten, Tankstellen und Restaurants verscheucht – für die islamischen Gebetszeiten.
Fünf Mal am Tag beten gläubige Muslime, und in diesen Zeiten dürfen bisher nicht einmal Apotheken geöffnet sein. Als der saudische TV-Kanal „Al-Arabiya“ kürzlich auf seiner Website eine Meldung veröffentlichte, dass diese Zwangsschließungszeiten für Läden abgeschafft werden, ging ein Aufschrei durch die größte Volkswirtschaft am Golf. „Al-Arabiya“ zog die Meldung zurück. Seither rumort es im Königreich.
Doch Handelsminister Majid al-Qasabi verteidigt den Plan: Die Liberalisierung der Öffnungszeiten „macht Waren und Dienstleistungen rund um die Uhr verfügbar und öffnet dem Privatsektor Wachstums- und Investitionschancen und schafft Jobs“.
Die werden dringend gebraucht: Die Arbeitslosigkeit in dem Land, in dem das Durchschnittsalter der Bevölkerung 27,9 Jahre beträgt, ist gerade bei jungen Menschen trotz des Ölreichtums hoch.
Die Schaffung von Arbeitsplätzen und eine gesellschaftliche Liberalisierung hat MbS als seine Top-Prioritäten ausgerufen. Und deshalb ist der Monarch trotz der Vorwürfe im Fall Khashoggi und trotz seiner häufig in den Medien thematisierten Verschwendungswut gerade bei seinen jungen Landsleuten extrem beliebt.
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