Saudi-Arabien Sprung in die Neuzeit

Das abgeschottete, als erzkonservativ verschrieene Königreich Saudi Arabien durchläuft gerade eine beispiellose Phase von wirtschaftlichen und sozialen Modernisierungen.
Riad Giga-Projekte sind die neue Welt von Klaus Kleinfeld, Mega – wie große Bauvorhaben bisher hießen – reichen Saudi-Arabien nicht mehr. 500 Milliarden Dollar wollen der saudische Staatsfonds PIF und ausländische Firmen in das stecken, was sie hier „unseren Traum“ nennen: Bis 2025 soll der erste Teil der vollständig mit Solarstrom und Windkraft gespeisten neuen Metropole Neom stehen, am Roten Meer im Nordwesten des Landes. Modernste Technologien sollen dort produziert werden, Drohnen den Transport erledigen, die beste Bildung und Krankenversorgung der Welt bieten – beides natürlich kostenlos und alles emissionsfrei.
Es soll der unumkehrbare Durchbruch der saudischen Reformen werden und die wirtschaftliche und kulturelle Öffnung des Wüstenstaates festschreiben. Weit über die saudischen Grenzen hinaus soll das Projekt Talente anlocken, die „den Mut haben zu Träumen und ihre Träume wahr werden zu lassen“. So verheißt es Kleinfeld. Der frühere Siemens-Chef ist zum Vorstandsvorsitzenden von Neom gekürt worden. Er soll die Vision vom neuen Saudi Arabien verwirklichen.
Chinesische Drohnen, futuristische Jets des Milliardärs Richard Branson, laufende und sprechende Roboter, Wasser-, Motor- und Alpinsport in der Wüste: Noch ist sind all das nur Bilder, Modelle, moderne 3D-Animationen und ein Hologramm eines sich bewegenden und fauchenden Löwen. Über den schwarz ummantelten Räumen, in denen Neom derzeit in der saudischen Hauptstadt Riad präsentiert wird, hängen noch wie die Ahnen der Vergangenheit die schweren gewaltigen Kronleuchter im opulenten Konferenzzentrum von Riad, das König Fahd einst als Hochzeitspalast für seinen Sohn erbauen ließ.

Der deutsche Manager soll die Giga-City Neom zum Symbol des modernen Landes machen.
Das abgeschottete, als erzkonservativ verschrieene Königreich Saudi Arabien durchläuft gerade eine beispiellose Phase von wirtschaftlichen und sozialen Modernisierungen. Das bisher völlig vom Öl abhängige Land will unabhängig von der ebenso flüssigen wie volatilen Ressource werden und es muss zugleich seinen Reichtum so transformieren, dass die Bevölkerung – 70 Prozent ist jünger als 30 Jahre und viele sind arbeitslos – Jobs und Lebensperspektiven bekommt.
Der Weg in die Neuzeit führt die Saudis erst einmal zurück zu den Wurzeln, wenngleich die Zukunft des wichtigsten Petrostaats der Erde nichts mehr mit Öl oder Perlen wie zu Zeiten der Staatsgründung vor 85 Jahren zu tun haben soll. Aber der für saudische Verhältnisse sehr junge Kronprinz Mohammad bin Salman Al Saud umreißt seinen Kurs so: „Wir kehren dorthin zurück, woher wir kommen – wir werden wieder ein Land des moderaten Islam, das offen für alle Religionen und offen für die ganze Welt ist.“
Die revolutionären Worte des 32-Jährigen, der erst Mitte Juni durch Absetzung des bisherigen, eher konservativen Kronprinzen Mohammed bin Najef ins Zentrum des königlichen Hofes rückte, rütteln an den Grundfesten einer Gesellschaft, in der bisher die besonders rückwärtsgewandte Form des Islam – der Wahhabismus – vorherrschte. Riad finanzierte radikale Prediger in Europa, in Saudi-Arabien wuchs so mancher später bekannt gewordene Terrorist auf – wie die Attentäter, die am 11. September 2001 Linienjets in das World Trade Center und das Pentagon lenkten. Heute erklärt der mutige Reformer, den hier alle nur MbS nennen: „Wir werden den Extremismus vernichten. Wir werden nicht mehr mit den destruktiven Ideen leben, die unsere letzten Jahre beherrscht haben.“
Es ist eine „Kulturrevolution“, die der Kronprinz anstoße, meint ein Spitzendiplomat in Riad, „eine Revolution von oben“. Aber Mohammad bin Salman, der als erster Sohn in der saudischen Geschichte seinem heute 81 Jahre alten Vater Salman auf den Königsthron folgen will, betont: „Ich bin nur einer von 20 Millionen Menschen hier. Ohne sie wäre ich nichts, sie drängen und treiben mich an.“ Und wie: Am Abend nach seinem Auftritt auf dem Forum Future Investment Initiative in Riad mischt er sich unter seine Untertanen und lässt über eine Stunde lang geduldig Selfies mit sich machen.
Als „Mister alles und überall“ ist Mohammad bin Salman bekannt, er ist „der Motor, der Saudi Arabien heute antreibt“, heißt es anerkennend in seinem Umfeld – das aus der Vergangenheit ganz andere Führer kennt. Der Kronprinz ist Vizepremier, Verteidigungsminister, Chef des mächtigen Wirtschaftsreform-Rates und als Chairman des inzwischen auf 400 Milliarden Dollar verwalteten Vermögens emporgeschnellten Staatsfonds Public Investment Fund (PIF). Um weitere 100 Milliarden soll der PIF durch den 2018 angepeilten Börsengang des weltgrößten Ölriesen Saudi Aramco anschwellen, danach soll der PIF mit zwei Billionen Dollar Vermögen der mächtigste Fond der Welt sein. Und so soll sichergestellt werden, dass das bevölkerungsreichste arabische Land am Golf unabhängig wird von den schwankenden Öleinnahmen. Die Produktion moderner Produkte und futuristischer Technologien soll es richten.
Doch Mohammad bin Salman lebt nicht nur von Ankündigungen, er lässt das alte, reaktionäre Saudi Arabien in seinen Grundfesten erzittern: Am Nationalfeiertag im September tanzten erstmals Männer und Frauen auf den Straßen, Frauen dürfen jetzt die Stadien besuchen und ab Juni 2018 erstmals selbst Auto fahren. Und sie sind begeistert: „Just do it – fangt einfach etwas an, es wird gelingen“, ruft Sarah Alsuhaimi jungen Frauen zu, CEO der Bank NCB Capital und erst seit Kurzem Aufsichtsratschefin der saudischen Börse Tadawul.
Auch für Auslandsinvestoren biete das Land zwischen Rotem Meer und Persischem Golf inzwischen enorme Chancen: „Wir haben die Börse für Ausländer geöffnet, erstmals in der Geschichte“, sagt Alsuhaimi. Und um die Transparenz zu steigern, müssten alle an der Tadawul gelisteten Unternehmen neuerdings Rechenschaftsberichte nach internationalen Standards abgegeben. Saudi-Arabien hat zudem voriges Jahr die größte Schwellenlands-Anleihe aller Zeiten emittiert. Und auch Tadawul selbst, verspricht die energische Chairperson, werde bald an die Börse.
Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Saudi Arabien verändern sich rasant. „Der Kronprinz ist der erste, der die Geißel Korruption echt bekämpft. Das Übel, das die arabische Welt über Jahrzehnte gelähmt hat“, schwärmt Abdulrahman Zamil, der Übervater der Industriellendynastie Zamil. Ausländische Investoren sind dem Aufruf von Alsuhaimi längst gefolgt – sie stehen Schlange, um am rasanten Umbau des weltgrößten Ölexporteurs teilzuhaben.
„Die Bundesregierung muss Saudi-Arabien mehr Aufmerksamkeit schenken, so wie es US-Präsident Trump und Regierungschefs anderer Staaten tun“, mahnt ein deutscher Unternehmer unter der Bedingung, nicht namentlich zitiert zu werden. Denn die Saudis liebten Deutschland und deutsche Produkte, betont auch PIF-Chef Yasir Al-Rumayyan, im Gespräch mit dem Handelsblatt: „Wir wollen eine viel intensivere Kooperation mit Deutschland.“ Doch da müsse, betonen Großinvestor und deutscher Firmenchef unisono, mehr aus Berlin kommen.
Im Land ist aber auch Kritik an der Modernisierung zu hören. Wenn auch nur leise, denn nicht nur der bisherige Kronprinz bin Najef wurde – wie manche radikalislamische Kleriker – ausgeschaltet. Tatsächlich war mit Masdar in den benachbarten Vereinigten Arabischen Emiraten bereits einmal der Versuch gescheitert, eine emissionsfreie Stadt aus dem Boden zu stampfen. Aber der Kronprinz ist entschlossener als die Nachbarn. Und er ist zum Erfolg verdammt: „Wenn er nicht liefert, der Umbau stockt oder nicht genügend neue Jobs entstehen, wird er auch persönlich massiv unter Druck kommen“, ist sich ein hochrangiger ausländischer Beobachter sicher. Dann würde die Krake steinzeitlicher Islamisten,wieder neu erwachen.
Doch Mohammad bin Salman setzt sich über die Mahner und Zweifler hinweg. Mit Giga-Projekten wie der neu geplanten Megastadt Neom treibt er den Umbau seines Landes immer rasanter voran – „Tag und Nacht“, weiß Kleinfeld zu berichten. Denn der Kronprinz ist bei seinen Ministern und Mitstreitern dafür berüchtigt, dass er sie besonders gern spät zu sich ruft. Und nachts gibt es nur eines, was ihm noch mehr Freude bereitet als hochfliegende Diskussionen über seine Zukunftspläne – Computerspiele.
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