Schiedsgerichte EuGH schützt Staaten vor Klagen durch Energiekonzerne

Viele weitere Länder werden in den kommenden Jahren Kohleausstiege beschließen.
Brüssel Der Klimaschutz in Europa könnte billiger werden, als manche Beobachter vermutet haben. Zwar sind die Kosten für den Umbau der Wirtschaft enorm. Doch zumindest ein Risiko hat der Europäische Gerichtshof am Donnerstag verkleinert: Wenn die Investitionen von Energiekonzernen wertlos werden, haben diese es nun schwerer, an eine Entschädigung zu kommen.
Grundlage ist der Energiecharta-Vertrag: Er sichert den Unternehmen Entschädigungen zu, wenn etwa Vattenfall in Deutschland ein Atomkraftwerk nicht mehr betreiben darf oder RWE in den Niederlanden ein Kohlekraftwerk abschalten muss. In beiden Fällen klagten die Unternehmen gegen den Staat auf Grundlage der Energiecharta. Zuständig ist dann laut Vertrag kein normales Gericht, sondern ein Schiedsgericht, das eigens für diesen Fall einberufen wird.
Die Schiedsgerichte stehen in der Kritik, weil sie nicht den Standards normaler Gerichte entsprechen: Sie sind weniger transparent, oft gibt es keine Berufungsinstanzen, und die gleichen Juristen treten mal als Richter, mal als Anwalt einer Streitpartei auf.
Nun hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Urteil festgelegt, dass diese Schiedsgerichte nicht für Klagen innerhalb der EU zuständig sein können. Ein Investor aus einem EU-Staat darf also keinen EU-Staat verklagen. Denn nur „ein zum Gerichtssystem der Union gehörendes Gericht“ könne „die volle Wirksamkeit des Unionsrechts gewährleisten“, so der EuGH.
Das Urteil könnte sich negativ auch auf deutsche Unternehmen auswirken. Einige von ihnen haben in Ländern investiert, die früher oder später einen Kohleausstieg beschließen werden. So hat RWE gegen den Kohleausstieg der Niederlande geklagt, da er die Laufzeit dortiger Kraftwerke verkürzt, ohne dass die Unternehmen entschädigt werden.
Solche Verfahren müssten nach dem Willen des EuGH abgebrochen werden, oder zumindest dürften keine weiteren Klagen dieser Art eingereicht werden. Das würde es für Staaten billiger machen, aus Kohle und Kernkraft auszusteigen, der Schaden läge bei den Unternehmen.
Das Verfahren gegen die Niederlande sieht RWE allerdings vorerst nicht gefährdet: „Wir werden die Entscheidung des EuGH natürlich weiter prüfen und bewerten. Wir gehen aber davon aus, dass die Entscheidung keine unmittelbare Auswirkung auf das von uns initiierte ICSID-Schiedsverfahren haben wird“, sagte ein Unternehmenssprecher dem Handelsblatt.
Das Schiedsgericht entscheidet
Der Grund dafür ist, dass die Schiedsgerichte sich nur auf den Energiecharta-Vertrag berufen und nicht auf Urteile des EuGH. „In der Vergangenheit ist in über 30 vergleichbaren Schiedsverfahren festgestellt worden, dass EU-Recht der Anwendung des Energiecharta-Vertrags nicht entgegensteht“, heißt es bei RWE. Letztlich entscheide das Schiedsgericht, welche Relevanz die Entscheidung des EuGH habe.
Für die Europaabgeordnete Anna Cavazzini (Grüne) ist das ein Skandal: „Leider haben Schiedsrichter die Tendenz, den Europäischen Gerichtshof einfach zu ignorieren“, sagte sie.
Wie künftige Klagen und Urteile durch das EuGH-Urteil beeinflusst werden, ist also nicht klar. Trotzdem könnte es Unternehmen viel Geld kosten – und die Staaten könnten viel Geld sparen. Denn viele Streitigkeiten kommen gar nicht erst zur Anklage oder werden durch Vergleiche gelöst. So beendeten der schwedische Konzern Vattenfall und die Bundesrepublik Deutschland ihren Rechtsstreit vor einem Schiedsgericht, nachdem die Bundesregierung 1,4 Milliarden Euro gezahlt hatte. Kohlekonzerne erhielten im Rahmen des Kohlekompromisses mehrere Milliarden und sicherten zu, nicht auf Grundlage der Energiecharta zu klagen.
Das aktuelle Urteil des EuGH gibt den Staaten nun ein zusätzliches rechtliches Argument, sich gegen Klagen zu wehren – und könnte so die Entschädigungszahlungen klein halten, die von den Unternehmen an den Staat fließen.
Die EU arbeitet derzeit an einer Reform der Energiecharta. Da einige Mitgliedstaaten die blockieren, ist eine Notlösung im Gespräch, der sich Deutschland aber noch nicht angeschlossen hat: Demnach würden die EU-Staaten miteinander vereinbaren, dass sie untereinander keine Klagen auf Grundlage der Energiecharta zulassen, wenn es um den Ausstieg aus klimaschädlichen Prozessen geht. Damit wäre das erreicht, was der EuGH mit seinem Urteil beabsichtigt. „Die Energiecharta darf die Energiewende nicht behindern“, sagte Cavazzini dem Handelsblatt.
Mehr: Die Tücken der Energiecharta: Ein alter Handelsvertrag könnte die Energiewende noch teurer machen
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.