Schlechte Umfragewerte Corona zwingt Trump zu einer Strategieänderung im US-Wahlkampf

Der US-Präsident nutzt das tägliche Corona-Briefing für seinen Wahlkampf.
Washington Am 29. Februar war die republikanische Welt noch in Ordnung. Die „Conservative Political Action Conference“ (CPAC), eine Art Werteunion unter Starkstrom, trug das Motto „America vs. Socialism“. Frauen mit viel Make-up und gut gescheitelte Männer bejubelten den Stargast Donald Trump.
Dort, in einem Kongresszentrum in Maryland, waren die Fronten klar: Auf der einen Seite der republikanische Präsident, der die Steuern gesenkt und mehr als eine Million Jobs geschaffen hat, unter dem die Börsenkurse Rekordhöhen erreichen und die restliche Welt die Vereinigten Staaten endlich wieder respektiert. Auf der anderen Seite die Umverteiler der Demokraten, die Amerikas wahre Interessen verraten.
Aus Sicht der Republikaner war es ein Auftakt nach Maß zu einem Wahlkampfjahr, von dessen Fahrplan fünf Wochen später nichts mehr übrig ist. In der Coronarezession kann der Präsident nicht länger auf steigende Börsenkurse und neue Jobs als Erfolgsnachweis setzen.
„Amerika gegen den Sozialismus“ zieht ebenfalls nicht mehr, seit auch die Republikaner mit billionenschweren staatlichen Rettungspaketen den Absturz der Mittelschicht verhindern wollen. Zumal nun klar ist, dass nicht der linke Bernie Sanders für die Demokraten antreten wird, sondern der moderate Joe Biden, ehemals Vize unter Barack Obama.
Am Ostermontag hat Sanders seine Anhänger aufgefordert, für Biden zu stimmen. Einen Tag später zog Obama selbst nach. Der Ex-US-Präsident sicherte Biden offiziell seine Unterstützung im US-Präsidentschaftsrennen zu. Er sei stolz, seinen Freund Biden als Präsident zu empfehlen, sagte Obama in einer auf Twitter verbreiteten Videobotschaft.
Nicht nur die Inhalte, auch die Methoden des Wahlkampfs haben sich geändert, für beide Parteien. Webcasts, Fernsehauftritte und Social-Media-Posts müssen coronabedingt Stadionreden, Häuserwahlkampf und Sponsorendinner ersetzen.
Auch die „Convention“, der volksfestähnliche Wahlparteitag, auf dem die Demokraten Joe Biden endgültig zu ihrem Spitzenkandidaten küren, soll, wenn überhaupt, nun erst am 17. August starten, mehr als einen Monat später als geplant. Die Convention der Republikaner soll unverändert am 24. August beginnen.
Ungewiss erscheint auch, was für ein Land da im November seinen Präsidenten wählt: eine gestrauchelte Supermacht, deren Wirtschaft in einer tiefen Rezession steckt, mit Millionen verzweifelter Arbeitsloser? Oder ein Land, das den Virusschock hinter sich gelassen hat und in dem sich die Börsenkurse schon wieder dem Vor-Corona-Niveau nähern?
Fast alles an diesem Wahljahr hat sich in den vergangenen Wochen geändert. Nur eines ist bemerkenswert konstant: die Demoskopie. Bei der Frage, wen die Amerikaner lieber als Präsidenten hätten, liegt Biden im direkten Vergleich zu Trump bei fast allen seriösen Umfragen seit Jahresbeginn in Führung, mal mit zwei Prozent, mal mit neun Prozent Vorsprung. Lediglich eine Umfrage im Auftrag des konservativen Nachrichtensenders Fox News verzeichnete Gleichstand zwischen Trump und Biden.
Kaum steigende Zustimmungswerte
Erstaunlich wenig Bewegung gab es durch Corona auch bei den Zustimmungswerten für Präsident Trump. Laut der Statistikplattform Fivethirtyeight.com, die alle Wahlumfragen in den USA bündelt, waren zum Jahreswechsel im gewichteten Schnitt aller Umfragen 52,9 Prozent der potenziellen Wähler mit Trumps Amtsführung unzufrieden. Nur 42,6 Prozent waren zufrieden. Stand Ostermontag waren 44,3 Prozent mit Trump zufrieden, 51,4 Prozent unzufrieden.
Der kleine Aufschwung in den Zustimmungswerten entstand Mitte März, als Trump sich selbst zum obersten Corona-Krisenmanager aufschwang. „Rally ’round the flag“, sich um die Fahne versammeln, nennen Meinungsforscher den Effekt, wenn in Krisenzeiten die Zustimmung zum amtierenden Regierungschef steigt.
Doch in der Coronakrise fällt dieser Effekt in den USA vergleichsweise schwach aus: Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 stiegen die Zustimmungswerte von George W. Bush von 51 auf 86 Prozent.
„Es sieht nicht gut aus für Trump“, sagt Christopher Wlezien. „Er schneidet in Umfragen schlechter ab als jeder im Amt befindliche Präsident vor ihm, zu dem uns Daten vorliegen.“ Wlezien ist Professor für Politikwissenschaften an der University of Texas in Austin. Sein Spezialgebiet ist das Wählerverhalten bei US-Präsidentschaftswahlen. „Trump muss etwas verändern, seine jetzigen Werte reichen nach aller Voraussicht nicht aus, um die Wahl im November zu gewinnen“, sagt Wlezien.
Trumps bisher wichtigste Veränderung: Er hat das tägliche Briefing der Corona-Taskforce zu seinem zentralen Kommunikationsinstrument gemacht. Die Veranstaltung im Weißen Haus, die von allen wichtigen Nachrichtensendern übertragen wird, dauert bisweilen mehr als zwei Stunden.
Trump nutzt sie zum einen, um immer wieder seine zentralen Argumente zu wiederholen: Er habe die Coronagefahr früher als die Demokraten erkannt und deshalb bereits am 31. Januar einen Einreisestopp gegen China verfügt. Nun habe er die Bekämpfung der Pandemie im Griff.
Zu tatterig als Präsident?
Ist Corona erst besiegt, sei zudem niemand besser qualifiziert als Trump, die US-Konjunktur zu neuer Blüte zu führen: „Wir habe die beste Wirtschaft aufgebaut, die die USA je hatten, wir werden es noch einmal tun.“
Hemmungslos nutzt Trump das Regierungsbriefing für den Wahlkampf. So forderte er Sanders-Anhänger auf, doch lieber für die Republikaner zu stimmen als für Biden. Oder er nutzt das Forum, um Biden als Sleepy Joe zu diskreditieren. „Schläfriger Joe“, das ist Trumps Spottname für Biden.
Trumps Haus- und Hofsender Fox News liefert das Narrativ dazu, indem es jene tatsächlich nicht allzu seltenen Momente zusammenschneidet, in denen Bidens Sätze im zusammenhanglosen Nirvana zu hängen scheinen. Biden ist 77 Jahre alt, lautet die nicht besonders subtile Botschaft des Trump-Lagers, und schlicht zu tatterig, um Präsident zu sein.
Was Biden dem entgegenzusetzen hat, ist das Heimstudio, das er sich im „Recreation Room“ (Biden), also im Freizeitraum seines Hauses in Wilminton im US-Bundesstaat Delaware, hat einrichten lassen. Mithilfe von Webcasts wendet er sich von hier aus an seine Wähler, im Hintergrund eine Bücherwand und eine wie zufällig drapierte US-Flagge.
Viele, die Biden persönlich begegnet sind, berichten von der gewinnenden Wärme, die er ausstrahlt. Im digitalen Corona-Wahlkampf kann er die nicht rüberbringen. Und auch die speziellen Gesprächsrunden für Wahlkampfsponsoren leiden in ihrer digitalen Variante darunter, dass nun kein Spender mehr damit renommieren kann, mit dem (künftigen) Präsidenten der USA diniert zu haben. Bislang hat Biden nur einen Bruchteil der Summe auftreiben können, die den Republikanern für ihre Wahlkampagne zur Verfügung steht.
In der konkreten Bekämpfung der Pandemie und ihrer ökonomischen Folgen taucht Biden kaum auf. Er besetzt derzeit kein politisches Amt, in dem er Rettungspakete schnüren oder Feldlazarette errichten könnte. „Ich wäre jetzt auch lieber im Senat“, hat der ehemalige Vizepräsident noch Ende März eingeräumt.
Schon träumen einige in der demokratischen Partei davon, dass statt des soliden, aber unauffälligen Biden irgendwie doch noch Andrew Cuomo zum Präsidentschaftskandidaten werden könnte. Der Gouverneur des Bundesstaats New York hat während der Bekämpfung der Coronakrise durch entschlossenes Handeln eine gute Figur abgegeben. Doch sofern Biden nichts zustößt, wird Cuomo als Kandidat wohl nur ein Gedankenspiel für den Washingtoner Polit-Smalltalk bleiben.
Vizin gesucht
Die vielleicht wichtigste Entscheidung, die Biden jetzt zu treffen hat: Wer soll seine Vizepräsidentin werden? Dass er eine Frau als „Running Mate“ will, hat er bereits klargestellt. Darüber hinaus sollte sie im besten Falle einer Minderheit angehören, junge Wähler begeistern und aus einem „Swing State“ stammen. Also aus einem Bundessstaat, der jedes Mal zwischen Republikanern und Demokraten umkämpft ist. Regierungserfahrung ist auch von Vorteil, denn bei Bidens Vize stellt sich dringender als bei jüngeren Kandidaten die Frage: Wird die Nummer zwei im Ernstfall in der Lage sein, den Präsidenten zu ersetzen?
„Joe Biden hat alle Qualitäten, die wir jetzt in einem Präsident brauchen“
Als Favoritinnen gelten die Senatorinnen Kamala Harris (Afroamerikanerin) und Amy Klobuchar sowie Elisabeth Warren (links, aber mit 70 Jahren eigentlich zu alt), alle drei bis vor wenigen Wochen selbst als Präsidentschaftskandidatinnen unterwegs. Ferner die Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer (regierungserfahren, Swing State).
Angesichts der vielen Probleme, mit denen Bidens Kampagne bislang kämpft, ist Trumps Rückstand in den Umfragen für den Amtsinhaber umso bedrohlicher. Nach jetzigem Stand schätzt Wahlforscher Wlezien, dass Biden US-weit einen doppelt so großen Vorsprung vor Trump erzielen wird wie die demokratische Kandidatin Hillary Clinton 2016.
Damals konnte sich Trump trotz seines landesweiten Rückstands in den Wählerstimmen die Präsidentschaft sichern, weil er die Mehrheit im Electoral College hatte. Jenem Gremium, dessen 538 Mitglieder am Ende über den Präsidenten entscheiden. Diese sogenannten Wahlmänner werden pro Bundesstaat an den Wahlsieger im jeweiligen Staat vergeben. Je größer Trumps landesweiter Rückstand auf den demokratischen Kandidaten ausfällt, umso unwahrscheinlicher wird es, dass sich das Szenario von 2016 wiederholt.
Auf welche Staaten es ankommt
David Plouffe gilt, seit er 2008 Barack Obama zum Sieg führte, als einer der besten Wahlkampfmanager der USA. Heute steht er in Diensten der philanthropischen Chan Zuckerberg Initiative von Facebook-Gründer Marc Zuckerberg und dessen Frau.
Doch noch immer schlägt sein Herz für den Wahlkampf – und für die Demokraten. Er rät ihnen, sich 2020 auf neun besonders umstrittene Bundesstaaten zu konzentrieren: Michigan, Pennsylvania, Wisconsin, Florida, Arizona, North Carolina, Georgia, Nevada und New Hampshire.
Nicht für alle diese Staaten gibt es Umfragen, die aktuell genug sind, um einen eventuellen Corona-Effekt zu berücksichtigen. Da, wo Zahlen vorliegen, hat meist Biden die Nase knapp vorn. Aber eben nur knapp. Plouffe rechnet vor, dass die Demokraten noch rund fünf bis zehn Millionen zusätzliche Stimmen benötigen, um die Wahl sicher für sich zu entscheiden.
Sein Rat: Biden müsse sich auf zwei Wählergruppen konzentrieren. Erstens Afroamerikaner – bei denen genießt Biden als Obamas stets loyaler Vize bis heute hohes Ansehen. Doch Biden muss dieses oft eher politikverdrossene Milieu motivieren, auch tatsächlich zur Wahl zu gehen. Zweitens: junge Wähler. Die haben bislang die Fanbase von Bernie Sanders gebildet und sich von seinen für US-Verhältnisse linken Ideen begeistern lassen.
Jetzt, wo Sanders aus dem Rennen ausgeschieden ist, gelte es, auch diese Klientel für die Demokraten zu bewahren. Plouffe empfiehlt, vor allem auf Social Media zu setzen, um junge Wähler trotz Lockdown zu erreichen.
Für die passenden Inhalte sorgt Biden bereits, indem er wohldosierte Wahlversprechen seines innerparteilichen Rivalen Sanders übernimmt. So will Biden die Studiengebühren für die ersten vier Jahre an staatlichen Hochschulen für Kinder aus Haushalten mit niedrigem und mittlerem Einkommen streichen.
Und Trump? Es waren die Wähler aus der weißen Arbeiter- und Mittelschicht, die ihm 2016 zum Sieg verholfen haben. Trumps Versprechen waren damals gut bezahlte Jobs in einer florierenden Wirtschaft. Wahlforscher Wlezien geht davon aus, dass die Wirtschaftslage zu etwa 50 Prozent über Trumps Wiederwahl entscheiden wird, „wobei die zwei Jahre vor der Wahl in etwa gleichmäßig zählen“.
Trump muss also nicht befürchten, dass die Wähler nur den wirtschaftlichen Absturz der vergangenen Wochen in Erinnerung behalten. Aber klar ist auch: Bis zum Wahltag muss ein Ende der Coronarezession zumindest absehbar sein. Sonst wird Trump, sollte es 2021 wieder ein CPAC-Treffen geben, dort höchstens noch als Ex-Präsident zu Gast sein.
Mehr: Amerikas Offenbarungseid – Corona und die Systemfehler der USA.
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