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Serie: Das bessere Wachstum Die wirtschaftliche Zukunft Schwedens heißt grüne Rohstoffe

Die Regierung in Stockholm hat ein ehrgeiziges Ziel: Bis 2045 soll das Land klimaneutral sein. Dazu nutzt sie ihren Einfluss auf die Staatskonzerne – etwa zur Produktion von grünem Stahl.
18.08.2021 Update: 18.08.2021 - 04:20 Uhr Kommentieren
Das Unternehmen kann auf die finanzielle Unterstützung prominenter Geldgeber bauen. Quelle: Northvolt
Northwolt-Gebäude

Das Unternehmen kann auf die finanzielle Unterstützung prominenter Geldgeber bauen.

(Foto: Northvolt)

Stockholm Es kommt nicht alle Tage vor, dass der Regierungschef, seine Umweltministerin und die Chefs von drei großen schwedischen Staatskonzernen gemeinsam eine Industrieanlage im nordschwedischen Luleå einweihen. Doch vor fast genau einem Jahr, Ende August 2020, machten sich Stefan Löfvén, Isabella Lövin und die Chefs des Stahlkonzerns SSAB, des Grubenbetreibers LKAB und des Energiekonzerns Vattenfall von Stockholm aus auf den 900 Kilometer langen Weg in den hohen Norden.

Der Grund für die Reiselust: Auf dem weitläufigen Gelände des schwedischen Stahlproduzenten SSAB wurde eine Testanlage eingeweiht, die die Stahlproduktion künftig deutlich umweltfreundlicher machen soll. Es ist das erklärte Ziel der schwedischen Regierung, die Schadstoffemissionen drastisch zu senken.

Da die Stahlindustrie zusammen mit der Zementindustrie für einen Großteil der weltweiten Treibhausgase steht, war der Ausflug des Ministerpräsidenten in den Norden nur logisch. Denn dort hat SSAB seinen Sitz, Schwedens mit Abstand größter CO2-Verursacher. Hier anzusetzen macht also Sinn.

Es ist nicht das einzige Projekt in Schweden, das auf nachhaltige Produktion setzt. Der Batteriehersteller Northvolt und das erst in diesem Jahr gegründete Stahlunternehmen H2Green Steel, H2GS, sind weitere Beispiele für den von der rot-grünen Regierung geforderten grünen Neustart. Während viele Unternehmen während der Coronapandemie schwere Einbußen erlitten, wurde H2GS in dieser schwierigen Zeit erfolgreich gegründet, Northvolt und das Hybrit"-Projekt konnten während der Pandemie richtig durchstarten.

„Stahl bedeutet Jobs, Stahl bedeutet Wohlstand, Stahl ist ein Teil unserer Identität, aber Stahl ist auch eine Bedrohung für das Klima“, erklärte Regierungschef Löfvén, als er ausgerüstet mit Schutzhelm und Schutzweste die Anlage in Luleå in Betrieb nahm. „Das ist ein historischer Tag für das ganze Land, denn es ist die größte Umstellung in der Stahlindustrie seit 1000 Jahren“, so Löfvén.

Viele Hoffnungen ruhen auf dem „Hybrit"-Projekt

Das, was der Regierungschef mit so gewaltigen Worten feierlich einweihte, ist ein silbrig glänzender Stahlkoloss, wie aus überdimensionalen Lego-Steinen zusammengesetzt. Im Inneren jedoch ist Hightech angesagt, weshalb auch neugierige Besucher unerwünscht sind. Doch in der 1,3-Milliarden-Kronen-Anlage (etwa 130 Millionen Euro) soll die Zukunft der weltweiten Stahlindustrie getestet werden.

Hier wird künftig „grüner“ Stahl hergestellt. Ohne fossile Energien. Statt Kohle und Koks wird Wasserstoff aus fossilfreien Quellen eingesetzt, um aus Eisenerz das für die weitere Verarbeitung notwendige Roheisen zu erzeugen. Genau das wird jetzt in Luleå nördlich des Polarkreises getestet. Die Anlage mit dem Namen „Hybrit“ (Hydrogen Breakthrough Ironmaking Technology) ist ein Gemeinschaftsprojekt von SSAB, LKAB und Vattenfall.

Bis zu 18 Milliarden Kronen fließen in den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft. Quelle: AP
Schwedens Premierminister Stefan Lofven beim Spatenstich

Bis zu 18 Milliarden Kronen fließen in den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft.

(Foto: AP)

Den Strom bezieht die Hybrit-Anlage vom staatlichen schwedischen Energiekonzern Vattenfall. Das Unternehmen, so hat es die Regierung entschieden, soll schrittweise aus der Kohle und anderen fossilen Energieträgern aussteigen. Für das Hybrit-Projekt liefert der Staatskonzern Strom aus Wasserkraft, die vor allem im Norden des Landes produziert wird.

Einen prominenten Kunden für den grünen Stahl hat SSAB bereits gefunden. Im April dieses Jahres unterzeichnete der Stahlriese ein Kooperationsabkommen mit dem schwedischen Lkw-Hersteller Volvo. „Bis spätestens 2050 wollen wir klimaneutral produzieren“, sagt Volvo-Chef Martin Lundstedt. „Das bedeutet, dass unsere Fahrzeuge und Baumaschinen abgasfrei sein werden, wenn sie in Betrieb sind. Wir schauen aber auch, dass alle Materialen, die wir in unseren Produkten verwenden, wie etwa Stahl, schrittweise fossilfrei produziert werden.“

Die schwedische Regierung hat ein ehrgeiziges Ziel ausgegeben: Bis spätestens 2045 soll das Land völlig klimaneutral sein. Um das zu erreichen, kann sie direkten Einfluss auf die Staatsunternehmen wie LKAB und Vattenfall ausüben. Aber auch auf SSAB hat sie indirekten Einfluss. Denn LKAB ist neben dem finnischen Staat zweitgrößter Aktionär an dem Stahlhersteller.

Insofern konnten die Regierungen in Helsinki und Stockholm das Hybrit-Projekt vorantreiben. Insbesondere die Regierung in Stockholm will die Umstellung auf grüne Rohstoffe durch Beteiligungen und finanzielle Starthilfen fördern. Die schwedische Energiebehörde unterstützte Hybrit mit insgesamt 528 Millionen Kronen, der höchste jemals ausgezahlte Betrag.

Staatliche Rentenfonds stecken Gelder in den Wirtschaftsumbau

Der Staat fördert auch indirekt den Batterieproduzenten Northvolt. Die vier staatlichen AP-Rentenfonds stiegen im Juni dieses Jahres mit 3,3 Milliarden Kronen (323 Millionen Euro) bei Northvolt ein. „Die Regierung hat sehr deutlich gemacht, dass die AP-Fonds in Nachhaltigkeit investieren sollen“, erklärt die grüne Finanzmarktministerin Åsa Lindhagen.

Northvolt wurde 2017 von ehemaligen Tesla-Managern, dem Schweden Peter Carlsson und dem Italiener Paolo Cerruti gegründet. Ihr Ziel: Sie wollen nicht nur Europas größte Batteriefabrik bauen, sondern auch die nachhaltigste Batterie der Welt entwickeln, wie die beiden Gründer betonen.

Schnell fanden sich finanzstarke Investoren, allen voran der Volkswagen-Konzern, der mit rund 20 Prozent größter Einzelaktionär bei Northvolt ist. Neben Goldman Sachs, BMW, einer Ikea-Stiftung und den Pensionsfonds sind auch betuchte Privatpersonen wie Spotify-Gründer Daniel Ek an dem schwedischen Unternehmen beteiligt. „Wir haben erstklassige Investoren und Kunden, die die Mission von Northvolt teilen, die umweltfreundlichste Batterie der Welt zu bauen“, gibt sich Northvolt-Chef Carlsson überzeugt.

Ende dieses Jahres soll die Produktion im nordschwedischen Skellefteå starten. Bis 2030 will Northvolt hier und in zwei weiteren geplanten Batteriefabriken in Europa insgesamt auf eine Produktionskapazität von rund 150 GWh kommen. Das würde nach Carlssons Worten reichen, „um den europäischen Übergang zu erneuerbaren Energien zu ermöglichen“.

Der chinesisch-schwedische Pkw-Hersteller Volvo Car Group hat zusammen mit Northvolt ein Joint Venture gegründet, das für kommende Volvo- und Polestar-Modelle nachhaltigere Batterien fertigen soll. Dazu wollen beide Unternehmen eine Gigafabrik für rund drei Milliarden Euro bauen. Über einen Standort ist allerdings noch nicht entschieden worden.

Das erst im vergangenen Jahr gegründete Unternehmen H2 Green Steel (H2GS) hat sich zum Ziel gesetzt, ab 2024 Stahl in einem fossilfreien Prozess mithilfe von Wasserstoff herzustellen. Zunächst peilt man eine Kapazität von 2,5 Millionen Tonnen pro Jahr an. Von 2030 an soll die Produktion verdoppelt werden.

Abnehmer sind die Autoindustrie und Gerätehersteller

Als Abnehmer des „grünen Stahls“ haben die H2GS-Gründer Harald Mix und Carl-Erik Lagercrantz die Autoindustrie und Haushaltsgerätehersteller wie etwa Electrolux im Blick. H2GS wird also ein direkter Konkurrent zum Hybrit-Projekt von SSAB. In einem wichtigen Punkt unterscheiden sich die beiden Unternehmen jedoch: Während SSAB ein traditioneller Stahlkonzern mit einer langen Geschichte ist, startet H2GS als völliger Newcomer.

Auch der Batterieproduzent Northvolt erhält staatliche Unterstützung zum Aufbau weiterer Fabriken. Quelle: via REUTERS
Batteriefabrik von Northvolt in Skelleftea

Auch der Batterieproduzent Northvolt erhält staatliche Unterstützung zum Aufbau weiterer Fabriken.

(Foto: via REUTERS)

Wie Northvolt kann auch H2GS auf die finanzielle Unterstützung prominenter Geldgeber bauen. So ist Spotify-Milliardär Daniel Ek ebenso dabei wie Christina Stenbeck, lange Zeit Aufsichtsratsvorsitzende und Großaktionärin von Zalando. „Wir freuen uns sehr, dass wir die beiden schwedischen Unternehmer mit an Bord haben“, sagt Mix. „Sie haben uns bei der Planung sehr unterstützt“.

Neben den beiden erfolgreichen Unternehmern ist die von Mix gegründete Investmentgesellschaft Vargas Group, der zum Volkswagen-Konzern gehörende Lkw-Hersteller Scania, die deutschen Unternehmen Bilstein Group (Autozulieferer) und SMS Group (Hütten- und Walzwerktechnik) sowie die zum Ikea-Reich gehörende Imas-Stiftung an H2GS beteiligt. Damit stützt sich H2GS auf viele Investoren, die sich auch schon bei Northvolt beteiligt haben.

Das ist kein Zufall, wie H2GS-Chef und Northvolt-Aufsichtsratsvorsitzender Carl-Erik Lagercrantz in Zeitungsinterviews betonte. Bei einem Treffen des Northvolt-Aufsichtsrats habe Volkswagen erklärt, dass man auch in der Produktion der Wagen künftig fossilfrei werden wolle. Der benötigte Stahl steht noch immer für einen Großteil der CO2-Emissionen bei der Autoproduktion. „Als wir das diskutierten, fiel bei mir der Groschen.“

18 Milliarden Kronen sollen in nachhaltiges Wachstum fließen

Eine endgültige Entscheidung ist noch nicht gefallen, doch deuten mehrere Anzeichen darauf hin, dass die vier staatlichen AP-Fonds ebenfalls bei H2GS einsteigen werden. Die Politik werde das Projekt unterstützen, sagt der ehemalige Stadtrat von Luleå, Niklas Nordström. Er muss es wissen, ist er doch einflussreiches Mitglied der regierenden Sozialdemokraten.

Die rot-grüne Minderheitsregierung versucht über finanzielle Förderung und indirekte Beteiligungen, ihre Klimapolitik in die richtigen Bahnen zu leiten. Zwischen 2021 und 2023 will sie rund 18 Milliarden Kronen in nachhaltiges Wachstum investieren. Der klimapolitische Rat, der die Klimapolitik der Regierung bewerten soll, kritisierte im vergangenen Jahr allerdings das Tempo der Anstrengungen.

„Auch wenn man den klimapolitischen Handlungsplan sehr wohlwollend interpretiert, bewegen wir uns nicht schnell genug in die richtige Richtung“, urteilte Johan Kuylenstierna, der Vorsitzende des Rats. Und er fügte hinzu: „Was man zu tun gedenkt, ist nicht falsch. Aber es fehlen die Konkretisierungen, der zeitliche Rahmen, Angaben über die Verantwortungsbereiche und über die finanziellen Mittel, die benötigt werden.“

Mit den Investitionen in Hybrit, H2GS und Northvolt hat Schweden dennoch einen ersten wichtigen Schritt in Richtung einer nachhaltigeren Produktion von Stahl und Batterien getan. Wichtige Mineralien wie Kobalt, Graphit und Lithium gibt es vor allem in Nordschweden. Und das für die Stahlproduktion notwendige Eisenerz wird seit mehr als hundert Jahren in Kiruna und Umgebung abgebaut. Die Voraussetzungen für ein nachhaltigeres Wachstum stimmen also.

Mehr: Billionen-Investitionen für die globale Wirtschaft: Beispiellose Chance – und riskante Wette.

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