Wachstum nach der Coronakrise: Japan setzt auf Industrie-Roboter
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Serie: Das bessere WachstumRoboter sichern der japanischen Volkswirtschaft die Zukunft
Kein Land baut so viele Industrieroboter wie Japan. Mit der Pandemie will die Japan AG nun durch „Moonshot“-Programme auch den Alltag automatisieren.
Auch in der Gastronomie sind Roboter in Japan im Einsatz.
Tokio Der kleine FSR hatte bei den Olympischen Spielen seinen großen Live-Auftritt. Kaum hatten die Speerwerfer ihren Speer geworfen, eilte der kleine vierrädrige Kasten zum Aufschlagpunkt. Dort stellten die menschlichen Helfer die Wurfgeräte in das Gerät, dass es dann autonom zum Abwurfort zurückbrachte.
„Field Support Robot“ heißt der Roboter ausgeschrieben, produziert vom Autobauer Toyota. Er war einer von einer kleinen Heerschar an Robotern, mit denen Gastgeber Japan auf dem globalen Sportfest seine Rolle als Hightech-Nation unterstreichen wollte. Im olympischen Dorf fuhren große Brüder von FSR, Toyotas modulare E-Palette-Roboterbusse, autonom Athleten umher.
Andere Toyota-Roboter führten die wenigen Gäste durch die Stadien. Ein rollender Telepräsenzroboter mit einem menschlich großen Bildschirm erlaubte es Besuchern, sich aus der Ferne in die Stadien zu verlinken.
Auch die Maskottchen der Olympischen und Paralympischen Spiele, das blaue Miraitowa und das pinke Someity, sind kleine Roboter. Und hinter den Kulissen halfen anschnallbare roboterisierte Exoskelette vom Technikkonzern Panasonic olympischen Helfen beim Wuchten schwerer Lasten.
Bei der Leistungsschau japanischer Robotertechnik handelt es nur um eine Vorhut für eine Offensive, mit der Japan seine Weltmarktführerschaft bei Industrierobotern auf den Alltag ausdehnen will. Rund die Hälfte aller Industrieroboter, die weltweit verkauft werden, stammen aus Asiens ältester Industrienation.
Roboter für jedermann: Moonshots als Industriepolitik
Voriges Jahr hat Japans Regierung nun eine Reihe von Moonshot-Projekten gestartet, um bis 2050 auch den Markt für Roboter zu dominieren, die mit Menschen leben. Moonshot-Projekte werden gewagte Vorhaben genannt, die ein großes Risiko des Scheiterns mit sich bringen. Und ambitioniert sind die Japaner.
Ein wichtiges Ziel der Japaner ist beispielsweise die „Verwirklichung einer Gesellschaft, in der der Mensch bis 2050 frei von Begrenzungen durch Körper, Gehirn, Raum und Zeit leben kann“. Auch „ultrafrühe“ Krankheitsvorhersage und -intervention und die gemeinsame Evolution von Künstlicher Intelligenz und Robotern stehen auf dem Programm.
„Die Coronavirus-Pandemie hat als Katalysator für das Projekt gewirkt“, sagt der bekannte Robotik-Professor Hiroshi Ishiguro von der Universität Osaka, der einer der Projektleiter ist. Ishiguro, der vor 15 Jahren mit der Entwicklung seines fernbedienbaren Roboter-Doppelgängers Geminoid weltweit Schlagzeilen machte, glaubt dank der Pandemie an den Erfolg. „Wir haben 20 Jahre lang Telepräsenz-Roboter entwickelt, ohne Erfolg“, so der Wissenschaftler, der ein Pionier dieser Technik ist.
Menschen können bei dieser Technik über das Internet in einen Roboter fahren und ihn fernab mehr oder weniger frei bewegen. Die Pandemie biete nun eine neue Gelegenheit für den Durchbruch, meint Ishiguro, da viele Menschen aus Angst vor Ansteckungen verstärkt fernbedienbare Dienste akzeptieren würden.
Roboter-Maskottchen der Olympischen Spiele
Auch die Maskottchen der Olympischen und Paralympischen Spiele, das blaue Miraitowa und das pinke Someity, sind kleine Roboter.
Selbst ausländische Experten trauen Japan den großen Wurf zu. „Japan ist ein Markt, auf den man achten muss“, sagt Richard Dasher, Direktor des US-Asia Technology Management Center an der amerikanischen Stanford University, das weltweit für die Industrie Techniktrends untersucht.
Bei der Automatisierung von Fabriken seien Japans Industrieroboter weltweit am besten, stellt Dasher fest. „Nun beginnen die Japaner, andere Felder zu erschließen – und könnten den Durchbruch schaffen.“ Denn mit ihrer Robotervielfalt erhalten sie schon jetzt frühes Feedback von den Märkten.
Der deutsche Ökonom und Investmentberater Jesper Koll, der in japanischen Regierungsausschüssen sitzt, sieht einen unbedingten Willen der Japan AG, die Vision zu verwirklichen. „Intern wird das Potenzial dieser neuen Roboter als sehr groß eingeschätzt, das Wachstum zu beleben“, sagt Koll.
Denn Robotik und Fabrikautomatisierung gelten als einer von drei bis vier Bereichen, in denen Japan die Standards setzen könnte. „Und die Politik und Wirtschaft sind der Überzeugung, dass dieser Vorsprung in der Industrierobotik nicht wieder verspielt werden darf.“ Wie bei Chips, Display, Solarzellen, Computern und Handys, die Japan allesamt einmal dominierte.
Japan, das Reich der Industrieroboter
Als Fundament dient Japans starke Position in der Industrierobotik, die das Land aufgebaut hat, seit der Schwerindustriekonzern Kawasaki Heavy Industries (KHI) 1968 den ersten heimischen Industrieroboter baute. „Kawasaki-Unimate 2000“ hieß der einarmige Greifroboter, gebaut in Lizenz des amerikanischen Roboterpioniers „Unimation“.
Schnell sprangen andere japanische Unternehmen auf den neuen Trend auf, um den globalen Siegeszug der japanischen Auto- und Elektronikindustrie mit heimischen Robotern zu verstärken. Der Rest ist Geschichte.
Fernab der Großstadt tüfteln hier Ingenieure an den nächsten Stufen der Fabrikautomatisierung: an Robotern, die Roboter bauen, und vor allem an einer Plattform, mit der Unternehmen ihre gesamten Fabriken vernetzen können.
„Field System“ nennt Fanuc sein Hirn für eine smarte Fabrik, die mit der Plattform „Mindsphere“ von Siemens konkurriert. Fanucs Plattform ist offen für Maschinen aller Hersteller, denn die Roboterbelegschaften der Kunden sind extrem divers. Aber der Wettbewerb ist hart, selbst in Japan.
Andere japanische Roboterriesen wie KHI, Yaskawa Electric und Mitsubishi Electric sind ebenfalls auf diesem Gebiet aktiv. Und neben ihnen gibt es Dutzende Hersteller von Industrierobotern, darunter auch den Automobilzulieferer Denso, die den Einsatzbereich ihrer Maschinen immer mehr erweitern.
Neben schweren Maschinen, die eingezäunt in Fabriken Dienst tun, gibt es inzwischen ein Heer an sogenannten Cobots, die Seite an Seite mit dem humanen Proletariat Mehrwert schaffen. Diese „kollaborativen Roboter“ lassen sich oft einfach von Menschen durch Vormachen anschulen oder lernen mit Künstlicher Intelligenz bestimmte Arbeitsschritte selbst.
Allein bei Industrierobotern ist das Marktpotenzial riesig. Laut einer Vorhersage könnte ihr Absatz von 2021 bis 2026 um 79 Prozent auf 75 Milliarden US-Dollar steigen. Denn zum einen bereitet sich die Industrie in den Industrieländern auf einen Mangel an Facharbeitern vor. Zum anderen öffnen die Cobots Zugang zum Mittelstand.
Pepper und Co: Roboter erobern schon jetzt Japans Alltag
Zusätzlich beflügelt der nächste Quantensprung der Robotik die Hoffnungen in Japan: Roboter für den menschlichen Alltag. Allein der Markt für Serviceroboter könnte laut einer anderen Studie der Auguren von 2020 bis 2025 auf 102 Milliarden Dollar anwachsen. Denn weltweit greift die Automatisierung des Alltags immer mehr um sich.
Besonders in Lagerhallen sind Transport-, Sortier- und Packmaschinen schon Standard. Doch Japan wettet ebenfalls auf Roboter in anderen Bereichen wie der Altenpflege, auf den Feldern als Erntehelfer, in Restaurants und zu Hause. Mit Achtungserfolgen, meint Technikexperte Dasher. „Japan ist auch in diesen Bereichen sehr stark.“
Ein Grund ist für ihn Japans grundsätzliche Technikbegeisterung, ein anderer der frühe Beginn der Entwicklung. Schon Anfang der 1970er-Jahre wurde der erste humanoide Roboter präsentiert. Selbst Großkonzerne schufen am menschlichen Ebenbild mit.
Der Autohersteller Honda entwickelte beispielsweise seit den 1980er-Jahren einen zweibeinigen Roboter namens Asimo. In seiner vorerst letzten Evolutionsstufe sah er aus wie ein Kind im Raumanzug, konnte auf einem Bein hüpfen, im Kreis laufen und Fußball spielen. Nur kam er wie die meisten anderen Ideen nicht über das Prototypenstadium hinaus.
Honda
Der Autohersteller Honda entwickelte bereits ab den 1980er-Jahren einen zweibeinigen Roboter namens Asimo.
(Foto: AP)
Honda stellte Asimos Weiterentwicklung ein und schob die bestehenden Exemplare in Japans Technikmuseum Miraikan in Tokio ab: Dort beeindrucken sie mehrfach pro Tag zumeist junge Besucher mit ihren Kunststücken – und für die Roboterentwicklung.
Aber die Japan AG drängt nun in Einsatzbereiche vor, die wirklich Geld bringen. „Es fließen sehr viele Forschungsgelder in diese Bereiche“, erklärt Dasher, sowohl staatliche wie auch private. Denn wegen der rasant alternden Gesellschaft wächst in allen gesellschaftlichen Bereich der Arbeitskräftemangel. Und Japan setzt auch auf Roboter, um den zu beheben, und nicht nur auf Einwanderer.
Viele Start-ups machen mit, den Roboter zu erfinden, der global den Durchbruch schafft. Doch Japan zeichnet dabei aus, dass auch viele Großkonzerne mitsuchen. Sony hat seinen Roboterhund Aibo, Toyota und Panasonic sind dabei, besonders mit Robotern für die Pflege, aber auch für heimische Kommunikation.
Sicherheitsroboter der Sicherheitskonzerne Secom und Alsok patrouillieren ebenfalls schon auf Flughäfen und in Gebäuden. Derweil automatisiert die Robotersparte des Technikinvestors Softbank Restaurants teilweise.
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Auch Industrieroboterhersteller sind bei der Eroberung anderer Sphären dabei. Der Automobilzulieferer Denso bietet beispielsweise einen Tomatenpflücker feil. KHI hat mit dem japanischen Medizintechnikhersteller Sysmex das Joint Venture Medicaroid gegründet, das ferngesteuerte Operationsroboter verkauft. „Hinotori“ verbindet dabei KHIs Roboterarme und Technik für virtuelle Realität, um Chirurgen aus der Ferne Patienten behandeln zu lassen.
Warum die Robotik Japans große Stunde sein könnte
Dies ist nur eine kleine Zahl an Beispielen. Für Investorenberater Koll ist die Vielfalt kein Zufall. „Dies ist Japans große Stunde.“ Auch Japans Professor Ishiguro sieht in Japan die perfekte Brutstätte für Automatisierungstechnologien im Zeitalter von KI und des Internets der Dinge, von Maschinen, im Leben des neuen Roboterzeitalters.
„Denn Roboter sind eine Integrationstechnologie, die viele Aspekte zusammenfügen muss“, meint Ishiguro. In den USA möge es die beste Sprach- und Gesichtserkennung geben, und KI obendrein. Aber Software braucht Maschinen und Sensoren, um im analogen Alltag zu wirken.
China ist für ihn als Hersteller billiger Motoren und Bauteile ebenfalls nicht aus der Roboterentwicklung wegzudenken. Aber das alles sauber zu verbinden ist für ihn die historische Aufgabe für die Japan AG.
Der Grund für den Optimismus ist die lange Tradition in der Feinmechanik, des Maschinen- und Sensorbaus, der großen Software- und Computerindustrie und der Systemintegration. Viel Zeit bleibt dem Roboterexperten Ishiguro nicht, die Richtigkeit von Japans Wette zu beweisen.
Bereits 2025 auf der Weltausstellung in Osaka wollen er und seine Kollegen mit ersten einsatzfähigen Ideen den Beweis erbringen, dass Japans Robotervisionen für den menschlichen Alltag auch in der Wirklichkeit lebensfähig sind.
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