Sondergipfel EU-Staaten erkennen Wahlergebnis in Weißrussland nicht an – und warnen Putin

Der Sondergipfel fand digital statt.
Berlin Die EU-Staaten haben eine friedliche Machtübergabe in Weißrussland gefordert und Russland vor einer Intervention in dem Nachbarland gewarnt. „Die Zukunft Weißrusslands muss von den Bürgern entschieden werden, nicht in Brüssel oder Moskau“, sagte EU-Ratspräsident Charles Michel nach einer Videokonferenz von Europas Staats- und Regierungschefs. Die Proteste gegen Präsident Alexander Lukaschenko seien zuallererst eine nationale Angelegenheit und nicht geopolitisch motiviert.
In den vergangene Tagen hatten zahlreiche Menschen in dem Land gegen massive Fälschungen bei der jüngsten Präsidentschaftswahl demonstriert, bei der Lukaschenko nach den offiziellen Zahlen mit 80 Prozent wiedergewählt worden war.
Die EU-Staats- und Regierungschefs stellten sich jetzt klar hinter die Opposition: Die Wahl sei weder frei noch fair verlaufen und werde daher von der Europäischen Union nicht anerkannt, sagte Michel.
Außerdem werde die EU in Kürze Sanktionen gegen jene in der weißrussischen Führung verhängen, die für Wahlbetrug und die Gewalt gegen friedliche Demonstranten verantwortlich seien. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betonte, die Entscheidung sei einstimmig gefallen.
Zuvor hatte es Befürchtungen gegeben, dass sich Ungarns Premier Viktor Orbán dagegen sperren könnte – er pflegt ein gutes Verhältnis zu Lukaschenko. Die Liste der Betroffenen und die konkreten Strafmaßnahmen würden nun so schnell wie möglich erarbeitet, sagte von der Leyen. Ob auch der langjährige Machthaber Lukaschenko selbst sanktioniert wird, ist noch offen.
Jetzt die besten Jobs finden und
per E-Mail benachrichtigt werden.
Keine Einmischung der EU gewünscht
Die EU stehe bereit, um eine friedliche Machtübergabe zu begleiten, sagte von der Leyen. Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Kollegen sprachen sich für einen breit angelegten nationalen Dialog in Weißrussland aus.
Zwar erkenne man das Wahlergebnis nicht an, „dennoch ist Herr Lukaschenko noch da“, so Merkel. Eine Vermittlerrolle für sich selbst sieht Merkel aber nicht: Sie habe sich persönlich um ein Telefonat mit Lukaschenko bemüht, dieser habe aber „leider“ abgelehnt, sagte die Kanzlerin. Sie hatte im Ukrainekonflikt noch die Initiative für den Friedensprozess übernommen.

In Belarus haben viele Menschen gegen das Wahlergebnis und die Gewalt in dem Land demonstriert.
Die russische Führung verbittet sich ohnehin, ebenso wie Lukaschenko, jegliche Einmischung der Europäer. Außenminister Sergej Lawrow bekräftigte am Mittwoch, es gebe keine Notwendigkeit für eine Vermittlung von außen, um die Krise in Minsk beizulegen.
Bei den entsprechenden Angeboten des Westens gehe es darum, den Weißrussen „die Ordnung aufzuzwingen, die externe Akteure für sich selbst als gewinnbringend erachten“. Im Konflikt um Weißrussland gehe es „um Geopolitik, um den Kampf um den postsowjetischen Raum“, sagte Lawrow. Die Präsidentenwahl vom 9. August sei aber „nicht ideal“ gelaufen, räumte er ein.
Über Russlands weiteres Vorgehen in der Krise im Nachbarland, mit dem es auch einen gemeinsamen „russisch-weißrussischen Unionsstaat“ bildet, herrscht zunehmend Unklarheit. Michel deutete die Einlassungen des Kremls zwar als Hinweis, dass Russland nicht militärisch zu intervenieren beabsichtige. Am Dienstagnachmittag, als die Opposition einen Koordinierungsrat einsetzte zum Organisieren des Machtübergangs, landete aber eine Tupolew Tu-214 des russischen Geheimdienstes FSB aus Moskau in Minsk, wie aus Daten des Flugverfolgungsportals Flightradar hervorgeht. Die Maschine mit der Flugnummer RA-64523 ist der Jet von Geheimdienstchef Alexander Bortnikow.
Zudem wurden weitere Truppen an die weißrussische Außengrenze zum EU-Land Polen verlegt und in volle Alarmbereitschaft versetzt. Das polnische Außenministerium sprach von „Psychospielen“.
Russlands Sicherheitsorgane versuchten, Präsident Wladimir Putin davon zu überzeugen, Weißrussland nicht an die Opposition fallen zu lassen, sagt Waleri Solowej, der wegen Regimekritik von der angesehensten Moskauer Universität MGIMO gefeuerte Historiker und Politologe. Sie befürchteten, sonst werde die nächste Revolution in Russland selbst stattfinden. Putin sei aber heute nicht mehr der, der er 2014 bei der Krim-Annexion gewesen sei. Solowej ist überzeugt: „Stürzt Lukaschenko, fällt danach Putin.“
Konkrete Hilfe kommt aus Polen
Lawrow sagte, er hoffe, dass die Opposition bereit sei, Gespräche mit der Führung des Landes aufzunehmen. Die Gegner des Präsidenten haben allerdings bereits Lukaschenkos Vorschlag abgelehnt, Neuwahlen nach einem Verfassungsreferendum abzuhalten, das die Rolle des Präsidenten zugunsten des Parlaments und des Premierministers schwächen soll. Die nach Litauen geflohene Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja hatte die EU zuvor in einer Videobotschaft um Hilfe gebeten.
Allerdings streitet die Opposition auch intern über das weitere Vorgehen. Mehrere langjährige und teilweise inhaftierte Oppositionelle wollen eine „Koalitionsregierung des nationalen Vertrauens“ und auf keinen Fall Tichanowskaja als „Ersatz-Präsidentin“. Sie hatte indes ihren Führungsanspruch erneuert.
Konkrete Hilfe für Weißrussen, die wegen der Streiks in Staatsbetrieben auf Druck des Regimes jetzt ihre Jobs verlieren sollen, kommt aus Polen: Das größte östliche EU-Land öffnete jetzt seinen Arbeitsmarkt auch für Weißrussen – nachdem zuvor bereits Millionen Ukrainer Arbeit in Polen fanden.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.