Sondergipfel in Brüssel EU-Haushalt wird zur Bewährungsprobe von Ratspräsident Charles Michel

Der Belgier ist zu einem der wichtigsten Politikern in der EU geworden.
Brüssel Gemeinderat mit 18, Regionalminister mit 24, Bürgermeister mit 30, Bundesminister mit 32, Premierminister mit 38 Jahren. Die Laufbahn von Charles Michel kannte bisher nur eine Richtung: steil bergauf. Vergangenes Jahr gelang dem Wallonen sein bisher höchster Karrieresprung, als die Regierungschefs der 27 EU-Staaten ihn zum Präsidenten des Europäischen Rats nominierten. Am 1. Dezember, knapp vor seinem 44. Geburtstag, trat Michel das Amt an.
Der Überflieger startete im Turbogang. In Windeseile bereiste Michel die Hauptstädte der EU und fand zwischendurch auch noch Zeit für Besuche in Addis Abeba, Kairo, Istanbul, Skopje und Tirana. In zwei Monaten war der Belgier gefühlt mehr unterwegs als sein Vorgänger Donald Tusk im ganzen Jahr.
Tusk war öfter vorgeworfen worden, seine Aufgaben ohne übertriebenen persönlichen Einsatz zu erledigen. Was dem Polen fehlte, bringt der Belgier doppelt und dreifach mit: Ehrgeiz, Energie, Elan. Dabei setzt sich der Jurist mit der schwarzen Nickelbrille unter einen derartigen Erfolgsdruck, dass es manchen Insidern in Brüssel schon unheimlich wird. „Michel muss aufpassen. Wer die Messlatte so hoch legt, kann umso leichter darüber stolpern“, meint ein EU-Diplomat.
Seine erste große Bewährungsprobe steht Michel diese Woche bevor. Am Donnerstag beraten die 27 EU-Regierungschefs in Brüssel unter seiner Leitung über das heikelste aller europapolitischen Themen: Geld. Alle sieben Jahre benötigt die europäische Staatengemeinschaft einen neuen Haushalt, im EU-Jargon „Mehrjähriger Finanzrahmen“ (MFR) genannt. Die Verhandlungen darüber gehören zu den „schwierigsten“ überhaupt, wie Michel selbst einräumt.
Jetzt die besten Jobs finden und
per E-Mail benachrichtigt werden.
Die Nettozahler in Nordeuropa wollen möglichst wenig in den MFR einzahlen, die Nettoempfänger in Süd- und Osteuropa möglichst viel für ihre strukturschwachen Regionen herausholen. Der Einnahmeausfall durch den Brexit und kostspielige neue EU-Aufgaben wie Außengrenzschutz oder Digitalisierung machen die Sache noch schwieriger. Trotzdem will Michel bei diesem Gipfel auf Biegen und Brechen eine Einigung erreichen. Notfalls müsse eben das ganze Wochenende verhandelt werden, heißt es in seiner Entourage.
Als Ex-Premier eines total zerstrittenen Landes ist Michel kampferprobt. Wer Flamen und Wallonen ein paar Jahre lang zusammenhalten konnte, der gilt automatisch als qualifiziert für eine Führungsposition in der EU, die sich bekanntlich meist auch nicht einig ist. Erste Wahl war der liberale Politiker allerdings nicht. Der niederländische Regierungschef Mark Rutte, ebenfalls ein Liberaler, hätte bessere Chancen gehabt. Rutte wollte den Posten nicht, Michel dagegen unbedingt.
Dabei könnte auch mitgespielt haben, dass für den studierten Juristen in Belgien nicht mehr viel zu holen war. Von 2014 bis 2018 konnte sich Michel als Premierminister halten, was für belgische Verhältnisse nicht schlecht ist. Doch dann flog seine Koalition auseinander, und danach war der Premier nur noch geschäftsführend im Amt.
Michel trägt einen in Belgien renommierten Namen. Sein Vater Louis Michel hatte es zum Außenminister und zum EU-Kommissar gebracht. Sohn Charles, inzwischen selbst Vater von drei Kindern, hätte ein Karriereknick gedroht, wenn die EU nicht gewesen wäre. Die Bilanz seiner belgischen Regierungszeit fällt gemischt aus: Die hohe Staatsverschuldung bekam Michel nicht in den Griff, auch konnte er Reformen der verkrusteten Verwaltung und Sozialversicherung nicht durchsetzen.
Der EU will Michel nun beweisen, dass er es besser kann. Den Gipfel bereitete er akribisch vor. Mit fast allen Regierungschefs führte er sogenannte „Beichtstuhl-Gespräche“ unter vier Augen, bevor er am vergangenen Freitag seinen MFR-Entwurf präsentierte.
Dass darüber nun gestritten wird, ist ganz normal: Die Positionen zwischen Nettozahlern und -empfängern liegen schließlich noch weit auseinander. „Bei diesem Gipfel klappt es noch nicht“, erwartet ein hochrangiger EU-Beamter, „aber ein zweiter Sondergipfel im März könnte ein Ergebnis bringen.“
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.