Standortwettbewerb Wie in Italien der digitale Fortschritt gelingen konnte

Das Telefonnetz bricht selbst bei Tempo 300 auf der Schiene selten ab, auch das WLAN in den Zügen funktioniert verlässlich.
Rom Wie gut Italien digital aufgestellt ist, fällt einem erst beim Heimatbesuch in Deutschland so richtig auf: Während man in der Bundesrepublik schief angeschaut wird, sobald man die Kreditkarte zückt („Erst ab zehn Euro – und nur mit EC“), kann man in Italien in fast jeder Eisdiele oder auf dem Markt mit dem Handy bezahlen.
Das Telefonnetz bricht selbst bei Tempo 300 auf der Schiene selten ab, auch das WLAN in den Zügen funktioniert verlässlich. Die Pandemie hat Italien digital nun noch mal ein großes Stück nach vorn gebracht. Auf G20-Ebene hat das Land neun Plätze im „Digital Riser Ranking“ gutgemacht – und liegt jetzt vor Deutschland, Frankreich, selbst vor den USA.
Auch wenn viele den Aufschwung gern mit Premier Mario Draghi verbinden: Neue Rahmenbedingungen wie den „Italian Startup Act“ und steuerliche Erleichterungen für Gründer verabschiedeten noch die Vorgängerregierungen. Genau wie das Leuchtturmprojekt „Repubblica digitale“: Italien versucht damit, für mehr digitale Fähigkeiten in der Bevölkerung zu werben, und bietet etwa Workshops an.
Mitten in der Pandemie investierte Italien 85 Millionen Euro in digitale Lernplattformen. Über einen nationalen Fonds mit einer Milliarde Euro Startkapital sollen künftig Start-ups und Innovationen im Land gefördert werden. Während Deutschland immer noch mit der digitalen Identität herumexperimentiert, ist sie in Italien seit fünf Jahren Realität: Mit „SPID“ können viele Behördengänge bei Finanzamt, Arbeitsamt oder Handelskammer schon digital erledigt werden.
In der Coronakrise legte die Nutzerzahl schlagartig zu, weil die Regierung ein Cashback-Programm mit SPID verknüpfte. Rund ein Drittel aller Italiener verwendet SPID mittlerweile.
40 Milliarden Euro für neue Digitalisierungsprojekte
Durch die Gelder aus dem EU-Wiederaufbaufonds wird es einen weiteren Schub geben: 40 Milliarden Euro sind für Digitalisierungsprojekte vorgesehen, knapp zehn Milliarden davon sollen die öffentliche Verwaltung modernisieren. Rund 24 Milliarden will Italien nutzen, um Unternehmen digitaler und wettbewerbsfähiger zu machen.
Die gesamte Wirtschaft ist derzeit im Aufschwung. Zwischen April und Juni wuchs sie um 2,7 Prozentpunkte – und damit schneller als die Wirtschaft in Deutschland (1,6 Prozent) oder Frankreich (0,9 Prozent). Allerdings war die Wirtschaftsleistung 2020 auch um fast neun Prozent eingebrochen, schlimmer erwischte es nur Spanien.
Digital gut aufgestellte Unternehmen profitieren derzeit besonders. Das zeigt auch der Aktienmarkt: Seit März 2020, als die Kurse im Lockdown einbrachen, sind die Tech-Werte der Mailänder Börse im Schnitt um 184 Prozent gestiegen. Der Tech-Index ist doppelt so viel wert wie noch vor der Pandemie.
Der mit dem Dax vergleichbare Marktindex Mib ist hingegen nur um 73 Prozentpunkte gestiegen – und liegt damit ganz knapp über dem Vor-Corona-Level. „Italien lag bei der Digitalisierung lange Zeit sehr weit zurück, in den vergangenen Jahren gab es eine Aufholjagd“, sagt Gianni Dominici von der Beratungsgesellschaft Digital360.
Das habe sich in der Politik gezeigt, die 2019 erstmals ein Innovationsministerium schuf und eine mit Digitalexperten besetzte Taskforce ins Leben rief. „Aber auch die Städte waren Treiber dieser Entwicklung.“ Die Auszahlung vom Corona-Familienbonus wickelten die Kommunen etwa digital ab.
Einen Nord-Süd-Gegensatz, den es sonst so oft gibt in Italien, sieht Dominici hierbei nicht: „Städte im Süden wie Palermo, Cagliari oder Lecce gehören zu den Gemeinden, die digital am besten aufgestellt sind.“
Obendrein habe sich die Bevölkerung durch das Zwangs-Homeoffice im Lockdown neue digitale Kompetenzen angeeignet, sehr viele Haushalte sind in kurzer Zeit ans Breitbandnetz angeschlossen worden, beobachtet Dominici. „Auch wenn die Pandemie für unser Land sehr schmerzhaft war, hat sie die gesamte Digitalisierung extrem beschleunigt.“
Mehr: Der deutschen Politik und Wirtschaft fehlt es an Mut und Ideen zum digitalen Wandel.
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