Benachrichtigung aktivieren Dürfen wir Sie in Ihrem Browser über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts informieren? Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Fast geschafft Erlauben Sie handelsblatt.com Ihnen Benachrichtigungen zu schicken. Dies können Sie in der Meldung Ihres Browsers bestätigen.
Benachrichtigungen erfolgreich aktiviert Wir halten Sie ab sofort über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts auf dem Laufenden. Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Jetzt Aktivieren
Nein, danke

Start-up-Szene Miami wird in der Pandemie zum neuen Tech-Hotspot der USA – Talente aus dem Silicon Valley und New York ziehen um

Miami ist eine der wenigen Städte, die von der Covid-Pandemie wirtschaftlich profitiert. Viele der Tech-Nomaden entstammen der Clique eines deutschen Investors.
15.05.2021 - 08:16 Uhr Kommentieren
Das Viertel Wynwood ist ein Labyrinth der Farbexplosion, Baustelle reiht sich an Baustelle, alle scheinen sich auf große Geschäfte vorzubereiten. Quelle: Bloomberg
Wynwood Bar in Miami

Das Viertel Wynwood ist ein Labyrinth der Farbexplosion, Baustelle reiht sich an Baustelle, alle scheinen sich auf große Geschäfte vorzubereiten.

(Foto: Bloomberg)

Miami Seine ersten zehn Millionen Dollar machte Jack Abraham, als er 24 Jahre alt war. Damals verkaufte er sein Start-up an Ebay und wurde in seiner Wahlheimat San Francisco als Newcomer der Tech-Welt gefeiert. Heute ist Abraham 35, ein etablierter Investor und Chef der Risikokapitalfirma Atomic.

Allerdings will er seine nächsten Millionen nicht mehr an der Westküste verdienen, sondern in Miami. Seit letztem Sommer wohnt er im Süden Floridas. „Jeder will hier sein“, beschreibt Abraham die Stimmung dort.

Geplant hatte er seinen Umzug nicht. Mit Freunden hatte er sich ein Ferienhaus gemietet, um dem Covid-Lockdown in Kalifornien zu entkommen. Dann steckte er sich mit Corona an, ging „mit milden Symptomen“ einen Monat lang in Quarantäne – und blieb ganz in Miami. „Ich habe mich in die Stadt verliebt und jedem erzählt, wie toll sie ist“, sagt der Unternehmer. „Es ist irre, wie viele Menschen aus allen möglichen Branchen sich inzwischen in Miami tummeln.“

Jack Abrahams Erfahrung steht beispielhaft für den aktuellen Hype um Miami, ein in die Breite gezogenes Ballungszentrum mit einer halben Million Einwohner. Miami ist eine der wenigen Städte in den USA, die wirtschaftlich von der Pandemie zu profitieren scheinen, zumindest in Branchen wie Tech, Finanzen und Immobilien.

Dabei verband man Florida bislang eher mit reichen Rentnern, Strand und Palmen anstatt mit innovativem Unternehmertum. Doch in der Corona-Krise sind mehrere Tausend Menschen aus Großstädten wie San Francisco und New York nach Miami gezogen.

Wirtschaftszentren wie Denver, Austin oder Miami profitieren in der Covid-Krise

Begünstigt wurde die Entwicklung durch den Boom des Homeoffice, der die Zahl der digitalen Nomaden auch in den USA steigen lässt. „Die Menschen leben zunehmend dort, wo sie wollen, anstatt dort, wo sie leben müssen“, schreibt Softbank-Manager Marcelo Claure im Netzwerk LinkedIn. 

Miamis Erfolg steht auch für die Diversifizierung der Wirtschaftszentren in den USA. Schon in den vergangenen Jahren blühten Städte wie Raleigh, Charlotte oder Denver auf. Laut der Immobiliengruppe CBRE beschleunigte die Pandemie die interne Migration in den USA massiv: Austin oder Dallas in Texas wuchsen, während San Francisco etwa schrumpfte

Grafik

Der deutsche Unternehmer und Serien-Gründer Daniel Bülhoff, der seit 2016 in Miami wohnt, erlebt die Veränderung jeden Tag. „Wenn ich mit Leuten telefoniere, sitzen die irgendwo, in Idaho, in Illinois, hier und da. Sie sind überall – nur nicht da, wo ihre Firma ist“, sagt er. In der Pandemie hat er ein Start-up namens Storypod gegründet, mit dem er in den US-Markt für Bildungstechnologie einsteigen will. Von seinen sechs Kollegen sitzen zwei in Miami, der Rest ist quer über das Land verteilt. 

Florida ist auch deshalb beliebt, weil der Bundesstaat in der Covid-Krise deutlich weniger reguliert ist als anderswo. Der ewige Sommer – zumindest außerhalb der Hurrikan-Saison – sorgt für hohe Lebensqualität. „Miami hat die Energie, Restaurants und Kunstszene von New York und das Wetter von Los Angeles“, schwärmt Investor Abraham.

Die Wanderungsbewegungen haben nicht das Ausmaß einer Völkerwanderung. So verlor San Francisco im Pandemie-Jahr 2020 rund 89.000 Einwohner, die allermeisten davon zogen ins nähere Umland. Immerhin 4100 davon aber siedelten nach Florida über, so viele wie noch nie. Am ehesten mobil sind dem CBRE-Report zufolge „junge, wohlhabende, gut ausgebildete Menschen“. Und diese können das wirtschaftliche Ökosystem in ihrer neuen Wahlheimat durchaus verändern –vor allem, wenn es einen Domino-Effekt gibt. 

Diese Top-Investoren zieht es in den Süden – der Gang nach Florida hat auch steuerliche Gründe

Im Fall Miamis interessierten sich plötzlich mehrere große Firmen für die Stadt. Auffallend viele der Valley-Flüchtlinge entstammen der Clique um Facebook-Investor und Trump-Unterstützer Peter Thiel. Einige Partner seiner Risikokapitalfirma Founders Fund sind nach Miami gezogen, etwa Keith Rabois, früherer PayPal-Manager und heute unter anderem Partner von Miami-Neuling Abraham beim Start eines E-Commerce-Start-ups namens OpenStore.

Das in Tokio ansässige Unternehmen Softbank, einer der weltweit größten Tech-Investoren, will 100 Millionen in Miami investieren. Google plant eine Expansion, Spotify hat im vergangenen Jahr einen Mietvertrag unterschrieben, Microsoft soll auf der Suche nach Büroflächen sein.

Auch die Finanzbranche orientiert sich um. Viele Top-Hedgefonds sind bereits gen Süden gezogen. Carl Icahn verlegte seine Vermögensverwaltungsfirma bereits 2019 von Manhattan nach Florida. Große Finanzunternehmen wie die Blackstone Group, Starwood Capital und Goldman Sachs haben entweder beschlossen, Büros in der Region zu mieten, oder erwägen es.

Ein Grund dafür sind die Kosten: Künftig sollen die New Yorker so viel Steuern zahlen wie nirgends sonst in den USA. Kombiniert mit den von US-Präsident Joe Biden geplanten Erhöhungen kommen Spitzenverdiener in New York auf Steuersätze von bis zu 62 Prozent. Demnächst will der Bundesstaat seine Millionäre stärker zur Kasse bitten. Im Gegensatz dazu erhebt der Bundesstaat Florida gar keine Einkommensteuer. 

Wie ein Republikaner den Hype lostrat – Miamis Bürgermeister Francis Suarez empfiehlt sich für höhere Ämter

Dass Miami plötzlich in aller Munde ist, liegt auch am prominentesten Botschafter der Stadt: Bürgermeister Francis Suarez. Er gilt mittlerweile als Anwärter für höhere Ämter, jetzt, wo Miami boomt, während andere Metropolen mit der Krise kämpfen. „Politico“ berichtete, dass die Republikanerin Nikki Haley kürzlich nach Miami reiste, um Suarez als Vize für eine Präsidentschaftskandidatur zu gewinnen.

Dabei hat der 43-Jährige streng genommen kaum Macht. Als Bürgermeister hat er kein eigenes Budget, die wichtigen Entscheidungen trifft die Stadtverwaltung. Doch Suarez, ein Halb-Kubaner, dessen Vater schon Miami regierte, ist ein PR-Genie. Schon früh in der Pandemie forderte er die Finanzriesen des Big Apple auf, die Wall Street zu verlassen. Auf Twitter diskutierte er mit Tesla-Chef Elon Musk die Möglichkeit eines Tunnels unter dem Miami River – obwohl der Grundwasserspiegel in Südflorida so hoch ist, dass die meisten Häuser nicht einmal Keller haben.

Suarez überlegte medienträchtig, Angestellte der Stadt in der Kryptowährung Bitcoin zu bezahlen. In San Francisco ließ er eine Werbetafel aufstellen mit den Worten: „Denken Sie darüber nach, nach Miami zu ziehen? Schreiben Sie mir“. 

Kritik, dass hinter seinen Mühen oft nur heiße Luft stecke, weist er zurück. Die meisten Top-Talente seien lange aus Miami weggegangen, weil die gut bezahlten Jobs woanders seien, sagte er „Politico“. „Meine Aufgabe ist es, 10, 15, 20 Jahre in die Zukunft zu schauen und zu überlegen: Wie sieht unsere Wirtschaft dann aus? Was können wir jetzt tun, um uns vorzubereiten? Genau das mache ich.“

Aus Sicht von Ana Paula González war der aktuelle Boom nur eine Frage der Zeit. Sie ist die Direktorin des Miami-Programms des japanischen Start-up-Investors Softbank, das im April gestartet ist. Die gebürtige Mexikanerin kennt die Tech-Szene der Stadt exzellent, zuletzt leitete sie das Miami-Programm der Risikokapitalfirma 500 Startups. Und sie ist überzeugt: „Miami hat das Zeug dazu, ein internationales Zentrum für Technologie und Innovation zu sein.“ Schon vor der Covid-Krise sei „der allgemeine Trend zur Dezentralisierung“ Miami zugutegekommen.

Die Softbank-Direktorin vergleicht Miami mit Singapur oder Hongkong. Die Stadt sei „sehr international, sehr vielfältig und auf spannende Weise unfertig. Hier können Menschen herkommen und Neues erschaffen.“ 

Es gibt reichlich Sonne in Miami, aber kaum Parkplätze und Spitzen-Unis

Dem Unfertigen kann man im Viertel Wynwood, nördlich der Innenstadt, beim Wachsen zusehen. Hier entsteht ein riesiger Bürokomplex namens „Wynwood Annex“, der auf 65.000 Quadratmetern einige der neuen Tech-Firmen beherbergen soll. Der ehemalige Lagerhaus-Bezirk hat sich schon jetzt in ein Hipster-Mekka verwandelt.

Die Straßen haben mit den protzigen Yachten und Golfclubs von Miami nichts gemein, erinnern eher an Berlin-Kreuzberg. Ganze Straßenzüge sind mit Graffiti dekoriert, auf den Fassaden räkeln sich nackte Superheldinnen auf Motorrädern neben riesigen Comic-Bienen. Wynwood ist ein Labyrinth der Farbexplosion, Baustelle reiht sich an Baustelle, alle scheinen sich auf große Geschäfte vorzubereiten. Ein Restaurant wirbt mit einem Aushang: „Wir stellen ein – für alle Jobs“.

Doch einige Fakten sprechen gegen Miami als Zentrum einer neuen, starken Industrie. Der Verkehr ist eine Katastrophe, das Bildungsniveau der Bevölkerung nur im US-Mittelfeld. Es mangelt an einer vernünftigen Infrastruktur, an Parkplätzen und Spitzenuniversitäten.

Bülhoff, der deutsche Gründer von Storypod, sieht den Wirbel um Miami mit Skepsis. „Was Top-Talente und Fachkräfte angeht, ist noch Luft nach oben“, meint er. „Für mich stellt sich durchaus die Frage, wie nachhaltig der Boom ist.“ Doch der zweifache Familienvater lebt und arbeitet gern hier und findet die Aufmerksamkeit derzeit nicht schlecht für die Region. „Der Rest der Welt soll ruhig erfahren, dass es hier gute Unternehmer gibt.“

An Kapital mangele es nicht – Südflorida ist eine der größten Wohlstandsoasen in den USA. Doch viele Investoren seien auf Immobilien oder klassische Finanzanlagen spezialisiert, „die ticken ganz anders als ein Start-up-Investor“, sagt Bülhoff. Für den Süden Floridas sei die Tech-Szene noch immer eher Neuland. Am Ende komme es darauf an, dass junge Unternehmen ihre Erst-, aber auch Anschlussfinanzierung sichern könnten, und zwar dauerhaft. Miami müsse noch beweisen, dass es mehr kann, als den „Covid-Effekt“ zu nutzen.

Investor Jack Abraham prophezeit hingegen einen „Trend, der sich noch lange fortsetzen wird.“ Für ihn hat die Sogkraft Miamis auch etwas mit einem Kulturwandel zu tun. Die „Konferenzräume aus Glas, die Anzüge und Krawatten in New York“ reizten ihn nicht, auch die „Tech-Monokultur“ im Silicon Valley vermisse er selten. „Ich habe hier in kurzer Zeit mehr interessante Leute getroffen als in all den Jahren in San Francisco“, meint Abraham.

Auch Softbank-Managerin González sieht große Chancen – vor allem für Start-ups, die nachhaltige Technologien vorantreiben. „Miami muss kein zweites Silicon Valley oder New York werden. Wir sind auf dem Weg, unsere eigene DNA zu entwickeln.“ Gerade Miami, das mit Extremwetter und dem Anstieg des Meeresspiegels kämpft, könne eine Modellstadt für grüne Innovation werden. González ruft insbesondere deutsche Firmen, die „enge Verbindungen“ zu Miami haben, auf: „Wenn Sie eine spannende Idee haben, melden Sie sich bei uns! Diese Stadt macht alles möglich.“

Mehr: „Covid interessiert niemanden mehr“ – wie Florida zum Paralleluniversum der Pandemie wurde

Startseite
0 Kommentare zu "Start-up-Szene: Miami wird in der Pandemie zum neuen Tech-Hotspot der USA – Talente aus dem Silicon Valley und New York ziehen um"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%