Steinmeier in Bangladesch: Zu Besuch bei den Flüchtlingen von morgen
Benachrichtigung aktivierenDürfen wir Sie in Ihrem Browser über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts informieren? Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Fast geschafftErlauben Sie handelsblatt.com Ihnen Benachrichtigungen zu schicken. Dies können Sie in der Meldung Ihres Browsers bestätigen.
Benachrichtigungen erfolgreich aktiviertWir halten Sie ab sofort über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts auf dem Laufenden. Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Jetzt Aktivieren
Nein, danke
Anzeige
Steinmeier in BangladeschZu Besuch bei den Flüchtlingen von morgen
In Bangladesch sieht man, wie weit der Klimawandel fortgeschritten ist. Hier ist jetzt schon Land unter. Werden die Klimaflüchtlinge irgendwann auch in Deutschland und anderen Industriestaaten landen?
21.09.2015 - 15:24 Uhr
Jetzt teilen
Auf Reisen mit französischem Kollegen
Frankreichs Außenminister Laurent Fabius (l.) und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (r.) machten sich am Bongshi, einem Nebenarm des Ganges, ein Bild von den Auswirkungen des Klimawandels.
Dhaka Ein ganz normaler Morgen am Ufer des Bongshi, eines der vielen Nebenarme des Ganges in Bangladesch, ein paar Kilometer außerhalb der Hauptstadt Dhaka. Der Monsun der vergangenen Wochen hat den Fluss stark anschwellen lassen. Das Ufer hält schon lange nicht mehr. Alles ist Matsch. In den Tümpeln schwimmt der Dreck. Die Kinder planschen trotzdem darin herum.
Ein ganz normaler Montagmorgen also – sieht man einmal davon ab, dass sich ausgerechnet hier Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und sein französischer Kollege Laurent Fabius ein Bild vom Klimawandel machen wollen, der Bangladesch heute schon plagt wie kaum ein anderes Land.
Geplant war das anders. Eigentlich wollten die beiden mit dem Hubschrauber hinaus ins Delta von Bangladesch fliegen, das größte Flussdelta der Welt. Aber selbst dafür war der Monsun, der eigentlich schon längst vorbei sein sollte, zu stark.
So stehen sie nun am Bongshi, von dem sie zuvor noch nie gehört hatten. In Jeans und Hemd, ohne Krawatte, die Schuhe verdreckt. Einen Eindruck, was der Treibhauseffekt anrichtet, bekommt man auch so. Beide appellieren an die Staatengemeinschaft, sich beim nächsten Klimagipfel Ende November in Paris endlich auf ein Abkommen zu verständigen, mit dem der Temperaturanstieg auf maximal zwei Grad begrenzt wird.
Top-Jobs des Tages
Jetzt die besten Jobs finden und per E-Mail benachrichtigt werden.
Rekordzahlen zur Flüchtlingskrise
Mehr als 500.000 Menschen haben nach Angaben der EU-Grenzschutzagentur Frontex zwischen Januar und August dieses Jahres bereits die Europäische Union erreicht. Zum Vergleich: Im gesamten vergangenen Jahr waren es 280.000 Menschen.
Von den in der EU angekommenen Flüchtlingen haben dem UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) zufolge mehr als 411.000 das Mittelmeer überquert. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) nannte sogar die Zahl von mehr als 600.000 Bootsflüchtlingen. Mehr als 3100 kamen demnach bei der gefährlichen Überfahrt ums Leben.
So viele Flüchtlinge kamen der IOM zufolge in diesem Jahr bereits in Griechenland an.
Rund 137.000 Menschen landeten nach einer Überfahrt über das Mittelmeer in Italien.
Die ungarischen Behörden gaben die Zahl der seit Jahresbeginn in Ungarn angekommenen Flüchtlinge zuletzt mit 200.000 an. Die Schutzsuchenden kamen vor allem über die sogenannte Balkanroute ins Land.
EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hat vorgeschlagen, 160.000 Asylsuchende aus den Haupt-Ankunftsländern Griechenland, Ungarn und Italien auf die 28 EU-Mitgliedstaaten umzuverteilen. Juncker fordert eine verbindliche Quotenregelung für die künftige Flüchtlingsverteilung.
Rund 63.000 Flüchtlinge trafen seit Ende August am Münchner Hauptbahnhof ein - davon jeweils 20.000 an den beiden vergangenen Wochenenden.
Eine Million Flüchtlinge könnte Deutschland nach Aussage von Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) in diesem Jahr aufnehmen. Das Bundesinnenministerium geht offiziell weiterhin von 800.000 Asylbewerbern aus.
Offiziellen Schätzungen zufolge sind zwölf Millionen Syrer auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat. Davon gelten acht Millionen als im eigenen Land vertrieben, weitere vier Millionen flüchteten ins Ausland. Mehr als 250.000 Menschen wurden seit Ausbruch des Konflikts 2011 getötet.
Dem UNHCR zufolge sind die Hälfte der über das Mittelmeer kommenden Flüchtlinge Syrer. Die zweitgrößte Gruppe sind demnach Afghanen mit 13 Prozent, gefolgt von Eritreern mit acht Prozent. In Griechenland sind 70 Prozent der ankommenden Flüchtlinge Syrer und 19 Prozent Afghanen.
Schuld am Temperaturanstieg sind vor allem die großen Industrie- und Schwellenstaaten. Bangladesch selbst stößt nur 0,15 Prozent der weltweiten Treibhausgase aus. Das Land - nicht einmal halb so groß wie die Bundesrepublik, aber mit doppelt so vielen Einwohnern (164 Millionen) – ist so flach wie Chapati, das Fladenbrot, das hier praktisch zu jeder Mahlzeit dazu gehört: Ein Sechstel der Fläche liegt weniger als einen Meter über Meer.
Wenn nicht wirklich etwas unternommen wird, ist dieses Land irgendwann einfach weg. Aktuell steigt im Golf von Bengalen das Wasser um einen halben Zentimeter pro Jahr. Der Weltklimarat fürchtet, dass sich der Meeresspiegel bis zum Ende des Jahrhunderts global um 98 Zentimeter erhöht. Hinzu kommt, dass das Salzwasser aus dem Ozean hereindrückt und die Flussarme hinaufwandert, auch den Bongshi. Der Boden versalzt.
Mit der Erwärmung steigt auch das Risiko extremer Wetterlagen. Am gefährlichsten sind die Zyklone, die immer wieder über das Land rasen. Allein in den vergangenen zehn Jahren gab es in Bangladesch drei Wirbelsturm-Katastrophen, die schlimmste 2007 mit fast 4000 Toten. Und was die Leute bislang erlebt haben, ist vermutlich nur ein Vorgeschmack auf das, was noch kommt.
Mangels Land ziehen jetzt schon viele aus dem Delta in die Slums von Dhaka. Statt von der Landwirtschaft arbeiten sie für einen Hungerlohn in den großen Textilfabriken. Experten schätzen, dass es schon im nächsten Jahrzehnt in Bangladesch bis zu 20 Millionen Klimaflüchtlinge geben wird. Im Süden Asiens käme eine neue Völkerwanderung in Gang.
Die Flüchtlingswelle auf Europas Schienen
Hunderte Flüchtlinge in den Zügen nach Österreich und Deutschland
1 von 8
Seit Montag sind Hunderte Flüchtlinge in Zügen unterwegs von Ungarn nach Österreich und Deutschland. Nach den gemeinsamen EU-Asylregeln ist Ungarn verpflichtet, alle Einwanderer zu registrieren. Viele Flüchtlinge wollen aber gleich nach Österreich oder Deutschland weiterreisen. Ungarn hatte ihnen am Montag die Weiterreise erlaubt.
Für viele Flüchtlinge beginnt die Reise durch Europa in Griechenland. Wie hier in Idomeni, nahe dem Grenzübergang zwischen Griechenland und Mazedonien, warten sie auf Züge, die sie über den Balkan nach Westeuropa bringen.
Diejenigen, die es über Mazedonien und Serbien nach Ungarn geschafft haben, machen sich auf den Weg in die Hauptstadt Budapest, um von dort nach Österreich und Deutschland weiterzureisen.
Ungarns Polizei ließ die Flüchtlinge am Montag zu hunderten am Keleti-Bahnhof in Budapest Züge Richtung Österreich besteigen. Bis zu 2000 Menschen hatten seit Tagen in provisorischen Lagern in der ungarischen Hauptstadt ausgeharrt. Am Montag waren keine Sicherheitskräfte mehr zu sehen, die sie aufhielten.
An der ungarisch-österreichischen Grenze (wie hier in Hegyeshalom) kam es in der Folge zu teils chaotischen Zuständen, die Züge wurden am Nachmittag für Kontrollen vorübergehend gestoppt und mussten in der Hitze warten.
In München und Rosenheim kamen am Montagabend fast 1000 Menschen an. Deren Personalien wurden zum Teil noch am Hauptbahnhof erfasst, zum Teil wurden sie aber direkt mit von der Regierung von Oberbayern eingesetzten Bussen in Flüchtlingsunterkünfte in ganz Bayern gebracht.
Voraussichtlich werden in den kommenden Tagen noch viele weiter Flüchtlinge in Bayern ankommen. In den Flüchtlingszügen aus Ungarn sind nach Polizeiangaben allein am Montagabend 3650 Asylsuchende in Wien angekommen. Ein Großteil davon habe sich auf die Weiterreise nach Deutschland begeben, sagte ein Sprecher der Wiener Polizei am Dienstagmorgen.
Steinmeier ist sich dessen bewusst: „Wir wissen, dass sich Millionen Menschen aus ihren Heimatländern aufmachen, wenn der Klimawandel ihre Lebensgrundlage zerstört.“ Deutschland werde Bangladesch, das seit seiner Unabhängigkeit 1971 schon mehr als 2,5 Milliarden Euro Entwicklungshilfe bekommen hat, deshalb auch künftig nicht alleine lassen. „Wir tun das im eigenen Interesse“, sagt Steinmeier.
Manche sind jedoch der Meinung, dass das nicht reichen wird. Bangladeschs führender Klimaforscher Atiq Rahman hält es für eine „Frage der globalen Gerechtigkeit“, dass auch die Industrieländer Klimaflüchtlinge aufnehmen. „Die Leute müssen das Recht haben, in die Länder zu gehen, aus denen die Treibhausgase kommen“, sagt der Direktor des Bangladesh Center of Advanced Studies. „Allein die USA müssten Millionen Menschen einlassen.“
In Deutschland allerdings gäbe es dafür aktuell keine rechtliche Grundlage: In Artikel 16a des Grundgesetzes heißt es nur: „Politisch Verfolgte genießen Asyl.“ Von Klimaflüchtlingen ist da keine Rede.