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Steuerpolitik Mehreinnahmen von 150 Milliarden Euro pro Jahr – Das bringt die globale Steuerreform

130 Staaten haben sich auf eine globale Steuerreform geeinigt. Sie könnte deutlich höhere Einnahmen einbringen. Deutschland dürfte aber kaum profitieren. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
02.07.2021 - 14:46 Uhr 1 Kommentar
Der Bundesfinanzminister spricht bei der globalen Mindeststeuer von einem „kolossalen Fortschritt“. Quelle: imago images/photothek
Olaf Scholz

Der Bundesfinanzminister spricht bei der globalen Mindeststeuer von einem „kolossalen Fortschritt“.

(Foto: imago images/photothek)

Berlin Olaf Scholz (SPD) hat sich eine passende Kulisse ausgesucht. Der Bundesfinanzminister steht vor dem Epizentrum der Macht, dem Weißen Haus in Washington, als er Großes zu verkünden hat. Die von ihm mit angestoßene globale Steuerreform sei unter Dach und Fach. Dies sei ein „kolossaler Fortschritt“, erklärt der Vizekanzler, der größte Durchbruch auf internationaler Bühne der vergangenen 20 Jahre.

Die globale Steuerreform zieht weltweit eine Untergrenze für die Besteuerung von Unternehmen. Gleichzeitig werden Digitalkonzerne stärker besteuert. Der jahrzehntelange ruinöse Steuerwettlauf nach unten bei den Unternehmensteuern wird somit spürbar eingedämmt.

Doch ist mit den Steuertricks von Unternehmen jetzt wirklich Schluss? Wie profitiert der deutsche Steuerzahler von der Reform? Und was bedeuten die zahlreichen Ausnahmen, etwa für den Finanzplatz London oder den Onlineriesen Amazon? Das Handelsblatt gibt Antworten auf die wichtigsten Fragen.

1. Warum ist die Reform überhaupt nötig?

Aus Sicht der Politik zahlen Unternehmen immer weniger Steuern. So verschieben seit Jahren international operierende Konzerne Gewinne an Töchter in Niedrigsteuerländer. „Steueroasen“ haben das sogar zum Geschäftsmodell gemacht und locken mit Steuersätzen nahe null.

Insbesondere Digitalfirmen haben von dieser Praxis Gebrauch gemacht. Amazon etwa musste 2020 trotz eines Umsatzes von 44 Milliarden Euro in Luxemburg keine Steuern zahlen.

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Gleichzeitig gab es bei den globalen Unternehmensteuern durch den verstärkten internationalen Wettbewerb um die Ansiedlung von Unternehmen einen Sog nach unten. Lagen die durchschnittlichen globalen Steuersätze für Unternehmen 1980 bei 45 Prozent, waren es 2020 nur noch 23,3 Prozent.

2. Was will die Politik gegen die Steuertricks tun?

Was häufig übersehen wird: Die geplante Steuerreform besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil der Reform sieht die Einführung einer globalen Mindeststeuer für Unternehmen in Höhe von 15 Prozent vor. Diesen Teil der Reform hatte Bundesfinanzminister Scholz 2018 angestoßen.

Der zweite Teil, der schon länger als die Mindeststeuer in Planung ist, ist die Einführung einer Art Digitalsteuer, die digitale Geschäfte weltweit einheitlich besteuern soll.

Im Zuge der Digitalsteuer wird auch das Steueraufkommen weltweit neu verteilt. Bislang zahlen Unternehmen vor allem in dem Land Steuern, wo sie beheimatet sind. Künftig soll die Besteuerung stärker davon abhängen, wo sie welchen Umsatz erzielen. Tech-Konzerne wie Apple oder Google müssten dann mehr Abgaben in Europa leisten, deutsche Konzerne wie Volkswagen dürften mehr Steuern in Ländern wie China abführen.

Sowohl die Digital-, als auch die Mindeststeuer sollen ab 2023 gelten. Innerhalb der EU soll die Steuer über eine Richtlinie in Kraft gesetzt werden, die im nächsten Jahr verabschiedet werden soll. Länder, die bereits eine nationale Digitalsteuer eingeführt haben, wollen diese nach der globalen Reform wieder einkassieren.

3. Wie funktionieren Mindest- und Digitalsteuer genau?

Die globale Mindeststeuer bedeutet nicht, dass jeder Staat eine Mindeststeuer von 15 Prozent einführen muss. Aber ein niedrigerer Satz ergibt nach der weltweiten Reform keinen Sinn mehr.

Denn zahlt ein Konzern mit seiner Tochtergesellschaft im Ausland Steuern unter dem Steuersatz von 15 Prozent, kann der Heimatstaat künftig die Differenz bis zum Mindestsatz einkassieren. Kein Land kann ein Interesse daran haben, einem anderen Steuern zu schenken. Zugleich ist eine Verlagerung von Gewinnen in Länder, die niedrigere Steuern unter dem Mindestsatz bieten, für Unternehmen kaum noch verlockend.

Ein Beispiel: Facebook hat seinen Europa-Sitz in Irland. Würde Irland bei seinem Steuersatz von 12,5 Prozent bleiben, könnten die USA, in dem Facebook seinen Stammsitz hat, die übrigen 2,5 Prozentpunkte Steuern einziehen. Und vor allem: Dabei ist unerheblich, ob Irland den Vertrag unterzeichnet oder nicht. Allerdings könnte Irland versuchen, dagegen vor dem Europäischen Gerichtshof zu klagen.

Der Tech-Konzern ist von der Reform besonders betroffen. Quelle: AP
Facebook-CEO Mark Zuckerberg

Der Tech-Konzern ist von der Reform besonders betroffen.

(Foto: AP)

Etwas komplizierter funktioniert die Digitalsteuer: Erfüllt ein Konzern bestimmte Umsatz- und Profitabilitätsbedingungen, wird er besteuert. Anders als bisher aber eben nicht nur vor allem in dem Land, wo das Unternehmen seinen Sitz hat, sondern auch in den Ländern, wo die Firma tätig ist, also im Marktstaat.

Dafür wird ein Teil des Gewinns herangezogen. Den Marktländern werden Besteuerungsrechte auf mindestens 20 Prozent eines Unternehmensgewinns, der die Profitabilitätsschwelle von zehn Prozent überschreitet, gewährt. Die Aufteilung der Steuereinnahmen soll sich nach dem Geschäftsanteil in den jeweiligen Ländern richten.

4. Wie viele Staaten machen bei der Reform mit?

Ursprünglich sollten 139 Staaten der Industrieländerorganisation OECD den Vertrag unterschreiben. Am Ende sind es 130 geworden. Aus Europa machen Ungarn, Estland und Irland vorerst nicht mit. Außerdem nicht zugestimmt haben Barbados, Kenia, Nigeria, Sri Lanka und St. Vincent und die Grenadinen. Peru konnte nicht zustimmen, weil es dort derzeit keine Regierung gibt.

5. Wie hoch sind die Mehreinnahmen aus der Reform? Profitiert Deutschland?

Die OECD erhofft sich durch die Mindeststeuer Mehreinnahmen aus der Unternehmensbesteuerung von weltweit 150 Milliarden Dollar im Jahr. Gleichzeitig verteilt die Reform 100 Milliarden Dollar an Steuereinnahmen zwischen Staaten um. Profitieren dürften Länder mit großen Märkten, allen voran die USA, China und Indien.

Deutschland dürfte nach Schätzungen des Bundesfinanzministeriums und des Ifo-Instituts leicht profitieren. Die neue Mindeststeuer könnte einen niedrigen einstelligen Milliardenbetrag einspielen, so die Hoffnung. Bei der Neuverteilung der Steuereinnahmen könnte unterm Strich ein leichtes Plus oder ein kleines Minus stehen.

Die ursprüngliche Sorge, Deutschland als Exportland könne finanziell gesehen der Verlierer der Reform sein, weil die deutschen Exportunternehmen mehr Steuern im Ausland zahlen müssen als bisher, scheint sich vorerst nicht zu bewahrheiten. Denn zu wenig deutsche Konzerne müssen überhaupt die Digitalsteuer zahlen, wodurch nur eine überschaubare Summe an Steuern umverteilt wird.

6. Welche deutschen Firmen fallen unter die neue Steuer?

Bei der Mindeststeuer werden Firmen ab einem Jahresumsatz von 750 Millionen Euro zur Kasse gebeten. Die Steuer betrifft Experten zufolge weltweit 7000 bis 8000 Konzerne. In Deutschland lagen nach den jüngsten verfügbaren Daten des Statistischen Bundesamts 827 Unternehmen über der 750-Millionen-Euro-Umsatzschwelle.

Unter die neue Digitalsteuer fallen Unternehmen, die mindestens 20 Milliarden Euro Umsatz im Jahr machen und eine Profitabilität von mindestens zehn Prozent vorweisen. Die Umsatzschwelle soll nach sieben Jahren auf zehn Milliarden Euro absinken.

Von der Digitalsteuer wird zunächst höchstens eine Handvoll deutscher Konzerne betroffen sein. Denn auf einen solch hohen Umsatz kommen nur wenige Konzerne wie VW, Daimler, BMW, die Allianz, die Telekom sowie Siemens oder Bosch. Und von diesen erzielen nicht alle eine Profitabilität von mehr als zehn Prozent. Als sicher gilt, das SAP unter die Digitalsteuer fällt.

7. Welche Ausnahmen gibt es, und was bedeuten sie?

Um alle Länder ins Boot zu holen, gibt es ein paar Sonderregelungen. So wird die Finanzbranche von der Digitalbesteuerung ausgenommen, weil sie in der Regel vor Ort reguliert wird. Dafür hatte sich vor allem Großbritannien mit dem Bankenstandort London eingesetzt. Die Mindeststeuer gilt, entgegen manch anders lautender Meldung, ganz normal auch für große Geldhäuser.

Um China, Indien und einige osteuropäische Länder zum Mitmachen zu bewegen, hat die OECD eine Mindestbesteuerung vorgeschlagen, die auf „Substanz“ basiert. Staatliche Anreize für Unternehmensteuerinvestitionen in Fabriken und Maschinen werden deshalb nicht berücksichtigt. Darauf hatte vor allem Peking gedrängt.

Eine weitere Sonderregelung gibt es für Amazon. Eigentlich ist der US-Konzern als Ganzes nicht profitabel genug, er wird aber trotzdem bei der Neuverteilung der Besteuerungsrechte erfasst, weil einzelne Sparten allein groß und profitabel genug sind. Deutschland und Frankreich hatten gefordert, es dürfe keine Schlupflöcher für die Internetriesen geben.

Die Grünen-Politikerin ist gegen Ausnahmeregeln bei der Steuerreform. Quelle: dpa
Lisa Paus

Die Grünen-Politikerin ist gegen Ausnahmeregeln bei der Steuerreform.

(Foto: dpa)

Die Ausnahmen sorgen unter Oppositionspolitkern für Kritik. So sagt Grünen-Finanzpolitikerin Lisa Paus: „Die Einigung ist schon jetzt ein Schweizer Käse mit riesigen Löchern.“ OECD und Bundesregierung weisen die Kritik zurück. Die Ausnahmen hätten kaum Folgen.

8. Ist der Steuerwettlauf bei den Unternehmensteuern nach unten jetzt vorbei?

Die Reform ist ein großer Schritt nach vorn. „Sie beendet den internationalen Steuerwettbewerb aber nicht“, sagt Wirtschaftsprofessor Johannes Becker von der Universität Münster.

Durch die Mindeststeuer gibt es laut Becker tatsächlich kaum noch Möglichkeiten, Gewinne ins Ausland zu verschieben, um dort geringer als mit 15 Prozent besteuert zu werden. Aber das Ausklammern von Investitionsanreizen für Fabriken und Maschinen lasse durchaus noch einigen Gestaltungsspielraum zu, so Becker. 

Auch könnten Länder, die bislang Unternehmen mit niedrigen Steuersätzen lockten, auf anderen Wegen versuchen, Firmen zu ködern. Die Niederlande etwa tun dies bereits, in dem sie die Sozialabgabenlast für Unternehmen reduzieren. Auch über höhere Subventionen könnten Staaten um die Ansiedlung von Unternehmen verstärkt kämpfen.

Und ob wirklich alle Schlupflöcher für Unternehmen dicht sind, ist auch noch keineswegs ausgemacht. „Eine solch große Reform kann eigentlich nicht komplett wasserdicht sein“, so Becker.

Zumal sich Unternehmen in der Vergangenheit ausgesprochen kreativ zeigten, wenn es um das Auffinden von Steuerschlupflöchern ging. Recherchen der „Süddeutschen Zeitung“ etwa zeigen, dass Luxemburg trotz der „LuxLeaks“-Enthüllungen offenbar weiter von Firmen als Steueroase genutzt wird.

Mehr: „Kolossaler Schritt“ – 130 Länder einigen sich auf globale Mindeststeuer

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1 Kommentar zu "Steuerpolitik: Mehreinnahmen von 150 Milliarden Euro pro Jahr – Das bringt die globale Steuerreform"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • Ein Politiker der tief im CumEx Skandal steckt und mutmaßlich von den Gesetzteslücken wusste stellt sich als Robin Hood dar.

    Außnahme der Mindeststeuer für alle großen Firmen + England... Was soll das werden fragt man sich. Am Ende werden wie immer nur kleine Fische damit belastet da die Großen zu viel Lobby haben und die Politiker umgarnen.

    Zeitverschwendung und Selbstdarstellung eines möchtegern Kanzlers.

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