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Studie Regierungen gehen durch Steuerflucht jährlich 427 Milliarden Dollar verloren

Zwei neue Untersuchungen zeigen, dass viele Unternehmen sich einer fairen Lastenverteilung in der Pandemie durch Steuerflucht entziehen.
11.03.2021 - 04:00 Uhr 4 Kommentare
Die EU möchte Konzerne dazu verpflichten, ihre Umsätze, Gewinne und Steuerzahlungen je nach Land offenzulegen. Quelle: dpa
Ein Mann steht auf dem Schlossplatz in Stuttgart bei einem Protest gegen Steueroasen

Die EU möchte Konzerne dazu verpflichten, ihre Umsätze, Gewinne und Steuerzahlungen je nach Land offenzulegen.

(Foto: dpa)

Berlin In der Not zeigt sich der wahre Charakter, lautet ein altes Sprichwort. Dass dabei nicht nur Gutes zutage kommt, beweisen die jüngsten Skandale um dubiose Maskendeals von Unions-Abgeordneten und Betrugsfälle bei den staatlichen Corona-Hilfen. Ein Charaktertest ist die Pandemie aber auch für international tätige Unternehmen in Bezug auf ihre Steuerehrlichkeit. Das Ergebnis rückt die Konzerne in kein gutes Licht.

Nach einem neuen Bericht der internationalen Nichtregierungsorganisation (NGO) Tax Justice Network gehen Regierungen weltweit durch Steuerflucht jedes Jahr 427 Milliarden Dollar verloren, davon 245 Milliarden Dollar an Unternehmensteuern. Für zwei Drittel dieser Steuerausfälle sind der Studie zufolge Regelungen in reichen OECD-Ländern verantwortlich.

Das ist insofern frappierend, als dass die Pariser Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung seit Jahren gegen die Steuerflucht kämpft. „Es ist an der Zeit, dass unsere globalen Steuerregeln von den Vereinten Nationen (UN) festgelegt werden“, sagte Liz Nelson, Direktorin beim Tax Justice Network.

Die UN ist auf das Problem bereits aufmerksam geworden und hat jetzt unter der Mitverantwortung der ehemaligen litauischen Präsidentin Dalia Grybauskaitė in einem Bericht über „Finanzielle Integrität und nachhaltige Entwicklung“ die Kosten des Steuermissbrauchs den globalen Herausforderungen gegenübergestellt.

„Das globale Finanzwesen ist derzeit durch Lücken, Schlupflöcher und Unzulänglichkeiten verzerrt und Steuermissbrauch, Korruption und Geldwäscherei gedeihen“, schreibt die 65-Jährige zusammen mit ihrem Co-Autor, dem früheren nigrischen Premier Ibrahim Assane Mayaki. Diese Situation untergrabe das Vertrauen in die öffentliche Moral und behindere Bemühungen, globale Herausforderungen wie die Pandemie oder die Klimakrise zu bewältigen.

Der UN-Bericht kommt sogar noch auf höhere Steuerausfälle als das Tax Justice Network: Allein durch die Verschiebung von Firmengewinnen in Steueroasen und die Ausnutzung von Steuerschlupflöchern gingen Ländern Einnahmen in der Größenordnung von 500 bis 650 Milliarden Dollar pro Jahr verloren, heißt es.

Der größte Verlierer dieses Steuer-Monopoly sind die USA mit Steuerausfällen von fast 50 Milliarden Dollar pro Jahr. Deutschland folgt auf Platz zwei mit rund 24 Milliarden Dollar. Das sind immerhin 30 Prozent der bislang von der Bundesregierung gewährten Corona-Hilfen.

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Auch die Vereinten Nationen betonen, dass die Steuerflucht den Staaten wertvolle finanzielle Ressourcen für die Bekämpfung der Pandemie entziehe. Während die Coronakrise mehr als 170 Millionen Menschen weltweit in extreme Armut stürzen werde, würden etwa zehn Prozent des globalen Finanzvermögens in Steueroasen versteckt. Nach Angaben des Tax Justice Networks könnten die Staaten mit den durch Steuerflucht verursachten Einnahmeausfällen die Jahresgehälter von fast 34 Millionen Krankenschwestern bezahlen.

Kritik an der OECD

Scharfe Kritik an den Bemühungen der OECD kommt von Dereje Alemayehu, dem Direktor der Global Alliance for Tax Justice, die gerade für den Friedensnobelpreis nominiert wurde: Der OECD zu vertrauen, dass sie globale Regeln für die Unternehmensbesteuerung festlege, wenn zugleich ihre Mitgliedsländer für mehr als zwei Drittel des weltweiten Steuermissbrauchs verantwortlich seien, „ist so, als würde man einem Rudel Wölfe vertrauen, dass sie einen Zaun um den eigenen Hühnerstall bauen“.

Auch Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz hat die Vorschläge der OECD als „unzureichend“ kritisiert und macht dafür unter anderem den großen Einfluss multinationaler Konzerne auf die Steuerpolitik der Regierungen verantwortlich. Besonders deutlich wird die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit am Beispiel Großbritanniens. Die drei weltweit führenden Steueroasen sind die britischen Jungferninseln, die Cayman Islands und Bermuda – alles Gebiete, die unter dem rechtlichen Einfluss Londons stehen.

Die EU hatte Ende Februar eine eigene Liste „nicht kooperativer Länder und Gebiete für Steuerzwecke“ veröffentlicht. In der Liste werden Nicht-EU-Länder aufgeführt, die missbräuchliche Steuerpraktiken fördern, die die Einnahmen der Mitgliedstaaten aus der Körperschaftsteuer untergraben.

Die EU möchte zudem Konzerne dazu verpflichten, ihre Umsätze, Gewinne und Steuerzahlungen je nach Land offenzulegen. Damit soll das Verschieben von Gewinnen in Steueroasen erschwert werden. Auf der EU-Liste finden sich viele Steueroasen, allerdings nur wenige, die jetzt vom Tax Justice Network gebrandmarkt werden und unter der Ägide von reichen OECD-Ländern stehen.

Die UN nimmt in ihrem Bericht nicht nur die Steuerflucht von Unternehmen und reichen Privatpersonen aufs Korn, sondern prangert auch Geldwäsche und Korruption an. Rund 2,7 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung oder mehr als zwei Billionen Dollar werden jedes Jahr von Kriminellen durch illegitime Finanzströme „gewaschen“.

Die weltweiten Schmiergeldzahlungen belaufen sich demnach auf 1,5 bis zwei Billionen Dollar. Ein Großteil dieser Gelder dürfte dem Fiskus verborgen bleiben und zu weiteren Steuerausfällen in Milliardenhöhe führen.

„Das globale Finanzsystem muss reformiert, umgestaltet und revitalisiert werden“

Grybauskaitė und Mayaki fordern deshalb einen grundlegenden Umbau des Weltfinanzsystems. „Das globale Finanzsystem muss reformiert, umgestaltet und revitalisiert werden, sodass es den vier Werten Verantwortlichkeit, Legitimität, Transparenz und Fairness entspricht“, schreiben die beiden UN-Beauftragten.

Konkret fordern sie, dass diejenigen Finanzinstitutionen, Anwälte und Wirtschaftsprüfer, die illegale Finanzströme durch das internationale Finanzsystem schleusten, im gleichen Maß zur Verantwortung gezogen werden sollten wie die Übeltäter selbst.

Insgesamt stellt der UN-Bericht einen Katalog von 14 Forderungen auf, die von mehr Transparenz über einen stärkeren internationalen Datenaustausch bis hin zu einer stärkeren Aufsicht unter dem Dach der Vereinten Nationen reichen. Auch eine Besteuerung digitaler Dienstleistungen gehört dazu.

Hier zeichnet sich seit dem Machtwechsel in den USA Bewegung ab: Die neue US-Finanzministerin Janet Yellen zeigt sich gesprächsbereit für eine globale Digitalsteuer. Valdis Dombrovskis, Vizepräsident der EU-Kommission, hält eine transatlantische Einigung bis zum Sommer für möglich.

Mehr: Nach jahrelangen Verhandlungen: EU-Staaten wollen Firmen zu mehr Steuertransparenz verpflichten

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4 Kommentare zu "Studie: Regierungen gehen durch Steuerflucht jährlich 427 Milliarden Dollar verloren"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • Es ist doch verständlich, das Land mit den höchsten Steuern und Abgaben zu verlassen? Alle Länder dieser Erde sind im Vergleich zu Deutschland "Steueroasen". Akzeptabel wären die Steuer- und Abgabensätze, wenn diese für das eigene Volk verwendet würden. Doch wo landen die Deutschen Steuergelder? Fremde, sogar feindliche Kulturen werden unterstützt. Millionen Menschen aus anderen, feindlichen Staaten werden aufgenommen und erhalten die gleichen Sozialleistungen wie Einheimische. Obwohl Deutschland im Wohlstandsbericht auf das letzte Drittel abfiel, ist es immer noch Spitzenzahler in der EU! Staaten, welche im Wohlstandsbericht besser dastehen als Deutschland erhalten über den Verteiltopf der EU Gelder aus Deutschland.

    Deutschland hat mehr als genug Steuereinnahmen. Das Problem sind die Ausgaben. Deutschland braucht Steuersenkungen, um Unternehmen, Kapital und Fachkräfte in Deutschland zu halten. Wer Deutschland einmal verlassen hat, der kehrt nicht mehr zurück!

  • Die größte Ungerechtigkeit ist die Kompliziertheit des deutschen und europäischen Steuerrechts.
    Vereinfachen und europaweit gleiche Steuergesetze, dann wären wir schon sehr viel weiter.

    Das Problem sind nicht die kleinen Staaten / Inseln in der Karibik, sondern steuerliche "Gestaltungen" in Luxemburg, Holland, Kanalinseln, Irland und USA (siehe Delaware).
    So lange die Politik international keine handwerklich qualifizierten Steuergesetze (ohne Lobbyisten) auf die Reihe bringen, sind aufregende Kommentare und Schuldzuweisungen nicht angebracht.

    Und gleichzeitig wichtig - Steuerverschwendung hat den selben Effekt und sollte genauso verwerflich sein, mit entsprechenden persönlichen Konsequenzen.

  • Ein eher moralisierender, denn sachlicher Artikel. Wenn der Gesetzgeber Lücken lässt, sind die Vorstände idR verpflichtet, diese auch auszunutzen.

  • Und jetzt bitte die Zahlen für Steuerverschwendung gegenüberstellen. In Deutschland rund 70 Mrd. Euro pro Jahr, laut Bund der Steuerzahler. Ich kann Steuerflucht absolut nachvollziehen. Ich überlege auch schon die ganze Zeit was ich besser machen kann, um die Taschen des gierigen Staates weniger zu füllen.

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