Studien zur Zuwanderung Drücken Flüchtlinge die Löhne?

Ökonomenkonsens erschüttert.
Frankfurt Renommierte US-Ökonomen wollen Europa nützliche Erkenntnisse über einen plötzlichen Flüchtlingsstrom zur Verfügung zu stellen, wie er sich 1980 von Kuba nach Miami ergoss. Der Versuch kann als vorerst missglückt betrachtet werden, denn bisher haben die Wissenschaftler nur Erkenntnisse über den Haufen geworfen, die lange als gesichert galten. Welches die neuen sein sollten, darüber streiten sie heftig.
Einwanderungswellen führen nicht zu nennenswerten Einbußen bei gering qualifizierten einheimischen Arbeitnehmern. Das war gut 20 Jahre lang Ökonomenkonsens gewesen. Eine wichtige Grundlage dafür war die Analyse eines plötzlichen Zustroms von Flüchtlingen aus Kuba nach Miami. Kubas Staatschef Fidel Castro hatte seinen Landsleuten 1980 unerwartet freigestellt zu gehen, und 125.000 nahmen das Angebot an. Sie waren überwiegend gering qualifiziert. Fast 60.000 von ihnen siedelten sich in Miami an und ließen das dortige Arbeitsangebot um sieben Prozent anschwellen. Die Episode ist also vergleichbar mit der derzeitigen Lage Deutschland, wenn auch nur aus regionaler Sicht Miamis.
Der Berkeley-Ökonom David Card verglich die nachfolgende Lohn- und Arbeitsmarktentwicklung für gering qualifizierte Einheimische in Miami mit derjenigen in anderen, aus seiner Sicht ansonsten vergleichbaren Städten ohne diesen Flüchtlingszustrom – und stellte keine systematischen Unterschiede fest. Sein 1989 veröffentlichter Aufsatz war der erste in einer ganzen Reihe, die ebenfalls zu dem Ergebnis kamen, dass Massenzuwanderung den einheimischen Arbeitnehmern nicht schadet. „Cards Papier war das wichtigste in einer Reihe revolutionärer Studien, die das Denken der Ökonomen über Einwanderung umgewälzt haben“, schrieb der Finanzkolumnist Adam Davidson vor einem Jahr im „New York Times Magazine“.
Politische Lager prallen aufeinander
Doch im Oktober 2015 störte Harvard-Ökonom George Borjas den Konsens. Borjas, der selbst im Alter von zwölf Jahren aus Kuba eingewandert war, wies auf Fehler in Cards Methodik hin und rechnete neu. Er kam zu dem Ergebnis, dass der Zustrom zu kräftigen Lohneinbußen für die gering qualifizierten Einheimischen geführt habe – und durfte erfahren, dass dieses Thema in den USA nicht weniger politisiert ist als in Deutschland.
Es dauerte nur zwei Monate, bis Giovanni Peri und Vasil Yasenov von der University of California at Davis mit einer Kritik und Gegenrechnung an die Öffentlichkeit gingen, die Cards ursprüngliche Schlussfolgerungen, wenn auch nicht seine Methodik, bestätigten. Sie verursachten damit einiges Aufsehen in den Wirtschaftsmedien, die anhand der gelieferten Methodenkritik Borjas’ Analyse genüsslich als manipulativ zerpflückten.
Peri hat einen Ruf zu verlieren, hat er doch vor nicht allzu langer Zeit für das arbeitgebernahe Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn einen Übersichtsartikel über die Literatur zum Thema geschrieben. Darin war er zu dem Ergebnis gekommen, dass über Cards Ergebnisse unter Ökonomen Konsens herrsche.
Die Fronten in diesem politisierten Streit sind nicht ganz die üblichen. Card wird eher dem linken Lager zugerechnet. Er hat etwa mit verschiedenen Studien den einstigen Ökonomenkonsens ausgehebelt, dass Mindestlöhne Arbeitslosigkeit verursachen. Borjas entstammt dem konservativen Lager.
Frage nach gelungener Integration wird nicht beantwortet
Auch Borjas lies die Öffentlichkeit nicht lange auf seine Replik warten. Schon kurz vor Jahresende veröffentlichte er ein Papier mit „neuen Ergebnissen“, in dem er darlegte, welche methodischen Unterschiede vor allem für das dramatisch unterschiedliche Ergebnis verantwortlich seien. Sein Ergebnis ist wiederum nicht schmeichelhaft für Peri und Yasenov. Denn einer der wichtigsten Faktoren sei die Entscheidung der beiden, alle Arbeitnehmer ohne Schulabschluss schon ab 16 Jahren zu betrachten. „Weil fast alle diese ‚Arbeiter‘ noch die Highschool besuchen und keinen Highschool-Abschluss haben, werden sie systematisch als Schulabbrecher fehlklassifiziert“, bemängelt Borjas und fährt fort: „Dieser grundlegende Irrtum in der Datenkonstruktion verschmutzt die Analyse und trägt dazu bei, den wahren Effekt des Angebotsschocks zu verdecken.“
Die ökonomischen Argumente für beide Seiten sind einfach. Am einfachsten ist das für die Borjas-Seite. Wenn das Arbeitsangebot steigt, sinkt der Preis. Die Gegenseite argumentiert, das gelte nur bei gegebener Arbeitsnachfrage. Diese bleibe aber nicht gleich, weil durch den Flüchtlingszustrom auch die Nachfrage steige. Daher sei die Frage, ob die Löhne sinken, eine Frage, die sich nur empirisch, doch nicht theoretisch beantworten lasse.
Doch wer gehofft hatte, von den Datenanalysen der Ökonomen eine verlässliche Aussage zu bekommen, ob die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt zulasten der einheimischer Konkurrenten geht oder ob im Großen und Ganzen alle profitieren, der wurde aufgrund des Kleinkriegs um die richtige Analysemethode bisher enttäuscht.
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