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Swetlana Tichanowskaja im Interview Belarus' Oppositionsführerin: „Lukaschenko setzt Migration als Waffe ein“

Swetlana Tichanowskaja glaubt, dass sich der belarussische Präsident mit der Provokation einer Migrationskrise verschätzt hat, und fordert härtere Sanktionen gegen dessen Regime.
02.12.2021 - 04:04 Uhr 1 Kommentar
„Lukaschenko wollte die EU spalten, da sie sich bei der Migrationspolitik uneinig ist.“ Quelle: dpa
Swetlana Tichanowskaja

„Lukaschenko wollte die EU spalten, da sie sich bei der Migrationspolitik uneinig ist.“

(Foto: dpa)

Wien Die Unterdrückung in Belarus hat man im Ausland meist als „interne Angelegenheit gesehen und sich zurückgehalten“, sagt die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja. Das könne man als zynisch sehen, doch das spiele nun keine Rolle mehr. „Die Europäer müssen verstehen, dass Lukaschenko nur die Sprache der Stärke versteht“, sagt Tichanowskaja.

Der belarussische Präsident spüre nun Druck von mehreren Seiten: von innen, aus Europa und aus Russland. „Deshalb wendet er schmutzige Mittel an, um an der Macht zu bleiben.“

Mit der organisierten Schlepperei wollte Lukaschenko die EU nach Einschätzung der Oppositionellen erpressen. „Lukaschenko war sich sicher, dass er die europäischen Spitzenpolitiker zwingen kann, mit ihm wieder zu reden, seine diplomatische Isolation zu durchbrechen.“ Und: „Er wollte die EU spalten, da sie sich bei der Migrationspolitik uneinig ist.“ Das sei ihm teilweise gelungen. Sie fordert zielgerichtetere Sanktionen gegen das Regime in Minsk.

Lesen Sie hier das ganze Interview:

Frau Tichanowskaja, wie geht es der belarussischen Opposition über ein Jahr nach den Massenprotesten und Ihrem Gang ins Exil?
In der Bevölkerung hat Alexander Lukaschenko wenig Unterstützung. Ihr Wunsch nach Veränderung unterdrückt er mit Gewalt. Die Lage ist sehr schwierig: 2000 bis 3000 unserer Leute sitzen im Gefängnis, es herrscht eine Atmosphäre der Angst.

Die EU hat als Reaktion auf die Repression vier Pakete mit Sanktionen erlassen. Haben diese etwas bewirkt?
Jene gegen Personen des Regimes nützen nichts, die Sanktionen, die Wirtschaft und Geschäftsleute ins Visier nehmen, schon eher. Leider gibt es viele Schlupflöcher, die den Handel mit wichtigen Produkten weiterhin ermöglichen. Wenn man diese schließt und die Banken ins Visier nimmt, dann wird dies das Regime spüren.

Als Reaktion auf die von Lukaschenko an der Grenze zu Polen herbeigeführte Migrationskrise soll es weitere Zwangsmaßnahmen geben. Ist es für Sie ernüchternd, dass die EU erst dann entschieden handelt, wenn sie selbst betroffen ist.
Die innenpolitische Unterdrückung hat man im Ausland meist als interne Angelegenheit gesehen und sich zurückgehalten. Das kann man als zynisch sehen, aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Die Europäer müssen verstehen, dass Lukaschenko nur die Sprache der Stärke versteht. Er spürt Druck von innen, aus Europa und aus Russland. Deshalb wendet er schmutzige Mittel an, um an der Macht zu bleiben.

Was will Lukaschenko denn mit der staatlich organisierten Schlepperei von Menschen aus dem Nahen Osten erreichen?
Lukaschenko wollte die EU erpressen. Menschenleben bedeuten ihm nichts, aber er weiß, dass sie den Europäern etwas bedeuten. Lukaschenko war sich sicher, dass er die europäischen Spitzenpolitiker zwingen kann, mit ihm wieder zu reden, seine diplomatische Isolation zu durchbrechen. Und er wollte die EU spalten, da sie sich bei der Migrationspolitik uneinig ist.

War er erfolgreich?
Nur teilweise. Er hat zwar die Aufmerksamkeit weg von den politischen Gefangenen auf die Grenze gelenkt. Aber Polen ist hart geblieben, Brüssel hat sich für humanitäre Unterstützung an Gestrandete ausgesprochen und Druck auf Fluggesellschaften sowie die Herkunftsländer ausgeübt, die Routen zu schließen und Migranten zurückzuführen. Die EU redet nicht direkt mit dem illegitimen Präsidenten Lukaschenko.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat aber zweimal mit ihm telefoniert. Durchbrach sie damit die Einheitsfront?
Die Gespräche sorgten bei unseren Leuten für Unruhe, weil sie befürchteten, hier werde ein Hinterzimmerdeal geschlossen. Mir hat Berlin aber versichert, dass es keine versteckten Absprachen gegeben habe.

Hat Merkel Lukaschenko diplomatisch aufgewertet?
Nein, weil es nicht um diplomatische Anerkennung ging, sondern um eine Verbesserung der humanitären Lage und um Deeskalation. Dennoch sollten solche Aktionen nicht zur Norm werden.

Lukaschenko behauptet, Deutschland sei bereit, 2000 Migranten aufzunehmen. Wäre das für eine Entspannung wünschenswert?
Nein. Die Migranten müssen versorgt werden und ein Angebot zur Rückkehr in ihre Heimat erhalten. Deutschland will und soll sie nicht aufnehmen – aus gutem Grund: Lukaschenko sähe sich ermutigt, Migration als Waffe einzusetzen. Da er damit auch Geld verdient, würde das zu einer ständigen Drohkulisse.

Kontrolliert er die Lage an der Grenze noch?
Nicht wirklich. Das Regime weiß, dass die Migranten nicht über die Grenze kommen, es kann sie aber auch nicht nach Minsk zurückbringen. Deshalb werden sie ständig in Bewegung gehalten.

Wie reagieren denn die Belarussen auf die Präsenz der Menschen aus dem Nahen Osten?
Meine Landsleute wären bereit, mit ihnen zusammenzuleben. Aber sie sehen, dass Truppen des Innenministeriums bei politischen Demonstrationen brutal intervenieren, während sie Migranten ermutigen, Grenzbefestigungen anzugreifen. Diese Ungleichbehandlung macht sie zornig – aber nicht auf die Migranten, sondern auf das Regime.

Wie sehen Sie die Rolle des Kremls? Dieser scheint den Eskalationskurs Lukaschenkos, inklusive Drohung, den Gastransit nach Europa zu kappen, nicht bedingungslos mitzutragen.
Ja, Lukaschenko ist selbst für die Russen zu toxisch geworden. Sie fürchten einen Schaden für ihre Geschäftsinteressen, etwa wenn Polen die Grenze schlösse. Lukaschenko hat seinen Manövrierraum zwischen Ost und West verloren. Der Kreml will diese Schwäche ausnützen, hat aber keine klare Strategie. Die Lage bleibt deshalb sehr volatil.

Aus Moskau kam jüngst auch die Aufforderung an Lukaschenko, mit der Opposition zu reden. Waren damit Sie gemeint?
Ich bin mir nicht sicher. Die Russen spielen ihr eigenes Spiel und haben eigene Leute in der Hinterhand. Das war weniger ein Zeichen an uns als an Lukaschenko. Die Russen signalisierten ihm damit, dass sie Alternativen haben.

Gibt es Absetzbewegungen im Regime?
Es gibt einen engen Kreis in den Sicherheitskräften und den wichtigsten Ministerien, der so viel Mitverantwortung für Lukaschenkos Verbrechen trägt, dass er ihm bis zuletzt die Treue hält. Aber die regimenahen Geschäftsleute fürchten, sie könnten alles verlieren. Lukaschenko fürchtet sich vor diesem Verrat, deshalb organisiert er sein Umfeld ständig neu.

Agiert er noch rational?
Nein. Er ist psychologisch in einem schlechten Zustand und weiß, dass er keine Unterstützung mehr hat. Das kann er nicht akzeptieren. Vorgezogene Neuwahlen wären der einzige Ausweg, aber er sträubt sich mit allen Mitteln dagegen. Deshalb müssen wir den Druck aufrechterhalten und ihn dazu zwingen.

Mehr: Von der Leyen mahnt: Belarus versucht, EU zu destabilisieren

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1 Kommentar zu "Swetlana Tichanowskaja im Interview: Belarus' Oppositionsführerin: „Lukaschenko setzt Migration als Waffe ein“"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • Die Dame fordert haertere Sanktionen gegen ihr eigenes Volk - die Regierenden wuerde
    sie damit nicht treffen.

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