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Taliban-Herrschaft Kaum noch Geld und rasant steigende Preise: So leiden die Menschen in Afghanistan

Afghanistans Wirtschaft rutscht in eine tiefe Rezession. Die Not der Bevölkerung wächst. Junge Afghanen geben die Hoffnung aber nicht auf.
03.09.2021 - 09:00 Uhr 2 Kommentare
Dieser Mann karrt gesammelten Schrott heran, um ihn zu Geld zu machen. Quelle: AP
Alltag in Kabul

Dieser Mann karrt gesammelten Schrott heran, um ihn zu Geld zu machen.

(Foto: AP)

Bangkok Jamshid Roshangar stand kurz vor dem Einstieg ins Berufsleben – dann kamen die Taliban. Der 24-Jährige befindet sich im letzten Semester seines Wirtschaftsstudiums in Kabul. Doch seit dem Einmarsch der Islamisten in der Hauptstadt sind die Universitäten geschlossen.

Gehaltszahlungen an Staatsbedienstete sind derzeit ausgesetzt. „Ich glaube nicht, dass ich mein Studium bald beenden kann“, sagt Roshangar und verweist auf die prekäre Finanzlage des Landes, in der sich die neuen Herrscher zurechtfinden müssen. „Wenn die Professoren nicht bezahlt werden, dann werden sie auch den Unterricht nicht wieder aufnehmen.“

Stillstand herrscht in Afghanistan nicht nur an den Universitäten: Während die Taliban darüber debattieren, wie sie die neu gewonnene Macht im Land verteilen wollen, bricht die Wirtschaft in ihrem Herrschaftsgebiet zusammen.

In Kabul sind zahlreiche Büros und Geschäftslokale nach wie vor geschlossen. Vor den Bankfilialen, die in den vergangenen Tagen vereinzelt wieder geöffnet haben, bilden sich lange Schlangen. Gleichzeitig schnellen die Preise in die Höhe. Die Vereinten Nationen (UN) warnen vor einer Hungersnot.

„Die Menschen, die ich in Kabul treffe, sind traurig und enttäuscht“, sagt Wirtschaftsstudent Roshangar. „Viele haben kein Einkommen mehr und kaum noch Geld für das Nötigste.“ Weizenmehl sei seit der Machtübernahme der Taliban um 20 Prozent teurer geworden. Der Preis für Kochgas habe sich fast verdoppelt. „Die Lage ist besonders schwierig für die Menschen, die aus den Provinzen nach Kabul geflohen sind“, sagt Roshangar. „Aber unter der Krise leiden derzeit alle – auch meine Familie.“

Afghanistan ist für den Großteil seines Nahrungsmittel- und Treibstoffbedarfs auf Importe angewiesen. Die starken Preissteigerungen sind deshalb unter anderem auf die massive Abwertung der Landeswährung zurückzuführen. Sie verlor in den vergangenen Wochen im Vergleich zum Dollar um 15 bis 20 Prozent an Wert – eine genaue Kursermittlung ist derzeit nicht möglich, weil die Geldwechsler den Betrieb großteils eingestellt haben.

Ansturm auf die Banken in Afghanistan

Der von den Taliban eingesetzte neue Zentralbankchef Hadschi Mohammad Idris – der über keine formelle Finanzausbildung verfügt – versicherte laut Nachrichtenagentur Reuters in Gesprächen mit Bankern, einen Ausweg aus der steigenden Inflation zu suchen. Doch sein Handlungsspielraum ist stark eingeschränkt: Auf die fast ausschließlich im Ausland lagernden Währungsreserven in Milliardenhöhe haben die Islamisten keinen Zugriff. Die Amerikaner hatten zudem kurz vor dem Kollaps der früheren Regierung die Lieferung mit Dollar-Banknoten eingestellt, die in der bargeldbasierten Volkswirtschaft eine wichtige Rolle spielen.

Um einen Kollaps des Finanzsystems zu verhindern, dürfen Bankkunden derzeit pro Woche maximal 200 Dollar – oder das Äquivalent in der Landeswährung – abheben. Doch vielfach erhalten sie selbst nach stundenlangem Anstehen vor den Bankschaltern nicht einmal diesen Betrag. Auch Transfers aus dem Ausland über Anbieter wie Western Union kamen lange Zeit nicht an – erst am Donnerstag nahm das Unternehmen den Betrieb wieder auf. „Wir sind eine Mittelschichtsfamilie, aber wir haben kein Geld mehr“, sagt der 28 Jahre alte Noor Ahmad Zadran. „Wir können uns gerade nur noch mit Darlehen von Freunden über Wasser halten.“

Zadran betrieb mit seinem Bruder bis vor Kurzem ein Geschäft für afghanische Frauenkleider. Seit der Machtübernahme der Taliban hat es geschlossen. „Für unsere Waren gibt es jetzt keine Kundschaft mehr“, sagt er. Die Glassteine, mit denen er früher die Kleider verzierte, habe er verkauft, um Geld für Lebensmittel zu haben. „Es gibt inzwischen viele Menschen, die auf der Straße Gegenstände aus ihrem Haushalt verscherbeln, um an etwas Bargeld zu kommen.“

Vereinte Nationen fordern Hilfe für die Bürger

Angesichts der wirtschaftlichen Turbulenzen erwarten Volkswirte einen tiefen konjunkturellen Einbruch. Die Ratingagentur Fitch rechnet damit, dass die afghanische Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um 9,7 Prozent schrumpfen wird. Bereits im Vorjahr sank das Bruttoinlandsprodukt nach Angaben des Internationalen Währungsfonds um fünf Prozent.

Ein leichtes Wachstum halten die Fitch-Analysten frühestens 2023 für realistisch – aber auch nur, wenn es zu signifikanten Investitionen aus dem Ausland kommt. Einige große Volkswirtschaften – namentlich China und möglicherweise Russland – müssten die Taliban dafür als rechtmäßige Regierung akzeptieren und größere Investitionsprojekte anstoßen, hieß es.

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Kurzfristig droht ein massiver Anstieg der Armut. Die Vereinten Nationen zeigen sich besorgt und rufen die internationale Gemeinschaft zur Hilfe auf. Jeder dritte Afghane wisse nicht, woher seine nächste Mahlzeit kommen werde, sagte UN-Generalsekretär Antonio Guterres nach dem Abzug der US-Soldaten aus dem Land. Mehr als die Hälfte aller Kinder unter fünf Jahren werde im nächsten Jahr voraussichtlich akut unterernährt sein, fügte er hinzu.

Die Vorräte des UN-Welternährungsprogramms dürften nach Angaben der Organisation bis Ende September aufgebraucht sein. Guterres forderte die Mitgliedstaaten dazu auf, sich für die Menschen in Afghanistan „in ihrer dunkelsten Stunde der Not“ einzusetzen. Nötig seien zusätzliche Nahrungsmittel, Unterkünfte und medizinische Hilfsgüter.

Afghanistan ist seit Jahren von ausländischer Hilfe abhängig: Zahlungen internationaler Geldgeber entsprachen mit einem Volumen von 8,5 Milliarden Dollar im Jahr zuletzt mehr als 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Es wird erwartet, dass eine Fortsetzung der Hilfsprogramme von dem Verhalten der Taliban-Regierung abhängig gemacht wird.

In Kabul bleibt Wirtschaftsstudent Roshangar nur die Hoffnung, in absehbarer Zeit auch unter den neuen Machthabern noch seinen Abschluss machen zu können. „Sollten die Universitäten wieder öffnen, werde ich weiterstudieren“, sagt er. „Wenn ich jetzt das Land verlassen würde, hätte ich nicht einmal mein Diplom.“ An seinem Traum wolle er festhalten: irgendwann ein Unternehmen in Afghanistan gründen und Arbeitsplätze schaffen. „Das klingt jetzt zwar sehr blauäugig“, sagt er, „aber nichts ist unmöglich.“

Mehr: Dieser Unternehmer steht für all das, was die Taliban nicht wollen

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2 Kommentare zu "Taliban-Herrschaft: Kaum noch Geld und rasant steigende Preise: So leiden die Menschen in Afghanistan"

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  • Die Hilfen, die der Westen senden würde, verteilen dann die Taliban und erhöhen ihre Strahlkraft, d.h. den Gottes-Wahn in Afghanistan.

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