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Technologie Bidens Offensive gegen die Macht von Big Tech steht vor der ersten Bewährungsprobe

Das Kartellverfahren gegen Facebook wird zum Test für den Kampf der US-Politik gegen die Macht der Tech-Konzerne. Die Regulierungswelle in China verstärkt die Rufe nach Eingriffen.
01.09.2021 - 18:22 Uhr Kommentieren
Die 32-jährige Lina Khan führt als neue Chefin der US-Wettbewerbsbehörde Federal Trade Commission (FTC) den Kampf gegen die Macht von Big Tech. Quelle: AP
FTC-Chefin Lina Khan

Die 32-jährige Lina Khan führt als neue Chefin der US-Wettbewerbsbehörde Federal Trade Commission (FTC) den Kampf gegen die Macht von Big Tech.

(Foto: AP)

San Francisco Als Facebook im Mai 2020 ankündigte, die GIF-Plattform Giphy zu übernehmen, kam das zu einem heiklen Zeitpunkt. Wenige Monate vor der US-Präsidentschaftswahl stand das weltgrößte soziale Netzwerk besonders im Fokus von Republikanern und Demokraten. In Europa hatten die Wettbewerbsbehörden Facebook schon länger im Visier. Insbesondere, weil der Zuckerberg-Konzern schon oft erfolgreich aufstrebende Konkurrenten übernommen hatte. „Wir kaufen lieber, als zu konkurrieren“, soll Facebook-Chef Mark Zuckerberg 2008 in einer E-Mail nach Angaben der US-Wettbewerbsbehörde Federal Trade Commission (FTC) offenbart haben.

Dabei hat das Giphys-Management damals alles getan, damit die Übernahme nicht auf den Radarschirmen der Kartellwächter aufleuchtet Nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg schüttete das New Yorker Unternehmen eine Dividende an seine Investoren aus. So senkte Giphy seinen Unternehmenswert ausreichend, damit Facebook den Deal nicht mehr den Wettbewerbsbehörden anzeigen musste.

Inzwischen ist die Tarnung aufgeflogen, und Facebook steht erneut am Pranger der Wettbewerbshüter. Die FTC hat jetzt im zweiten Anlauf eine Klage gegen Facebook eingereicht. Das wird der erste Test, ob die Regierung von US-Präsident Joe Biden die Macht der großen US-Tech-Konzerne brechen kann. Der Demokrat hat eine Mannschaft von prominenten Big-Tech-Kritikern in die höchsten Ämter der Kartellbehörden gebracht: Die FTC leitet die 32-jährige Starjuristin Lina Khan, die Kartellabteilung im Justizministerium soll der Anwalt Jonathan Kanter übernehmen, der vergangenes Jahr noch gegen Google prozessierte.

Nicht nur in den USA hat sich das politische Klima für die globalen Tech-Giganten drastisch verschärft. Vor allem China legte in den vergangenen Wochen seinen Tech-Ikonen zahlreiche neue Fesseln an – von schärferen Datenschutzbestimmungen über restriktivere Vorschriften bei Börsengängen im Ausland bis hin zu neuen Arbeitsschutzregeln. Zusätzlich machte Staatschef Xi Jinping noch gegen die angehäuften Reichtümer der Tech-Milliardäre Stimmung. Für die Kartellwächter in den USA und Europa dürfte das ein zusätzlicher Ansporn sein. Das Argument, das Systemrivale China die Tech-Konkurrenz doch gewähren lässt, ist entkräftet.

Das erste Verfahren, das FTC-Chefin Khan führen wird, zeigt bereits die Fallstricke für Bidens Kartelloffensive. Ein Richter hatte die noch von der FTC unter Donald Trump eingebrachte Klage im Juni als zu schlecht begründet abgelehnt. Facebooks Monopolstellung bei sozialen Netzwerken war darin einfach behauptet, nicht aber mit Zahlen belegt worden.

Schadet Facebook den Konsumenten?

Der richtige Test für Khans Juristen kommt aber erst noch: Sie müssen Richter James Boasberg am Bundesgericht in Washington DC davon überzeugen, dass dieses Monopol auch Konsumenten schadet: „Ohne nennenswerten Wettbewerb konnte Facebook schlechteren Schutz von Privatsphäre und Nutzerdaten anbieten, als es in einem kompetitiven Markt nötig gewesen wäre“, schreiben die FTC-Juristen in der neuen Klage. Facebook muss bis zum 4. Oktober darauf antworten.

Dass ein Monopolist seine Macht ausnutzt, um die Daten seiner Nutzer schlechter zu schützen oder aggressiver auszuschlachten, ist ein neues Argument an US-Gerichten – und eines, das der herrschenden Lehre im US-Kartellrecht widerspricht.  „Die traditionelle Version des Consumer Welfare Standard ist in den Gerichten stark verwurzelt“, sagt Anu Bradford, Kartellexpertin an der Columbia-Universität in New York.

Der Consumer Welfare Standard ist seit Jahrzehnten die dominante Theorie im US-Kartellrecht. Demnach schlägt sich Machtmissbrauch von Konzernen grundsätzlich in steigenden Preisen für Endverbraucher nieder. Andere Ziele als steigende Konsumentenpreise zu verhindern, lehnt die von dem konservativen Juristen Robert Bork erdachte Theorie als zu interventionistisch ab.

Khan ist dagegen überzeugt, dass der Machtmissbrauch der großen Technologiekonzerne subtiler abläuft als der von Eisenbahn- oder Telekomkartellen in der Vergangenheit. Die erst 32-jährige FTC-Chefin müsse sich genau überlegen, welche Klagen am erfolgversprechendsten seien, um nicht ihr Momentum zu verspielen, ihr eigenes Team zu frustrieren und die knappen Ressourcen ihrer Behörde zu vergeuden, sagt Bradford. Die Tech-Konzerne auf der anderen Seite haben alle Mittel, um Verfahren bis zum Supreme Court durchzukämpfen. Und der sei durch die drei Verfassungsrichter, die Trump berufen konnte, sehr konservativ.

Es gibt aber auch kleinere Maßnahmen, die die Politik ergreifen könnte. Der Ökonom Florian Ederer von der Yale-Universität erforscht sogenannte Killer-Akquisitionen, bei denen ein Konzern ein Start-up kauft, nur um dessen Produkt oder seine Entwicklung stillzulegen und so einen künftigen Konkurrenten aus dem Weg zu räumen. Ederer hat das Phänomen bei Pharmakonzernen nachgewiesen, weil die Datenlage dort besser ist. Rund sechs Prozent aller Übernahmen in der Branche seien Killerakquisitionen – konservativ geschätzt.

Killer-Akquisitionen sollen Konkurrenten ausschalten

Auch im Tech-Sektor gebe es Beispiele: Facebook kaufte 2016 die virale App MSQRD, mit der man Augmented-Reality-Filter über sein Selfie legen konnte. Obwohl Facebook versprach, die App weiterzuführen, wurde sie 2020 abgeschaltet. Das soziale Netzwerk tbh kaufte Facebook 2017 keine drei Monate nach seinem Start für 100 Millionen Dollar – nur um es neun Monate später abzuschalten. „Bei Google und Facebook gibt es solche Akquisitionen am meisten, bei Amazon zum Beispiel weniger“, sagt der Österreicher Ederer und schlägt vor, die Schwellen zu senken, ab denen eine Übernahme an die Wettbewerbshüter gemeldet werden muss. Das würde Tricks wie im Fall von Giphy einschränken.

Killer-Akquisitionen im engen Sinn seien der Kauf von Instagram durch Facebook oder das 2014 erworbene WhatsApp nicht gewesen: „Erstens gibt es das Produkt ja noch, es ist seitdem sogar viel größer geworden“, sagt Ederer. Aber ein Wettbewerbshüter müsse sich überlegen, wie sich die Unternehmen ohne die Akquisition positioniert hätten: „Wäre WhatsApp zum Beispiel bei seinem Modell geblieben, einen Jahresbeitrag für die App zu verlangen?“, fragt er.

Ederer hält nichts von Vorschlägen, Tech-Konzernen Übernahmen ganz zu verbieten. Auch den „Consumer Welfare Standard“ hält er weiterhin für das richtige Instrument, um den Effekt von Zusammenschlüssen zu bewerten. Doch auch der Ökonom ist dafür, neben Preisen auch den Schutz der Privatsphäre von Nutzern einzubeziehen oder statt Endnutzern auch Facebooks Werbekunden als mögliche Opfer von Machtmissbrauch zu betrachten. Wettbewerbshüter hätten Facebook als Auflage etwa verbieten können, die WhatsApp-Übernahme durch intrusive Werbung zu finanzieren.  

Die WhatsApp-Gründer Jan Koum und Brian Acton wollten die Privatsphäre der Nutzer schützen und die App daher nicht durch personalisierte Werbung finanzieren. Allerdings schaltet Facebook auch bis heute keine Werbung in WhatsApp und verdient mit ihren rund zwei Milliarden Nutzern bis heute kaum Geld. Das dürfte es auch FTC-Chefin Khan erschweren, Facebook daraus einen Strick zu drehen.

Einzelne US-Bundesstaaten wie Georgia versuchen sich an eigener Regulierung, etwa von Apples und Googles App Stores. Im US-Repräsentantenhaus werden seit Juni sechs Kartellgesetze verhandelt, die verschiedene Aspekte wie Interoperabilität zwischen Plattformen im Auge haben. Dabei geht es auch um ein Verbot, eine Plattform zu betreiben, auf der das Unternehmen selbst konkurriert – was etwa Amazon oder Apple träfe. Im Moment arbeiten US-Senatoren wie der erzkonservative Republikaner Tom Cotton an eigenen Gesetzen.

Der Kampf in den US-Gerichten ist nur ein Schauplatz

Die politische, selbst geopolitische Lage wendet sich immer deutlicher gegen die großen Tech-Konzerne. „Die Kartelldiskussion hat sich fundamental verändert“, sagt die Juristin Bradford. Die Haltung, dass die großen Technologiekonzerne wie Facebook, Alphabet oder Amazon zu mächtig sind, eint selbst Erzfeinde: Im Inland bringen Republikaner und Demokraten, die sich sonst auf wenig einigen können, gemeinsam Gesetze in den Kongress ein.

Und seitdem China seine Tech-Riesen wie Tencent, Didi oder Alibaba drakonisch einschränkt, scheinen die USA, EU und China plötzlich vom selben Notenzettel zu singen. „Die technolibertäre Laisser-faire-Politik, die Big Tech einfach machen lässt, hat immer weniger Anhänger“, sagt Bradford.

Noch 2019 forderte Facebook-Chef Mark Zuckerberg einen zurückhaltenden Umgang der Regierung mit großen Konzernen und begründete das mit nationalen Interessen der USA und des Westens. „Ist das das Internet, das wir wollen?“, fragte Zuckerberg in einer Rede an der Washingtoner Georgetown-Universität mit Blick auf Plattformen wie WeChat, die Chinas Zensur unterliegen. „Das Argument, dass China seine eigenen Tech-Plattformen päppelt und die USA das deshalb auch tun müssen, fällt nun weg“, sagt Bradford.

Dazu kommt der seit Jahren anhaltende Druck aus der EU auf die US-Riesen. Die gebürtige Finnin Bradford hat den Begriff „Brüssel-Effekt“ geprägt – damit beschreibt sie den Erfolg der EU, etwa mit der europäischen Datenschutz-Grundverordnung Standards zu setzen, die von Indien über Brasilien bis Kalifornien adaptiert werden. Einige Konzerne wenden die EU-Regeln sogar freiwillig global an, um Komplexität in ihrem Geschäft zu reduzieren – oder ihren Ruf zu verbessern.

Diese Dynamik könnte am Ende wichtiger sein als einzelne Verfahren, die die Tech-Konzerne gegen die FTC gewinnen. „Sie haben nicht mehr viel Wohlwollen zu verspielen“, sagt die Columbia-Professorin Bradford. „Sie sollten ihre Schlachten weise wählen.“

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