„Transformation des Landes“ Umfassende Wirtschaftsreform beschlossen: Kuba wagt mehr Kapitalismus

Während der Pandemie gaben viele Kleinunternehmer ihre Arbeitslizenzen zurück.
Mexiko-Stadt Kubas kommunistische Regierung hat die vielleicht weitreichendsten Wirtschaftsreformen seit der Revolution von 1959 beschlossen. Ab sofort dürfen Private kleine und mittlere Unternehmen mit bis zu 100 Mitarbeitern gründen.
Die Regierung gibt also das Primat der Staatswirtschaft ein entscheidendes Stück auf. Staats- und Parteichef Miguel Díaz-Canel sagte nach der Sitzung des Staatsrats am Wochenende, dass diese „Mikro-, Klein- und Mittelunternehmen“ zur angestrebten „Transformation des Landes“ beitragen sollen.
Die zeitliche Nähe dieser wichtigen Reform zu den massiven Protesten vom 11. Juli legt fälschlicherweise die Vermutung nahe, die Machthaber hätten sich diese Veränderung jetzt überhastet ausgedacht. Tatsächlich wurden diese Liberalisierungen bereits seit Jahren beraten und entworfen.
Zuletzt hieß es im Juni, dass diese umfassende Wirtschaftsreform im August in Kraft treten sollte. Allerdings haben die Machthaber in den vergangenen Jahren immer wieder die Veränderungen so lange wie möglich hinausgezögert, die eine Abkehr vom bisherigen staatsmonopolistischen Modell bedeuten.
Es kann also gut sein, dass die historischen gewaltsamen Proteste in ganz Kuba von Mitte Juli gegen die Regierung und das Management der Wirtschaft und der Pandemie den Reformeifer der Führung beschleunigten.
Mehr Freiheiten für Kubaner
Tatsache ist jedenfalls, dass es jetzt sehr viel mehr Freiheiten für die Kubaner gibt, Unternehmen zu gründen, und der Staat sich noch weiter aus dem Wirtschaftsgeschehen zurückziehen wird.
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Bereits Anfang August wurde ein neues Landwirtschaftsgesetz verabschiedet, mit dem die Preisobergrenzen für Agrarprodukte abgeschafft wurden und erstmals „die realen Kosten für den Produzenten“ anerkannt werden. So soll die Produktion im Land wieder attraktiver gemacht werden.
Die neue Liberalisierung erweitert und perfektioniert das bisherige System der Kleinstselbstständigen, die als sogenannte „cuentapropistas“, eine Art Ich-AG, gearbeitet haben. Rund 600.000 Kubaner, die etwa 13 Prozent der arbeitenden Bevölkerung ausmachen, haben in den vergangenen Jahren eine Lizenz erworben. Sie arbeiteten im Wesentlichen im Tourismus: hier besonders in der Vermietung von Privatunterkünften, in der Restaurant- und der Taxibranche und auch im Souvenirsektor.
Seit Ausbruch der Pandemie gaben jedoch 250.000 der Kleinunternehmer wegen der laufenden Kosten ihre Lizenzen zurück, was faktisch der Aufgabe der Geschäftstätigkeit gleichkommt. Die meisten Menschen hatten schlicht keine Kunden mehr, da der Tourismus, eine der wichtigsten kubanischen Devisenquellen, durch die Pandemie zusammengebrochen ist.

Einige Menschen in Kuba arbeiten als „cuentapropistas“, eine Art Ich-AG.
Zudem waren die Ich-AGs sehr stark limitiert, was Angestellte und Geschäftsräume anging. Weiterhin mussten sie hohe Steuern entrichten.
Mit der jetzigen Reform wird der Spielraum für Private deutlich vergrößert. Sie sind nun nicht mehr auf den Dienstleistungssektor beschränkt, sondern können auch Handwerksbetriebe gründen, Landwirte werden und in jede Art von Produktion eintreten.
Bereits im Februar hatte die Regierung beschlossen, einen Großteil der staatlich kontrollierten Wirtschaft für den Privatsektor zu öffnen. Rund 2000 Bereiche wurden für Selbstständige zugänglich gemacht. Ausgenommen bleiben Schlüsselbereiche wie Gesundheit, Medien und Bildung.
Kuba in die Moderne führen
Es gehe darum, Kuba in die Moderne zu führen, sich endlich zur Marktwirtschaft zu bekennen und die vor Jahren eingeleiteten Reformen nicht mehr nur halbherzig, sondern entschieden und schneller voranzutreiben als bisher, sagt Pavel Vidal, kubanischer Ökonom an der Javeriana-Universität im kolumbianischen Cali.

Leute stehen in einer Schlange vor einem Supermarkt, in dem nur mit Dollar bezahlt werden kann.
Auch der Delegierte der Deutschen Wirtschaft auf Kuba, Gunther Neubert, sieht die Reformen grundsätzlich positiv. Aber es müsse sich zeigen, „mit welcher Geschwindigkeit die Reformen umgesetzt werden, und vor allem, welche bürokratischen Hürden zu überspringen sind“, sagte Neubert dem Handelsblatt.
Diese hätten in der Vergangenheit öfters unternehmerisches Engagement auf Kuba ausgebremst. Zudem sei das Hauptproblem für viele ausländische Unternehmen der weiterhin „hohe Forderungsstand gegenüber Kuba und seinen zumeist staatlichen Unternehmen“.
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