Türkei Präsident Erdogan will die Wirtschaft umkrempeln

Der türkische Ministerpräsident will die Wirtschaft umkrempeln. Der Druck ist groß. Seit Jahren herrscht eine hohe Inflation.
Istanbul Die Lira verliert an Wert, die Arbeitslosigkeit steigt und das Leistungsbilanzdefizit erst recht: Das sind die Wirtschaftsnachrichten aus der Türkei, an die sich die ganze Welt seit mehreren Jahren gewöhnt hat. Der Präsident des Landes, Recep Tayyip Erdogan, will die Misere nun beenden. „Ein vorrangiger Punkt auf der Agenda ist der Kampf gegen die Inflation“, kündigte Erdogan am Freitag bei der Vorstellung von Wirtschaftsreformen an. Die ist notorisch hoch. „Das Ziel ist eine einstellige Inflation“, so Erdogan.
Dazu solle ein „Frühwarnsystem“ für die Entwicklung der Lebensmittelpreise entwickelt werden. Der Staat selbst werde helfen, indem Preiserhöhungen im öffentlichen Sektor nur auf der Grundlage der angestrebten Inflation vorgenommen würden.
Die Teuerungsrate hatte im vergangenen Jahr zeitweise bei 15 Prozent gelegen – befeuert auch durch die Abwertung der Landeswährung Lira, durch die Importe teurer wurden. Erdogan will nun eine hochrangige Arbeitsgruppe einsetzen, um die Geldentwertung zu entschärfen. „Wir sind dabei, ein Preisstabilitätskomitee zu gründen.“ Dort sollen etwa die Finanz-, Technologie- und Energieminister herausfinden, wie sich höhere Preise effektiver bekämpfen lassen.
Erdogan kündigte weitere Reformen für die Wirtschaft an. Die Steuerpolitik etwa solle vereinfacht werden. Für die Steuererklärung kündigte er am Freitag eine Softwarelösung an, ähnlich der „Elster“-Lösung in Deutschland.
Auch digitales Geld soll bald eine größere Rolle in der Türkei spielen. In welcher Form ist noch unklar. Doch Erdogan deutete an, dass Münzen und Scheine bald nicht mehr das alleinige Zahlungsmittel im Land sein müssten. „Wir unternehmen Schritte, um die wirtschaftliche, technologische und rechtliche Infrastruktur für digitales Geld zu schaffen“, erklärte er am Freitag.
Abhängigkeit von Importen senken
Auch müsse die Produktivität gesteigert werden. Dazu sollen Investitionen, Beschäftigung und Exporte ansteigen. „Wir werden das Wachstumspotenzial erhöhen“, sagte der Präsident. Die Abhängigkeit von Importen solle gesenkt werden.
Seit Jahrzehnten lebt die türkische Volkswirtschaft über ihren Verhältnissen. Haushalte, Firmen und der Staat importieren mehr, als sie exportieren. Die Differenz liegt jedes Jahr im Milliardenbereich, und sie muss über ausländische Kredite und Investitionen ausgeglichen werden. Bleiben diese aus, leidet die Wirtschaft des Landes – und damit auch die Währung.
Die Wirtschaftsreformen sind Teil einer größeren Neuordnung der türkischen Politik. Erdogan will außerdem Menschenrechte im Land stärken und die Beziehungen der Regierung zu seinen westlichen Verbündeten verbessern.
Die Türkei hat im Corona-Jahr 2020 als eines der wenigen Länder überhaupt ein Wirtschaftswachstum geschafft. Das Bruttoinlandsprodukt legte um 1,8 Prozent zu. Von den 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländern (G20) hat nur noch China ein Plus gemeldet, das mit 2,3 Prozent sogar noch etwas höher ausfiel. Die Türkei hat ihr vergleichsweise gutes Abschneiden vor allem einem Kreditboom zu verdanken: Die staatlichen Banken haben ihre Darlehensvergabe in der zweiten Jahreshälfte nahezu verdoppelt.
Kurs der Lira fällt und fällt
Das hat allerdings seinen Preis: Der Kurs der Landeswährung Lira fiel auch wegen der Politik des billigen Geldes im vergangenen Jahr immer tiefer. Zwischenzeitlich hatte die Lira mehr als ein Drittel an Wert verloren und kostete im November 2020 bis zu zehn Lira pro Euro. Inzwischen hat sich der Kurs stabilisiert und liegt am Freitag bei 9,05 Türkischer Lira für einen Euro. Der tiefe Fall des Wechselkurses hatte die Teuerung angetrieben, da viele Waren im Ausland gekauft werden müssen.
Im Winter hatte Präsident Erdogan bereits das Wirtschaftsmanagement seiner Administration ausgetauscht. Neben Erdogans Schwiegersohn und Finanzminister Berat Albayrak musste auch der Notenbankchef Murat Uysal seinen Platz räumen. Anfang März mussten schließlich der Chef des türkischen Souveränitätsfonds TVF, Zafer Dönmez, sowie der Chef der Istanbuler Börse Hakan Atilla, zurücktreten.
Der neue Notenbankchef Naci Agbal leitete bereits im November eine straffere Geldpolitik ein. Der Leitzins erhöhte sich seitdem von 8,75 auf 17 Prozent und liegt damit erstmals seit mindestens zwei Jahren über der Inflationsrate. Ökonomen gehen davon aus, dass die türkische Wirtschaft trotz der restriktiveren Geldpolitik in diesem Jahr um rund fünf Prozent wachsen wird.
Außerdem sollen rund 850.000 Kleinunternehmer wie Kioskbetreiber oder Klempner von der Einkommensteuer befreit werden. Abgesehen davon gibt es jedoch keine quantitativen Vorgaben, etwa bezüglich der Inflation oder des Leistungsbilanzdefizits. Die Analysten der türkischen Beteiligungsfirma Oyak kritisieren das und glauben, dass es für die Märkte schwer werden wird, den Erfolg des Reformprogramms zu messen. „Deswegen haben die türkischen Finanzmärkte auf die Reformen bisher so gut wie gar nicht reagiert.“ Die Oyak-Analysten glauben, dass nach den nächsten Wirtschaftszahlen für das erste oder zweite Quartal 2021 Effekte sichtbar werden könnten.
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