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Türkei Tausende Migranten versammeln sich an der türkisch-griechischen Grenze

Mit der Öffnung der Grenze erhöht der türkische Präsident Erdogan den Druck auf die EU. In Griechenland droht eine humanitäre Katastrophe.
29.02.2020 - 15:24 Uhr Kommentieren
Am Donnerstagabend hatte die türkische Regierung die Öffnung ihrer Grenzen nach Europa angekündigt. Quelle: dpa
Migranten auf dem Weg zur türkisch-griechischen Grenze

Am Donnerstagabend hatte die türkische Regierung die Öffnung ihrer Grenzen nach Europa angekündigt.

(Foto: dpa)

Athen, Ankara Es sind Bilder, wie man sie zuletzt auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise Anfang 2016 an den Grenzen der Balkanländer gesehen hat: Steine fliegen, Stacheldrahtverhaue werden ausgerollt, Barrikaden errichtet, Tränengas- und Blendgranaten gezündet.

Jetzt wiederholt sich dieses Szenario. In Südosteuropa bahnt sich ein neuer Notstand an. Tausende Migranten aus der Türkei versammeln sich seit dem Wochenende an der Grenze zu Griechenland.

Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan verkündet, bis zum Samstagabend würden 30.000 Menschen die Grenzen überqueren. So will er den Druck auf die EU erhöhen. Das bekommt als erstes Griechenland als Staat an der EU-Außengrenze zu spüren. Die Regierung in Athen verstärkt den Grenzschutz, um irreguläre Einwanderer zurückzuhalten.

Am Donnerstagabend hatte die türkische Regierung die Öffnung ihrer Grenzen nach Europa angekündigt. Man werde Migranten nicht länger zurückhalten, teilte Erdogans Kommunikationsdirektor Fahrettin Altun mit. Nun droht die Entwicklung außer Kontrolle zu geraten.

Am türkisch-griechischen Übergang Kastanies versuchten am Samstag etwa 3000 bis 4000 Migranten, die Grenze zu überqueren. Sie warfen Steine auf die auf der griechischen Seite aufmarschierten Grenzpolizisten. Die Polizei wiederum setzte Tränengas und Blendgranaten ein. Bereits am Freitag hatten etwa 300 Migranten versucht, die Grenze an dem Übergang zu überqueren. Die griechische Polizei drängte sie aber zurück. Während die Migranten die Nacht nahe der Grenze an Lagerfeuern verbrachten, trafen in Reisebussen und Taxis weitere Menschen ein.

Der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis rief am Samstagmorgen die zuständigen Kabinettsmitglieder sowie die Oberkommandierenden der Streitkräfte und der Küstenwache zu einer Krisensitzung zusammen. Regierungssprecher Stelios Petsas kündigte nach dem Treffen an, Griechenland werde „alles tun, um seine Grenzen und damit Europa zu sichern“. Polizei und Armee hätten ihre Kontrollen an der Landgrenze verstärkt. Auch die Küstenwache fahre in der Ägäis mehr Patrouillen, sagte Petsas.

Man habe bisher dank des verstärkten Polizeieinsatzes rund 4000 illegale Grenzübertritte verhindern können. Trotzdem gelang es einigen Migranten, abseits des Übergangs den Grenzfluss Evros zu überqueren und Grenzzäune zu überwinden. 66 Personen seien von griechischen Grenzschützern festgenommen worden, sagte der Regierungssprecher.

Erdogan: „Wir werden unsere Grenztore nicht schließen“

Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan nannte allerdings ganz andere Zahlen. Nach seinen Angaben haben am Freitag bereits 18.000 Migranten die Grenzen nach Europa überquert. „Heute (Samstag) werden es 25.000 bis 30.000 sein“, sagte Erdogan und unterstrich: „Wir werden unsere Grenztore nicht schließen.“

Auch wenn es für die von Erdogan genannten Zahlen der Grenzübertritte weder in Athen noch in Sofia eine Bestätigung gibt, wirkt der Andrang auf die Übergänge auf türkischer Seite durchorganisiert: Von den Istanbuler Migrantenvierteln starten ständig Reisebusse zur 250 Kilometer entfernten griechischen Grenze. Die Tickets sind kostenlos. Wer die Busse gechartert hat, war zunächst unklar.

Mit der Öffnung der Grenzen hat die Türkei den Flüchtlingspakt mit der EU praktisch aufgekündigt. In der Vereinbarung, die im März 2016 geschlossen wurde, hatte sich Ankara verpflichtet, die „illegale Migration von der Türkei in die EU zu verhindern“.

Am Freitag unterrichtete Premier Mitsotakis Bundeskanzlerin Angela Merkel, den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, den EU-Ratspräsidenten Charles Michel und die Kommissionschefin Ursula von der Leyen telefonisch über die Entwicklung an der Grenze. Über Twitter teilte Mitsotakis mit: „Griechenland wird keine illegalen Einreisen tolerieren. Wir verstärken unseren Grenzschutz.“ Griechenland habe mit dem Krieg in Syrien nichts zu tun und werde nicht den Preis dafür bezahlen, so Mitsotakis.

Die größte Sorge in Athen ist, dass Deutschland und die EU Griechenland mit einer neuen Flüchtlingswelle allein lassen. Niemand weiß, wie stark der Migrationsdruck aus der Türkei noch wird. Griechische Medien zitieren Schätzungen, wonach sich in den nächsten Tagen etwa 120.000 Migranten in der Westtürkei auf den Weg zur Grenze machen könnten.

Auch in der Ägäis könnte sich die Situation weiter anspannen. Dort sind die Griechen nahezu machtlos: Ihre Küstenwache darf die Boote mit den irregulären Einwanderern nicht abdrängen, sondern muss die Menschen aufnehmen und an Land geleiten, wenn sie erst einmal griechische Hoheitsgewässer erreicht haben. So bestimmt es das Völkerrecht. Sichern könnte diese Seegrenze nur die Türkei, indem sie die Boote in ihren Hoheitsgewässern stoppt.

Seit langem droht Erdogan damit, die Grenztore zu öffnen. Jetzt macht er seine Ankündigung wahr. Die chaotischen Szenen an den Grenzübergängen, wo die Polizei die Migranten mit Tränengas und Blendgranaten abzuwehren versucht, produzieren genau die Bilder, die der türkische Präsident jetzt braucht. Damit erhöht er den Druck auf Europa.

Von der EU fordert Erdogan politische Rückendeckung für seine Invasion in Syrien und weitere Milliardenhilfen für die Unterbringung der Migranten. Die EU müsse ihre Zusagen einhalten, forderte Erdogan in einer Rede in Istanbul. Die zugesagten Gelder für die Unterstützung der Flüchtlinge kämen zu langsam an.

Die Türkei beherbergt aktuell rund vier Millionen Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, dem Irak und anderen Krisenländern. Nachdem Erdogan nun die Grenztore geöffnet hat, könnte eine Wiederholung der Krise vom Sommer 2015 drohen. Damals zogen binnen weniger Monate mehr als eine Million Flüchtlinge aus der Türkei über den Balkan nach Nordeuropa.

Überfüllte Lager

An manchen Tagen erreichten bis zu 10.000 Menschen die griechischen Ägäisinseln. Für Griechenland könnte jetzt allerdings eine Entwicklung beginnen, die weitaus kritischer ist als die Situation vor fünf Jahren. Denn während die aus der Türkei ankommenden Menschen damals nach Norden weiterzogen, sind die Grenzen auf der Balkanroute heute weitgehend dicht. Griechenland ist kein Durchgangsland mehr, sondern Endstation für die Migranten.

Besonders auf den griechischen Inseln der östlichen Ägäis, die wegen ihrer Nähe zum türkischen Festland von den Schleusern bevorzugt angesteuert werden, droht bei einer neuen Migrationswelle eine humanitäre Katastrophe mit kaum abschätzbaren Dimensionen.

Bereits jetzt sind die Auffanglager auf den Inseln überfüllt. Dort leben rund 42.000 Menschen in Camps, die nur knapp 8000 Schlafplätze haben. In den Lagern entlädt sich die Frustration der eingepferchten Migranten immer häufiger in Gewaltausbrüchen.

Auch die Nerven der Inselbewohner liegen nach fünf Jahren blank. Mit Streiks, Protestversammlungen und Slogans wie „Wir wollen unsere Inseln zurück“ fordern sie die Verlegung der Migranten aufs Festland. Doch auch dort gibt es keine freien Unterkünfte mehr.

Während am Samstag weitere Busse mit Migranten aus Istanbul nach Westen starteten, verlegte die griechische Polizei zusätzliche Einheiten ins Grenzgebiet. Auch das Militär wurde verstärkt. Aber wie lange die griechischen Grenzschützer dem wachsenden Druck standhalten, ist ungewiss.

Mehr: Bei einem Angriff syrischer Truppen sterben Dutzende türkische Soldaten. Es droht ein offener Krieg – und eine neue Flüchtlingswelle. Lesen Sie hier mehr.

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