US-Newsletter „Zukunftslabor USA“ Schlaflos an der Wall Street: Der brutale Deal der jungen Banker mit ihrem Arbeitgeber

Goldman-Sachs-Mitarbeiter klagen über stress-bedingte Angstzustände, sowie schwindende körperliche und mentale Gesundheit.
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New York Kein Thema polarisiert die Wall Street derzeit so sehr wie die Debatte über die brutalen Arbeitszeiten. 13 junge Banker von Goldman Sachs hatten mit ihrem Hilferuf im März die Debatte entfacht. Sie klagten über „unmenschliche und missbräuchliche“ Arbeitsbedingungen, denen sie sich mit 100 bis 120 gearbeiteten Stunden pro Woche ausgesetzt fühlen.
Ihr Hilferuf hat ein neues Tauziehen über die brutalen Anforderungen entfacht, die die Finanzwelt an ihre Mitarbeiter stellt. Im Zentrum steht dabei die Frage, wie zukunftsfähig diese Arbeitsweise noch ist.
Investmentbanker der alten Schule stempeln die jungen Mitarbeiter gerne als faul ab. Schon seit Jahrzehnten werden die Einsteiger, die frisch von der Uni kommen, schließlich hart ran genommen, argumentieren sie. Legendär war Bob Greenhill, der Chef des Investmentbanking von Morgan Stanley in den 1980er Jahren.
In der Zeit vor der Mobiltelefonie soll er seine Mitarbeiter auch nachts um zwei via Pager angefunkt haben. Wer am nächsten Morgen nicht angebrüllt werden wollte, der musste innerhalb von zehn Minuten zurückrufen.
Damals wie heute gehen die jungen Banker einen Deal mit ihrem Arbeitgeber ein: Sie verzichten weitgehend auf Privat- und Familienleben, genauso wie auf den Anspruch auf regelmäßigen Schlaf, Urlaub und Wochenende. Dafür verdienen sie schon im ersten Jahr nach der Uni mehr als viele Amerikaner nach Jahren oder Jahrzehnten im Job.
Die harte Schule ist ihr Eintrittsticket in die Welt der Großverdiener. Wer durchhält, dem winken in ein paar Jahren siebenstellige Gehälter. Kein schlechter Deal – oder doch?
Die 13 Goldman-Mitarbeiter klagen in ihrer Präsentation über stress-bedingte Angstzustände, sowie schwindende körperliche und mentale Gesundheit. Alle 13 sahen sich mit unrealistischen Arbeitsanforderungen konfrontiert. „Mein Körper schmerzt die ganze Zeit und mental bin ich in einem sehr düsteren Zustand“, schrieb einer der Banker.

Der Manager ist seit 2018 CEO von Goldman Sachs.
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Klar, sie könnten einfach kündigen. Doch Kritiker des alten Systems glauben, das sei zu kurz gedacht. Die Wall Street, und mit ihnen Anwälte und Berater, die ebenfalls für ihr hohes Arbeitspensum bekannt sind, sieht sich einem langfristigen gesellschaftlichen Trend ausgesetzt.
„Leute, egal in welchem Alter, hinterfragen alte Arbeitsmuster. Sie suchen sinnvolle Aufgaben und sind nicht mehr so einfach bereit, sich im gleichen Maße ausbeuten zu lassen“, gibt ein ehemaliger Top-Manager zu bedenken, der selbst die Wall Street verlassen hat.
Die Tech-Branche mache es längst vor. „Work Smart“ heißt dort das Mantra. In der Finanzwelt werde dagegen noch viel zu oft daran festgehalten, möglichst viel und ineffizient zu arbeiten. „Die Antwort auf jedes Problem ist immer: Ihr müsst härter arbeiten. Die Banken könnten sich auch fragen: Welche Prozesse könnten wir automatisieren, wie können wir besser planen, um unseren Mitarbeitern die Arbeit zu erleichtern? Doch das passiert nicht“, kritisiert der Ex-Banker.
Auch andere Institute spüren das Problem. Citi-Chefin Jane Fraser kündete kurz nachdem die Goldman-Präsentation ihren Weg in die Öffentlichkeit fand, „Zoom-freie Freitage“ an und ermutigt die Mitarbeiter, Urlaub zu nehmen. Die Boutique-Investmentbank Moelis & Co. zahlt ihren jungen Bankern 10.000 Dollar extra, die sie in ihre mentale Gesundheit investieren sollen.
Dafür lässt die Firma jedoch kaum Zeit. Moelis ermutige die jungen Mitarbeiter, am Freitagabend und Samstagvormittag frei zu nehmen. Zu allen anderen Zeiten wird erwartet, dass sie zur Verfügung stehen.
Goldman-Chef Solomon sendet unterdessen gemischte Signale. Er hat angekündet, sein altes Versprechen von freien Samstagen dieses Mal auch tatsächlich einzuhalten und mehr Banker einzustellen. Gleichzeitig forderte er seine Mitarbeiter auf, weiter alles zu geben.
„Ihr dürft nicht vergessen: Wenn wir alle die Extra-Meile gehen, selbst dann, wenn wir glauben, dass wir unsere Grenzen erreicht haben, kann das wirklich einen Unterschied in unserer Performance machen“, sagte er Ende März in einer Ansprache an seine weltweiten Investmentbanker.
Follow the money
Kleinanleger sind in der Pandemie eine treibende Kraft an den Aktienmärkten geworden. Bis zu 20 Prozent aller Handelsaktivitäten fielen auf sie zurück, was größere und kleinere Hypes in ganz verschiedenen Bereichen der Finanzmärkte befeuert hat – von Airline-Aktien, über Gamestop, bis hin zu Kryptowährungen und Spacs.
Nun jedoch zeigen die Kleinanleger erste Anzeichen von Müdigkeit. Ihre Handelsaktivitäten sind in den vergangenen Wochen deutlich zurückgegangen. Die Aktienkäufe lagen Ende März auf dem tiefsten Stand in diesem Jahr, bei 722 Millionen Dollar, wie Daten das Analysehauses Vanda Tracks zeigen. Ende Januar, mitten im Hype um die Gamestop-Aktie, hatten Kleinanleger noch Aktien im Wert von zwei Milliarden Dollar gekauft.
Spacs, bis vor kurzem noch einer der heißesten Trends an der Wall Street, haben ihre Anziehungskraft ebenfalls verloren. Spacs sind Mantelgesellschaften, über die Start-ups schneller und unkomplizierter an die Börse gehen können – jedoch auch mit hohen Risiken. Im Januar konnte quasi jedes Spac direkt nach seinem Börsenstart mit Kursgewinnen rechnen.
Das durchschnittliche Plus am ersten Handelstag lag nach Berechnungen des Wirtschaftsforschers Jay Ritter von der University of Florida noch bei über sechs Prozent, im Februar waren es nur noch 5,4 Prozent und im März waren es dann 0,2 Prozent.
Dank der erfolgreichen Impfkampagne drängt es Amerikaner weg von den Bildschirmen und raus in die Welt. Flughäfen sind so voll wie lange nicht mehr. Restaurants haben in vielen Teilen des Landes wieder geöffnet. Statt für Aktien geben die Amerikaner das Geld nun wieder lieber für andere Dinge aus. Die Jogginghose und die Robinhood-App haben erstmal ausgedient.
Kurz & Bündig
- Acht Gründe, warum Biontech, Pfizer und Moderna das Covid-Geschäft dominieren werden: Je weiter die Impfkampagnen voranschreiten, desto stärker erscheint die Position der Impfstoff-Pioniere. Auch längerfristig dürften sie den Markt beherrschen.
- „Bidirektionales Laden“: So will Volkswagen am Speichern von Strom verdienen: Elektroautos können bislang nur laden und keinen Strom abgeben. Der VW-Konzern wird das im kommenden Jahr ändern. Andere Hersteller dürften nachziehen.
- Non-Fungible-Tokens: Der neue Treibstoff im Kunstmarkt: Vom Prägen einzigartiger Dateien, neuem Reichtum und Kryptokunst. Geschichten über den Ursprung der riesigen Summen, die beim NFT-Business im Spiel sind.
Beta-Ebene
Viele Händler auf der Online-Plattform Etsy haben sich zum Beginn der Pandemie auf die Herstellung von Masken konzentriert, um den massiven Bedarf nach Mundschutz zu decken. Jetzt wo Millionen von Amerikanern pro Tag geimpft werden, dominiert eine neue Kategorie: „Vaccine Merch“: Amerikaner wollen nicht nur geimpft werden, sie wollen es der Welt auch mitteilen.
Zum Beispiel mit T-Shirts, auf denen „Pfizer-Alumi“ in großen Lettern steht. Oder mit To-Go-Bechern, deren Aufdruck an die Impfstoff-Label von wahlweise Pfizer oder Moderna erinnert. Oder mit Aufklebern, auf denen „Fauci-Ouchi“ steht, eine Anspielung an Amerikas obersten Virologen, Anthony Fauci.
Wer eine Nummer sicher gehen will, der kann sich auch wasserfeste Hüllen für den Impfnachweis zulegen. Der Ausdruck auf Papier ist nun schließlich genauso wichtig wie der Pass oder der Führerschein.
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