US-Newsletter „Zukunftslabor USA“ Widerstand gegen Big Tech wächst auch in der Heimat des Silicon Valleys

Facebook hat seine Zentrale in Menlo Park, Kalifornien.
Amerika gibt uns in diesen Tagen wieder einmal Rätsel auf: In keinem anderen Land der Welt wurden so schnell so viele neue Impfstoffe gegen das Corona-Virus entwickelt, wie in den USA. Johnson & Johnson ist nach Pfizer/Biontech und Moderna der dritte große Pharmakonzern, der ein effektives Vakzin zur Marktreife gebracht hat. Und nicht nur das: Die Amerikaner impfen deutlich schneller als die Deutschen.
Mehr als 15 Prozent haben in den USA bereits eine erste Spritze erhalten. Bei uns sind es nur rund fünf Prozent. Jetzt kündigte US-Präsident Biden an, dass bis Ende Mai alle erwachsenen Amerikaner geimpft werden können. Andererseits sind in Amerika bislang mehr als 500.000 Menschen an der Pandemie gestorben – auch das ist Weltrekord, aber ein trauriger.
Das Land der Widersprüche zeigt vielerorts sein Doppelgesicht: Die amerikanische Weltraumbehörde NASA erkundet erstmals mit einem neu entwickelten Helikopter den Mars. Auf der Erde führt ein extremer Kälteeinbruch in Texas dazu, dass Menschen in der Dunkelheit zu Tode frieren.
Seine zwei Gesichter zeigt Amerika auch beim Umgang mit seiner mächtigsten Zukunftsindustrie, den großen Technologiekonzernen und Internetplattformen. In Australien verhängt Facebook quasi eine Nachrichtensperre gegen einen ganzen Kontinent, weil die dortige Regierung das Unternehmen zwingen will, mehr von seinen Werbeeinnahmen mit klassischen Medien zu teilen.
Zur gleichen Zeit versuchen amerikanischen Lokalpolitiker in North Dakota mit einem neuen Gesetz Google und Apple dazu zu bringen, den App-Entwicklern einen höheren Anteil aus den Einnahmen ihrer App-Stores zu überlassen. Das Gesetz drohe „das iPhone zu zerstören“, malte der Apple-Manager Erik Neuenschwander bei einer Anhörung im Regionalparlament von North Dakota den digitalen Teufel an die Wand.
Die Episode aus der amerikanischen Provinz zeigt, wie breit der Widerstand gegen Big Tech auch in der Heimat des Silicon Valleys geworden ist:
- Kalifornien hat ein Datenschutzgesetz verabschiedet, das strenger ist als die europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO).
- Demokraten und Republikaner im Kongress wollen in seltener Einigkeit die Sektion 230 des Communications Decency Act rückgängig machen, die Facebook, Twitter & Co. bislang von der Haftung für das Unwesen befreit hat, das auf ihren Plattformen getrieben wird.
- Ende vergangenen Jahres haben die Wettbewerbshüter des US-Justizministeriums und der Federal Trade Commission (FTC) erst eine Kartellklage gegen Google und dann gegen Facebook eingeleitet.

Die demokratische Senatorin aus Minnesota ein Gesetz eingebracht, das eine weitere Machtkonzentration im Technologiesektor etwa durch Übernahmen verhindern soll.
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Im Senat in Washington hat unterdessen die demokratische Senatorin Amy Klobuchar aus Minnesota ein Gesetz eingebracht, das eine weitere Machtkonzentration im Technologiesektor etwa durch Übernahmen verhindern soll: „Man kann es nicht nur mit Pflastern und Klebeband mit Billionen-Dollar-Unternehmen aufnehmen, den größten Konzernen, die die Welt je gesehen hat.“
Nicht nur beim Datenschutz, auch bei der Wettbewerbskontrolle rücken die USA damit näher an Europa heran. „Beim Kartellrecht gibt es jetzt eine Annäherung, auch was die Einschätzung der Missbrauchsrisiken durch die Tech-Giganten angeht“, konstatiert Jürgen Kühling, Chef der deutschen Monopolkommission.
Wie stark der „techlash“ der neuen Regierung Biden ausfallen wird, hängt auch davon ab, wen der US-Präsident zu seinen Kartellwächtern macht. Mit Rebecca Kelly Slaughter hat er bereits eine erklärte Kritikerin von Big Tech zur geschäftsführenden Vorsitzenden der FTC gemacht.
Darüber hinaus soll der Rechtsgelehrte Timothy Wu nach Medienberichten Mitglied von Bidens National Economic Council (NEC) werden. Sollte das Gerücht stimmen, müssen sich die Zukunftsmacher aus dem Silicon Valley warm anziehen: Unter dem Titel „The Curse of Bigness: Antitrust in the New Gilded Age“ hat Wu eine wahre Streitschrift gegen die Übermacht von Big Tech geschrieben.
Frage der Woche
Ist die Angst vieler Menschen vor den digitalen Technologien berechtigt?

Der Robotikexperte ist Gründer des berühmten Zukunftslabors Google X.
Foto: dpa
Es antwortet Sebastian Thrun, Gründer des Zukunftslabors Google X
„Die Möglichkeit der Menschen, sich direkt zu vernetzen, sorgt dafür, dass eine Reihe von Institutionen gewaltig an Macht verliert. Das erzeugt Widerstände, führt aber auch dazu, dass das Vertrauen in alte Autoritäten verlorengeht. Einen ähnlichen Vertrauensverlust gab es auch, als der Buchdruck erfunden wurde und sich das Wissen unkontrolliert von Kirche und Herrschern verbreiten konnte.
Auch heute durchleben wir eine ähnlich chaotische Phase, in der wir nicht wissen, wem wir glauben können. Ich habe darauf noch keine Antwort. Sicher ist, dass wir die digitale Revolution in der menschlichen Kommunikation nicht wieder zurück in die Flasche bekommen werden.
Die meisten Tech-Konzerne stehen noch am Anfang einer Lernkurve, an deren Ende die Erkenntnis steht, dass man auch mit einer guten Regulierung noch gute Geschäfte machen kann. Neue Technologien eröffnen immer auch Möglichkeiten des Missbrauchs. Deshalb müssen gesellschaftliche Regeln eine wichtige Rolle spielen. Die Technologiefirmen können das nicht selbst entscheiden.“
Kurz & Bündig
- US-Pharmakonzern Merck produziert Impfstoff für Johnson & Johnson: Nach einer Notfallzulassung sagt der Pharmakonzern Hilfe bei der Produktion des Impfstoffes von J&J zu. Die Kooperation der Rivalen wird die Verfügbarkeit der Impfstoffe in den USA weiter erhöhen.
- USA verhängen im Fall Nawalny Sanktionen gegen Russland: Donald Trump verzichtete auf Strafmaßnahmen gegen Moskau. Der neue US-Präsident Joe Biden schlägt nun einen anderen Kurs ein – in enger Abstimmung mit Europa.
- Teams statt Windows: Wie sich Microsoft künftig unverzichtbar machen will: In der Pandemie hat der Konzern mit seiner Kommunikations-App Millionen Nutzer gewonnen. Nun soll Teams weiter ausgebaut werden – samt Abo-Modell.
Beta-Ebene
Amazon-Town
Ob die Autostadt Wolfsburg, der Pharmastandort Boehringer Ingelheim oder Bayer in Leverkusen. Städte, die von einem einzigen Industrieunternehmen dominiert werden, kennen wir aus Deutschland zur Genüge. Diese Symbiose zwischen Arbeit und Leben findet man auch in der New Economy. Die amerikanische Wissenschaftlerin Erika Hayasaki hat eine biografische Geschichte über die kalifornische Kleinstadt Eastvale geschrieben.
In der Region Inland Empire östlich von Los Angeles dominiert Amazon mit zwei großen Verteilzentren das Leben der 60.000 Seelen Gemeinde. Der Online-Gigant beschäftigt dort rund 40.000 Menschen, hat seine eigene Landebahn im nahe gelegenen Flughafen Ontario und ist auch sonst seinen Mitarbeitern allgegenwärtig: Wer in der Gegend ein neues Haus bezieht, dem kann es passieren, dass Alexa ihn begrüßt. Amazons Sprachassistentin gehört oft mit zur Grundausstattung.
Weltweit beschäftigt Amazon mehr als 1,3 Millionen Mitarbeiter und ist aus unserem Leben kaum noch wegzudenken. Big Tech-Kritikerin Shoshana Zuboff (Autorin des Bestsellers „The Age of Surveillance Capitalism“) spricht deshalb nicht von einem „Amazon town“, sondern von einer „Amazon world“.
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