US-Präsident in der Krise Der geschwächte Präsident: Diese Ziele muss Joe Biden wohl aufgeben

Der Präsident unterstützte seinen Parteifreund Terry McAuliffe, der im Bundesstaat Virginia einen Rechtsrutsch verhindern will.
Washington Früher war mehr Glamour. Wenn Joe Biden in diesen Tagen durchs Land reist, hat das mit dem pompösen Präsidentschaftswahlkampf nicht mehr viel zu tun. So besuchte der US-Präsident am Dienstagabend ein Fußballfeld am Stadtrand von Washington, zwischen einem Hundepark und Einkaufszentren. „Unsere Wirtschaft ist voll auf Kurs“, rief er ins Licht der Scheinwerfer, „ich garantiere viele neue Brücken und Straßen, das schnellste Internet, sauberes Wasser und bezahlbare Kinderbetreuung“.
Der Präsident unterstützte seinen Parteifreund Terry McAuliffe, der im Bundesstaat Virginia einen Rechtsrutsch verhindern will. Die Gouverneurswahlen gelten als Gradmesser für die politische Stimmung. Deshalb rückte Biden zur Verstärkung an, kurz nachdem schon Barack Obama nach Virginia gereist war.
Die Demokraten müssen derzeit viel Überzeugungsarbeit leisten. Dafür, dass es sich noch lohnt, an die Partei zu glauben – und an Biden als Präsidenten. Denn neun Monate nach dessen Amtsantritt läuft es nicht gut für ihn.
Seit dem Sommer befinden sich Bidens Beliebtheitswerte im Abwärtstrend, er hatte schon lange keine Erfolgsbotschaft mehr zu verkünden. Das Zeitfenster für große politische Projekte schließt sich, denn schon im nächsten Jahr sind Zwischenwahlen, in denen die Demokraten ihre Mehrheit im Kongress einbüßen könnten.
Die Krise in Washington schwächt auch Bidens Position im Ausland. Am Donnerstagabend bricht der Präsident zu seiner zweiten Europareise auf: Er wird vom Papst empfangen, nimmt am G20-Treffen in Rom teil und am Klimagipfel in Glasgow.
Chance auf Durchbruch verstreicht
Eigentlich wollte er mit konkreten Zusagen im Klimaschutz in die Air Force One steigen. Doch Biden ringt mittlerweile seit Monaten um historische Billionen-Investitionen in Infrastruktur, Sozialprogramme und erneuerbare Energien.

Joe Biden macht ein Foto in der Menge, nachdem er bei der Kundgebung gesprochen hat.
Mit jeder Stunde, die ergebnislos verstreicht, sinkt die Chance auf einen Durchbruch. Noch glaubt man auf dem Capitol Hill, dass eine Einigung rechtzeitig zustande kommt. Doch der Präsident musste bereits viele Kernversprechen abräumen, die Summe der Pakete dürfte deutlich kleiner ausfallen als geplant.
„In Europa verfolgt man sehr genau, dass Biden in seiner innenpolitischen Agenda blockiert ist“, sagt Heather Conley, Transatlantik-Expertin der Denkfabrik CSIS. „Dabei brauchen die Europäer eine entschlossene und stabile USA mehr denn je. Aber sie sind besorgt, dass wir ihnen das nicht bieten können“.
Auch in Bidens eigenen Reihen wächst die Angst vor einer Blamage. „Das ist ein kritischer Moment, um unser Standing auf der Weltbühne zu stärken“, sagte der demokratische Senator Chris Coons. „Wenn der Präsident ohne Einigung abreist, ist die Gelegenheit dahin.“
Auf dem Papier könnte Biden durchregieren, weil die Demokraten beide Kammern im Kongress dominieren. Doch seine Partei ist gespalten, Zentristen und Linke streiten über Steuern, Medikamentenpreise, erneuerbare Energien.
Gezerre um Haushaltspaket
Das Gezerre um ein umfangreiches Haushaltspaket blockiert parallel eine Infrastrukturreform, die eigentlich schon im Sommer hätte beschlossen werden können. Der linke Flügel weigert sich allerdings, über das Gesetz abzustimmen, solange nicht auch das größere Haushaltspaket steht – und die Moderaten wiederum stemmen sich gegen teure Forderungen der Linken.
Inzwischen ist das Haushaltspaket von 3,5 Billionen auf unter zwei Billionen geschrumpft, am Ende könnten es rund 1,5 Billionen werden. Bidens Spielraum wurde mit jeder Verhandlungsrunde kleiner, denn er kann auf fast keine Stimme im Kongress verzichten. Einige Punkte wurden bereits aus dem Verhandlungsprozess gestrichen. Diese Ziele muss Biden vermutlich aufgeben:
- Energiewende: Die Demokraten wollten einen nationalen Standard für sauberen Strom schaffen – und Energieversorger bestrafen, die auf fossile Brennstoffe setzen. Dieses Herzstück der grünen Energiewende ist wahrscheinlich raus. Auch eine Gebühr für Methanemissionen kommt wohl nicht zustande. Sogar bislang konsensfähige Anreize sind in Gefahr: Der demokratische Senator Joe Manchin, Chef des Energie-Ausschusses, hadert mit der Förderung von E-Autos. „80 Millionen Dollar für Ladestationen, damit tue ich mich schwer. Ich kann mich nicht erinnern, dass die Regierung Tankstellen gebaut hat, als Henry Ford das Modell T erfand.“
- Soziales: Aus zwölf Wochen bezahlten Mutterschutz wurden vier Wochen. Die USA sind weltweit die einzige Industrienation, die kaum oder gar keinen gesetzlichen Mutterschutz anbietet. Auch werden Community Colleges, das sind weit verbreitete Ausbildungsstätten, weiterhin Gebühren kosten. In der Gesundheit wird ebenfalls gespart: Aus der geplanten Kostenübernahme für Zahnersatz oder Hörgeräte werden wohl einmalige Zuschüsse.
Steuern: Eine höhere Unternehmensteuer scheint vom Tisch. Auch eine Vermögensteuer für Wohlhabende wurde begraben – auf Forderung einer einzigen Demokratin, der Senatorin Kyrsten Sinema. Die Lücke bei der Gegenfinanzierung ist ein großer Risikofaktor. Die Demokraten erwägen nun eine Sondersteuer auf die Aktiengewinne der 800 reichsten Amerikaner. „Das bringt aber nur zehn Prozent von dem, was wir brauchen“, räumte Nancy Pelosi, Demokratenchefin im Repräsentantenhaus, ein. Immerhin gilt die globale Mindeststeuer für Großkonzerne unter Demokraten als konsensfähig. Laut einem neuen Entwurf sollen 200 US-Unternehmen mit Gewinnen ab einer Milliarde mindestens 15 Prozent Steuern zahlen, ohne Chance auf Ausnahmen. Eine Mehrheit im Kongress ist aber noch nicht besiegelt.
Je länger sich der Streit zieht, desto offensichtlicher wird das Problem von Biden und seiner Partei: Sie können ihre Außenwirkung kaum noch kontrollieren. Denn der breiten Öffentlichkeit ist schwer zu vermitteln, was in dem knapp 10.000 Seiten dicken Konvolut drinsteht. Stattdessen dreht sich die Debatte fast ausschließlich um die Konflikte auf dem Capitol Hill.
Derzeit muss die republikanische Opposition gar nicht viel tun, um Biden vor sich herzutreiben – die Demokraten sorgen selbst für Chaos. So wurde ihre Senatorin Sinema kürzlich von linken Aktivisten bis auf die Damentoilette verfolgt. Und Manchin, der das Preisschild der Billionenpakete massiv drückte, wird „täglich“ dazu gedrängt, die Partei zu wechseln. „Aber ehrlich gesagt, ich weiß langsam nicht mehr, wo ich überhaupt hingehöre", sagte er im Economic Club of Washington. „Es ist nicht schön, Buhmann der Nation zu sein.“
Trumps Einfluss ist überall spürbar
Den Demokraten fehlt dazu ein mobilisierendes Thema, das die Euphorie des Wahlsiegs von 2020 in die Zukunft trägt. Noch immer setzen sie auf das Feindbild Trump. „Das ist hier keine Trump-Rally“, rief Biden bei seinem Auftritt auf dem Fußballfeld, als Demonstranten ihn mit Sprechchören unterbrachen.
„Ich bin gegen Donald Trump angetreten, und mein Freund Terry kandidiert gegen eine Kopie von Donald Trump“, warnte der Präsident und rief zum Wählen in Virginia auf. Die Furcht scheint groß, dass die Anhänger neun Monate nach Bidens Amtsantritt müde geworden sind.
Während Trump die Demokraten zu Hause nicht loslässt, grenzt sich Biden auf der Weltbühne demonstrativ von seinem Vorgänger ab. Der Präsident wolle während seiner Europareise „konstruktiv über Energiepreise, das iranische Atomprogramm und Fragen der Lieferketten diskutieren“, teilte das Weiße Haus mit. Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan hob die transatlantische Freundschaft hervor. „Die USA und Europa werden voller Energie die Agenda vorantreiben“.
Europa-Expertin Conley dämpfte Erwartungen an ein Signal des Aufbruchs. Das „America is back“-Mantra habe sich in den vergangenen Monaten abgenutzt. „Diese Reise wird sehr anders als Bidens erster Europabesuch zum G7-Gipfel“, so Conley. Unter anderem der U-Boot-Streit mit Frankreich habe das Vertrauen beschädigt. „Die Biden-Administration muss den angerichteten Schaden erst mal beheben.“
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