US-Regierung Mit Bidens Team kehrt die Berechenbarkeit zurück – für Europa wird es dennoch unbequem

Der künftige US-Präsident steht für Erfahrung und Berechenbarkeit.
Washington Manchmal reicht ein Tweet, um Entscheidendes zu verändern. „Im besten Interesse des Landes habe ich angeordnet, dass mein Regierungsapparat beginne, die Amtsgeschäfte an Joe Biden zu übergeben“, schrieb Donald Trump in der Nacht zum Dienstag auf seinem Twitter-Account.
Der amtierende Präsident ist damit noch weit davon entfernt, seine Niederlage einzugestehen – und John Bolton, der ehemalige Sicherheitsberater des Präsidenten, betont im Gespräch mit dem Handelsblatt, „dass Trump das auch nie tun wird, denn er hasst es zu verlieren“.
Und doch kehrt mit Trumps Botschaft ein Stück Normalität in die amerikanische Demokratie zurück. Eine einigermaßen ordnungsgemäße Machtübergabe ist drei Wochen nach Trumps Wahlniederlage näher gerückt.
Die ersten Konturen der Nachfolgeregierung zeichnen sich schon ab.
Biden hat seine wichtigsten Personalentscheidungen getroffen: Die ehemalige Notenbankchefin Janet Yellen wird Finanzministerin. Als Außenminister nominierte Biden seinen langjährigen Berater Antony Blinken, als Nationalen Sicherheitsberater seinen vertrauten Außenpolitikexperten Jake Sullivan. Und der frühere Außenminister John Kerry soll Sonderbeauftragter für Klimafragen im Nationalen Sicherheitsrat werden.
Das Personaltableau zeigt, welche Akzente die Regierung Biden setzen wird. In jedem Fall wird es nach außen hin partnerschaftlicher und berechenbarer zugehen. Und die US-Politik wird sich wieder an Fakten orientieren, denn alle Kabinettsmitglieder sind Experten ihres Fachs. Das bedeutet aber nicht, dass sie nicht auch unbequem sein können – vor allem auch für die europäischen Partner.
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Eine der prägenden Figuren dürfte Yellen, die designierte Finanzministerin, sein. Sie hat als Wissenschaftlerin einen exzellenten Ruf, schon in Yale studierte die ehemalige Fed-Chefin gemeinsam mit Nobelpreisträger James Tobin, der als intellektueller Erbe von John Maynard Keynes gilt.
Yellen habe für die Aufgabe die erforderliche „Gravitas“, lobt Investmentbanker Daniel Alpert von Westwood Capital. Sie wird auch die Fed auf ihrer Seite haben. Fed-Chef Jerome Powell war ihr Stellvertreter, bevor er von Trump an die Spitze der Notenbank berufen wurde. Schon jetzt kauft die Fed große Mengen an US-Staatsanleihen und hat angekündet, die Zinsen auch dann noch niedrig zu halten, wenn die Inflation wieder leicht anziehen wird.
So soll sichergestellt werden, dass der Arbeitsmarkt wieder zur Vollbeschäftigung zurückfindet. Yellen hat in ihrer Zeit als Fed-Chefin regelmäßig über die schweren Folgen von langfristiger Arbeitslosigkeit gesprochen. „Wenn die Arbeitslosigkeit besonders hoch ist und die Inflation historisch betrachtet niedrig, so, wie es gerade ist, dann braucht die Wirtschaft höhere Fiskalausgaben, um mehr Arbeitsplätze zu schaffen“, schrieb Yellen im August in einem Gastbeitrag für die „New York Times“.

Die künftige Finanzministerin will mit Staatsausgaben die Arbeitslosigkeit bekämpfen.
Mit ihrer Sorglosigkeit gegenüber Schulden liegt Yellen ganz auf Bidens Linie. Die Demokraten fordern ein neues Konjunkturpaket in Höhe von 2,2 Billionen Dollar. Weitere zwei Billionen Dollar will Biden zudem in den Klimaschutz investieren. Um das zumindest teilweise zu finanzieren, hat der Demokrat Steuererhöhungen angekündet. Zum einen plant er, die Körperschaftsteuern leicht anzuheben. Zum anderen sollen auch Amerikaner, die mehr als 400.000 Dollar im Jahr verdienen, stärker zur Kasse gebeten werden.
Der große Rest soll über Schulden finanziert werden. Allerdings liegt die Staatsverschuldung schon jetzt bei 24 Billionen Dollar. Das sind fast 110 Prozent der Wirtschaftsleistung. Was die Schuldenpolitik betrifft, betreten die USA langsam ein experimentelles Feld.
Aber auch außerhalb der USA wird die ehemalige Fed-Chefin ihren Einfluss geltend machen. „Yellen wird ein scharfes Auge auf potenzielle Quellen makroökonomischer Instabilität werfen“, warnt Gabriel Felbermayr, Chef des Instituts für Weltwirtschaft. Dazu gehörten aus ihrer Sicht auch deutsche Exportüberschüsse beziehungsweise Leistungsbilanzüberschüsse. „Insofern ist damit zu rechnen, dass große deutsche Überschüsse, die von den Handelspartnern ja durch Verschuldung finanziert werden müssen, bei ihr auf Kritik stoßen werden“, so Felbermayr.
Die Handelspolitik steht angesichts der Corona-Pandemie sicher nicht ganz oben auf Bidens To-do-Liste. Dennoch gerät der neue US-Präsident gleich zu Beginn seiner Amtszeit an dieser Front unter Handlungsdruck. „Der Abschluss der asiatischen Freihandelszone RCEP unter der Führung Chinas verlangt nach einer Antwort der USA“, sagt Josef Braml, Amerika-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).
Oben auf der Liste: Handel
Biden habe das Thema Handel im Wahlkampf weitgehend gemieden und mit seinem „Buy American“-Plan sogar protektionistische Töne angeschlagen, um die Industriearbeiter im Mittleren Westen für sich zu gewinnen. Jetzt müsse er auf die chinesische Herausforderung reagieren. Am besten, so Braml weiter, indem er die USA in die Transpazifische Partnerschaft (TPP) zurückführe.
Die USA hatten das TPP-Abkommen mit elf Pazifik-Anrainern unter Präsident Barack Obama selbst ausgehandelt, Trump kündigte jedoch den Vertrag 2017 an seinem ersten Tag im Amt. Japan hat das Projekt danach unter dem Namen CPTPP weiterverfolgt und zum Abschluss gebracht.
Durch eine Rückkehr könnte Biden jetzt seine handels- und sicherheitspolitischen Ziele miteinander verbinden – geht es ihm doch vor allem darum, ein politisches Gegengewicht zu China zu schaffen und die asiatischen Verbündeten wirtschaftlich stärker an die USA zu binden.
Einfach dürfte es für Biden jedoch nicht werden, die USA in das TPP-Abkommen zurückzuführen. Er steht unter Druck des linken Parteiflügels, der dem Freihandel grundsätzlich skeptisch und dem TPP-Abkommen besonders kritisch gegenübersteht.
Den ehemaligen Außenminister unter Obama, John Kerry, ernennt Biden zum Klima-Sonderbeauftragten. Damit soll ein internationales Schwergewicht die Rückkehr der USA in multilaterale Abkommen zum Schutz des Klimas begleiten. Kerry hatte unter Obama das Pariser Abkommen mitverhandelt und soll dafür sorgen, dass die USA dem Abkommen nun wieder beitreten und ihren Beitrag zum weltweiten Kampf gegen den Klimawandel leisten.

Der frühere Außenminister soll Sonderbeauftragter für den Klimaschutz werden.
Die Tatsache, dass der neue Klima-Zar im Nationalen Sicherheitsrat des Weißen Hauses sitzen soll, zeigt, wie ernst Biden den Klimawandel nimmt. „Amerika wird bald eine Regierung haben, die die Klimakrise als die dringende Gefahr für die nationale Sicherheit behandelt, die sie ist“, sagte Kerry am Montag.
Die neue US-Regierung sieht den Kampf gegen die Erderwärmung auch als wirtschaftliche Chance an. Biden will mit einem „Green New Deal“ in den kommenden zehn Jahren insgesamt 1,7 Billionen Dollar in erneuerbare und saubere Energien investieren. Bis 2050 sollen die USA damit 100 Prozent saubere Energien und null Emissionen erreichen.
Die unter Trump hofierte Öl- und Gasindustrie muss sich unter Biden auf harte Zeiten einstellen. Auch für die Autoindustrie brechen mit der Biden-Regierung neue Zeiten an: Zum einen will der zukünftige Präsident das landesweite E-Tankstellen-Netz ausbauen. Zum anderen plant er mehr Steueranreize für Käufer von batteriebetriebenen Autos.
Bei den Autoherstellern sind die neuen Signale angekommen: Noch am Montag kündigte General-Motors-Chefin Mary Barra an, dass der Konzern nicht mehr die Versuche der Trump-Regierung unterstütze, strenge Emissionsvorgaben in Kalifornien auszuhebeln.
Stärkung der Demokratie
Außenpolitik beginnt zu Hause – von diesem Grundsatz will sich die neue US-Regierung leiten lassen. Bidens Vordenker in diesem Bereich ist sein designierter Sicherheitsberater Jake Sullivan. „Was in unserem Land geschieht, ist von fundamentaler Bedeutung für unsere Fähigkeit, ein wirkungsvoller Akteur auf der Weltbühne zu sein“, sagte Sullivan kürzlich auf einer Veranstaltung des Atlantic Council in Washington.
Die USA könnten „außenpolitisch keinen Erfolg haben, wenn wir nicht zu Hause in das investieren, was uns stark macht: in unsere Infrastruktur, in Innovation, in unsere Arbeiter, in unser Einwanderungssystem und, ja, in unsere Demokratie.“
Mit der Betrachtung der innenpolitischen Erfolgsbedingungen von Außenpolitik zieht Sullivan die Lehren aus der populistischen Revolte, die Trump 2016 zum Sieg gegen Hillary Clinton verhalf. Biden und sein Team sehen die liberale Demokratie vor einer doppelten Bewährungsprobe: Im Innern setzen ihr nationalistische, illiberale Kräfte zu, von außen gerät sie durch China und andere autoritäre Systemrivalen unter Druck.
Um die Demokratie national und international zu stärken und den Autoritarismus zurückzudrängen, will der künftige US-Präsident schon im ersten Amtsjahr ein Gipfeltreffen der demokratischen Staaten einberufen.
Im Unterschied zur abgewählten Regierung von Donald Trump reduziert sich das außenpolitische Denken von Biden, Sullivan und dem designierten Außenminister Antony Blinken allerdings nicht auf die Machtrivalität mit China. Für globale Herausforderungen wie den Klimawandel und den Kampf gegen das Coronavirus werden sich die USA künftig wieder um eine Zusammenarbeit mit Peking bemühen.
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