Benachrichtigung aktivieren Dürfen wir Sie in Ihrem Browser über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts informieren? Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Fast geschafft Erlauben Sie handelsblatt.com Ihnen Benachrichtigungen zu schicken. Dies können Sie in der Meldung Ihres Browsers bestätigen.
Benachrichtigungen erfolgreich aktiviert Wir halten Sie ab sofort über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts auf dem Laufenden. Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Jetzt Aktivieren
Nein, danke

US-Vizepräsidentin Kamala Harris soll die Flüchtlingskrise lösen – und steht selbst im Fokus der Attacken

Die Vizepräsidentin steht für den gesellschaftlichen Wandel in den USA. Doch ihre Macht geht mit Zwängen einher. Auf der Weltbühne will sie bald stärker in Erscheinung treten. 
27.03.2021 - 14:31 Uhr Kommentieren
Der Vizepräsidentin werden gute Chance als demokratische Präsidentschaftskandidaten nach Joe Biden zugeschrieben. Quelle: AP
Kamala Harris

Der Vizepräsidentin werden gute Chance als demokratische Präsidentschaftskandidaten nach Joe Biden zugeschrieben.

(Foto: AP)

Washington Es sind nur ein paar Sekunden, die Kamala Harris auf einem Rollfeld vor ihrer Dienstmaschine Air Force Two zeigen. Doch im Internet läuft das Video rauf und runter. „Kamala Harris lacht hysterisch über die Flüchtlingskrise“, heißt ein Clip, der zehntausendfach auf Facebook geteilt wird. Boulevardblätter und der Sender Fox News berichten darüber seit Tagen. 

In der Szene fragt eine Reporterin, ob die Vizepräsidentin an die mexikanische Grenze reisen wolle. „Nicht heute“, antwortet Harris, dann lacht sie. Wer das ganze, acht Minuten lange Interview sieht, begreift schnell, dass Harris auf ihren vollen Terminkalender anspielte. Trotzdem unterstellten mehrere republikanische Senatoren Harris, die angespannte Situation an der Grenze zu verspotten. 

Bei der Kontroverse um Einwanderung sieht Amerikas Rechte eine offene Flanke der US-Demokraten. Zuletzt griffen die Behörden so viele minderjährige Flüchtlinge aus Zentralamerika auf wie seit 20 Jahren nicht mehr. Bilder überfüllter Auffanglager setzen die Regierung unter Druck: Bei Joe Bidens erster Pressekonferenz am Donnerstag gab es keine einzige Frage zur Pandemie, aber viele Fragen zur illegalen Einwanderung.

Die Attacken auf Harris zeigen, dass die Vizepräsidentin im Mittelpunkt der Debatte steht – und damit im Fokus des politischen Deutungskampfs in den USA. „Man kann Kamala Harris‘ Bedeutung gar nicht hoch genug hängen“, betont die demokratische Strategin Maria Cardona. In den kommenden Wochen wird die Aufmerksamkeit weiter wachsen: Harris leitet Verhandlungen mit Mexiko, El Salvador, Honduras und Guatemala über ein mögliches Flüchtlingsabkommen. Ziel sei eine „strategische Partnerschaft“, verspricht das Weiße Haus. 

Mit der Flüchtlingskrise beackert Harris zum ersten Mal ein Themenfeld, das man nur mit ihr verknüpft. Für ihr Profil ist das enorm wichtig. Als Biden Vizepräsident war, betraute ihn der damalige Präsident Barack Obama direkt mit der Finanzkrise. George W. Bushs Vize Dick Cheney ging als Architekt des Irakkriegs in die Geschichte ein, wenn auch als unrühmliches Kapitel. Trumps Vize Mike Pence sollte den Rückhalt für die Republikaner in der religiösen Rechten sichern und koordinierte die Covid-Bekämpfung. 

Bei Harris werden Bürger und Medien, Fans und Kritiker besonders genau hinschauen, wie sie ihre neue Verantwortung erfüllt. Denn bei den Demokraten gilt sie als natürliche Nachfolgerin des 78-jährigen Biden. Der US-Präsident hat zwar angekündigt, 2024 zur Wiederwahl antreten zu wollen. Doch im Wahlkampf hatte er nicht ausgeschlossen, lediglich eine Amtszeit absolvieren zu wollen. Dann hätte Harris die besten Chancen auf die Spitzenkandidatur der Demokraten. Und sollte Biden aus anderen Gründen vorzeitig aus dem Amt scheiden, rückt Harris automatisch an seine Stelle. 

Harris entscheidet über Billionen-Pakete

Harris steht auch deshalb unter Dauerbeobachtung, weil ihre Person aufgeladen ist mit Symbolik, die Erwartungen an sie gigantisch sind. Schließlich ist die 56-Jährige nicht nur die erste Frau, sondern auch die erste Schwarze und die erste US-Amerikanerin mit indischen Wurzeln im Amt. In vielen Belangen hat Harris Mauern durchbrochen, „aber mit Sicherheit nicht die letzte“, versprach sie in ihrer Siegesrede.

Noch nie saß jemand wie Harris auf diesem Posten. „Es gibt keine Blaupause für das, was Kamala Harris abdecken soll, keine Bedienungsanleitung“, meint die Strategin Cardona. Die Vizepräsidentin habe dadurch „Freiheit, ihre Rolle so zu gestalten, wie sie möchte“.

Das ist die positive Lesart für die Funktion, die Harris erfüllen soll. Doch in der Praxis sorgen Pandemie und politische Umstände dafür, dass Harris nur langsam ein eigenes Profil entwickeln kann.

Bei den Demokraten gilt die Vizepräsidentin als natürliche Nachfolgerin des 78-Jährigen. Quelle: AP
Joe Biden und Kamala Harris

Bei den Demokraten gilt die Vizepräsidentin als natürliche Nachfolgerin des 78-Jährigen.

(Foto: AP)

 Im Gegensatz zu ihren Vorgängern besteht Harris‘ wichtigster Job darin, innenpolitische Reformen vor dem Scheitern zu bewahren. Das liegt an den Mehrheitsverhältnissen im US-Senat, die Harris in Beschlag nehmen. Die Kammer hat 100 Sitze und ist fifty-fifty zwischen Demokraten und Republikanern aufgeteilt. Als Vizepräsidentin kann Harris mit ihrem Votum als „Tie Breaker“ einspringen und die demokratische Mehrheit für Gesetze, Richter- und Kabinettsposten sichern. 

Im März sorgte sie dafür, dass der Senat die Debatte über das 1,9 Billionen Dollar schwere Konjunkturpaket eröffnen konnte. Es war bereits das dritte Mal, dass Harris eine Blockade brechen musste. Bald könnte sie wieder die entscheidende Stimme liefern, wenn Biden ein drei Billionen teures Paket für Infrastruktur und Klima durch den Kongress bringen will.

Öffentlich nahm sie die Situation mit Humor und brachte den Senatoren Schokolade mit. Doch die Realität hat einen bitteren Beigeschmack, ihre Verantwortung schränkt Harris ein. Normalerweise ist die ganze Welt eine Bühne für Vizepräsidenten, die von einem Auslandsbesuch zum nächsten jetten. Harris hält sich stattdessen tagelang für Abstimmungen bereit, in den ersten Wochen reichte ihr Radius vom Weißen Haus bis zum Kapitol. 

„Bald mehr internationales Engagement“

Der Sender CBS will erfahren haben, dass sich Harris bald verstärkt um Cybersicherheit und Zukunftstechnologien kümmern will. Das wäre ein interessanter Schwerpunkt, denn während ihrer Karriere an der Westküste wurde Harris von den Konzernen des Silicon Valley umschwärmt. Das Thema wäre ideal, um sich außenpolitisch zu profilieren, was für eine Präsidentschaftskandidatur nicht schaden kann.

Beim Ziel der US-Regierung, Chinas technologische Vormacht zurückzudrängen, könnte die Vizepräsidentin „eine entscheidende Rolle spielen“, sagt die Expertin Lindsay Gorman von der Denkfabrik German Marshall Fund. „Wir werden bald mehr internationales Engagement von Harris sehen.“

Bis Harris auf der Weltbühne stärker in Erscheinung tritt, dürfte allerdings Zeit vergehen. Momentan tourt sie durch die USA, um unter dem Motto „Hier kommt Hilfe“ für das beschlossene Billionen-Paket und das Impfprogramm zu werben. Man merkt dabei, dass Harris ihre Identität nutzt, um Veränderungen anzustoßen. So plauderte Harris bei einem Besuch in einem veganen Taco-Laden in Nevada mit einer afroamerikanischen Verkäuferin.

Unter Schwarzen gibt es überdurchschnittlich viele Impfskeptiker, was zum Teil an der Historie medizinischer Experimente aus der Sklaverei liegt. „Sagen Sie Müttern, Großeltern, Onkeln, Brüdern, Schwestern, Cousinen, einfach allen, dass sie sich impfen lassen müssen“, mahnte Harris zwischen zwei Enchilada-Bestellungen. „Wir sitzen alle in einem Boot und können uns nur gemeinsam retten.“

Nach einem tödlichen Attentat auf überwiegend asiatisch-stämmige Frauen wandte sich Harris mit einer Brandrede an die Öffentlichkeit. „Rassismus ist in Amerika real. Fremdenfeindlichkeit ist real. Sexismus ist real“, sagte sie. Harris ist auch eine der wenigen prominenten Stimmen, die in der Pandemie den Fokus auf Frauen legen. Den „Massenexodus“ von zwei Millionen Frauen aus dem Arbeitsmarkt nennt sie einen „nationalen Notfall“.

Experten sehen in Harris‘ Präsenz eine tägliche Erinnerung daran, wie sich Amerika verändert. „Ihr Aufstieg hält der Nation einen Spiegel vor“, schreiben die Forscherinnen Kim Parker und Amanda Barroso von der Denkfabrik Pew Research. Die Vizepräsidentin vereine „alle demografischen Trends in einer Person“, etwa die steigende Zahl multiethnischer Menschen und Ehen sowie von Patchworkfamilien.

Harris hat einen jamaikanischen Vater und eine indische Mutter, sie ist Baptistin und hat keine leiblichen Kinder. Ihr Mann und „Second Gentleman“ Doug Emhoff ist weiß, jüdischen Glaubens und hat zwei Kinder aus erster Ehe. Harris steht auch dafür, dass immer mehr Frauen die Schaltstellen von Politik und Wirtschaft besetzen. Diese Entwicklung sieht man nicht nur bei den Demokraten, sondern auch bei den Republikanern, wo sich Politikerinnen wie Nikki Haley für den Wahlkampf warmlaufen.

Die Vorgänger rauchten, Harris joggt

Bei ihrem Besuch in Florida wurde Harris von einem Mädchen begrüßt, das ein Plakat in die Luft hielt: „Girls can change the world“ (zu Deutsch: „Mädchen können die Welt verändern“). Und zumindest für einen Kulturwandel hat die Vizepräsidentin jetzt schon gesorgt. Ihre männlichen Vorgänger rauchten in den Polstermöbel-Separées der Hauptstadt Zigarre. Harris joggt die Stufen des Lincoln Memorials rauf und runter, begleitet von schnaufenden Sicherheitskräften. Modeblogger in New York und San Francisco widmen sich den Perlen-Unikaten an ihren Ohren, und Harris‘ Berater steuern die Aufmerksamkeit geschickt.

Im Wahlkampf hatten ihr Kritiker Kühle und Unnahbarkeit vorgeworfen, inzwischen überbieten sich Vogue, Marie Claire und das Oprah-Magazin mit Fotostrecken von Harris. So eine Inszenierung kann man für oberflächlich halten, doch in ihrem Fall ist sie ein Statement. Schließlich sind schwarze Frauen mit Macht in den USA noch immer eine Rarität. 

„Die afroamerikanischen, hispanischen und muslimischen Gemeinschaften im Land haben vier Jahre gelitten. Jetzt sehen sie jeden Tag Kamala Harris im Weißen Haus. Das ist ein unglaublicher Befreiungsschlag“, sagt die Strategin Cardona.

Harris stand bei ihrer Inauguration auf den Stufen des Kapitols, wo nur Tage zuvor Trump-Anhänger die Konföderierten-Flagge schwenkten. Allein das war ein Symbol für einen Neustart.

Aber in einem polarisierten Land ist Harris eine Zielscheibe, viel mehr als Biden es je sein wird. Die Vizepräsidentin sei die Politikerin, über die mit Abstand am meisten im Netz hergezogen werde, fand die Denkfabrik Wilson Center heraus. Die  Attacken in der Einwanderungsdebatte dürften nur der Anfang sein.

Im kommenden Jahr ist Wahlkampf, dann entscheiden die Midterms über die Mehrheiten im Kongress. Laut der Politik-Agentur McClatchy arbeiten die Republikaner bereits an Strategien, Harris gezielt anzugreifen. 

Mehr: Warum die US-Regierung beim Thema Einwanderung nur verlieren kann

Startseite
Mehr zu: US-Vizepräsidentin - Kamala Harris soll die Flüchtlingskrise lösen – und steht selbst im Fokus der Attacken
0 Kommentare zu "US-Vizepräsidentin: Kamala Harris soll die Flüchtlingskrise lösen – und steht selbst im Fokus der Attacken"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%