USA Bidens Billionen-Hilfspaket muss ohne Mindestlohn-Verdopplung auskommen – zur Freude der US-CEOs

Der US-Präsident drängt auf eine schnelle Verabschiedung des Hilfspaket.
New York, Washington Bis zwei Uhr morgens hat es in der Nacht auf den Samstag gedauert, bis das Votum stand: Mit 219 zu 212 Stimmen hat das Abgeordnetenhaus das 1,9 Billionen schwere Hilfspaket von US-Präsident Joe Biden abgesegnet. Die Republikaner und zwei Demokraten stimmten dagegen. In dieser Woche könnte es nun die Hürde im Senat nehmen.
Auch wenn 70 Prozent der US-Bürger in Umfragen das Hilfspaket unterstützen, ist die Mehrheit im Senat extrem knapp: Sie kann nur mit der Stimme der US-Vizepräsidentin Kamala Harris erreicht werden. Das Stimuluspaket dort durchzusetzen ist der erste Test von Bidens Präsidentschaft, die er mit dem Versprechen begonnen hat, eine ganze Reihe von Krisen zu lösen. Seine Versprechen reichen von der Infrastruktur über Lieferketten bis zum Klimaschutz.
Die geplante Verdopplung des Mindestlohns wird wohl auf der Strecke bleiben. Eine Schiedsstelle im Kongress hat entschieden, dass diese weitreichende Reform nicht an das Konjunkturpaket gekoppelt werden darf. Biden zeigte sich darüber enttäuscht, ließ aber mitteilen, er respektiere die Entscheidung. Die Regierung arbeite auch außerhalb des Hilfspakets weiter an einer Erhöhung des Mindestlohns, „weil keiner in diesem Land Vollzeit arbeiten und in Armut leben sollte“.
Der US-Präsident forderte den Kongress auf, seinen „Amerikanischen Rettungsplan“ nun schnell zu verabschieden. „Wir habe keine Zeit zu verlieren“, sagte Biden. „Die Menschen in diesem Land haben schon viel zu lange viel zu sehr gelitten.“
Der Mindestlohn lag vor allem dem linken Flügel der Demokraten sehr am Herzen. Für die amerikanischen Unternehmen dagegen, die Biden und seinem Konjunkturpaket äußerst positiv gegenüberstehen, war die Erhöhung des Mindestlohns der größte Kritikpunkt an dem Paket gewesen.
Noch vor der Abstimmung am Ende der Woche hatten die amerikanische Unternehmenschefs auf das Hilfspaket gedrängt: „Mehr als ein Jahr, nachdem der erste Coronavirus-Fall in den USA gemeldet wurde, kämpft unsere Nation noch immer gegen die wirtschaftlichen Folgen“, heißt es in einem Brandbrief, den 170 CEOs der „Partnership for New York City“ an den US-Kongress verschickten.
Zu den Unterzeichnern gehörten unter anderem die Chefs von AT&T, Siemens, T-Mobile, Zoom, Goldman Sachs, Deutsche Bank oder auch Blackstone – ein Konzern, der vor dem Regierungswechsel den früheren US-Präsidenten Donald Trump unterstützt hatte. „Es muss mehr getan werden, um das Land auf den Weg für eine starke und dauerhafte Erholung zu bringen“, schrieben die Wirtschaftsbosse. Ihr Brief gibt Biden Rückenwind in einer sensiblen Phase.
Corona, Arbeitsmarkt, Chipindustrie – die Liste der Probleme ist lang
Auch wenn führende Institute dieses Jahr teils ein Wirtschaftswachstum von mehr als sechs Prozent erwarten, ist das Gesamtbild kompliziert: Die Corona-Infektionen sind trotz eines ehrgeizigen Impfprogramms noch nicht unter Kontrolle. Der Arbeitsmarkt erholt sich nur schleppend, außerdem kämpfen die USA, ebenso wie Europa, mit Engpässen in der Chip- und Halbleiterindustrie.
Die Unterstützung der CEOs markiert auch einen Neustart im Verhältnis zwischen Wirtschaft und Politik, das in vier Jahren Trump-Präsidentschaft oft auf die Probe gestellt wurde. Zwar feierten führende Wirtschaftsvertreter Steuersenkungen, Bürokratieabbau und Deregulierung – alles Maßnahmen, die vor Ausbruch der Pandemie zum längsten Wachstum in der Geschichte des Landes beigetragen hatten. Gleichzeitig aber sorgten Trumps Nationalismus, sein offener Rassismus und nicht zuletzt der Handelskrieg für massive Verunsicherung.
Im Präsidentschaftswahlkampf haben die meisten Unternehmen in altbewährter Manier sowohl Demokraten als auch Republikaner unterstützt. Nach dem Sturm Tausender Trump-Anhänger aufs Kapitol am 6. Januar stoppten jedoch viele Unternehmen ihre Spenden für die Republikaner. Stattdessen wenden sie sich nun Biden zu.
Biden, Harris und Finanzministerin Janet Yellen haben sich bereits mit den Vorstandsvorsitzenden von Walmart, Gap, Lowe’s und JP Morgan Chase getroffen. Diese haben sich grundsätzlich für ein Stimuluspaket ausgesprochen, aber auch ihre Bedenken gegenüber einem Mindestlohn von 15 Dollar geäußert.

US-Präsident Joe Biden, seine Vize Kamala Harris und Wirtschaftsministerin Janet Yellen im Gespräch mit Jamie Dimon dem CEO von JPMorgan Chase.
So hat Walmart-CEO Doug McMillon, der auch dem mächtigen Unternehmensverband Business Roundtable vorsitzt, zwar den jetzigen Mindestlohn von 7,25 Dollar als zu niedrig kritisiert. Aber er sprach sich gegen eine Höhe von 15 Dollar aus, weil man das geografisch differenzieren müsse.
Der Senior-Ökonom von JP Morgan, Michael Hanson, ging bereits seit Tagen von einem Paket von 1,7 Billionen Dollar statt der vollen 1,9 Billionen Dollar aus, weil er den Mindestlohn nicht einrechnete.
Aktuell ist die Gesetzesvorlage 591 Seiten dick, sie sieht Zuschüsse von jeweils 1400 Dollar für Geringverdiener vor, höhere Steuergutschriften für Kinder und mehr Arbeitslosenunterstützung. Profitieren sollen Schulen, Testzentren, das Gastronomie-Gewerbe oder strauchelnde Fluggesellschaften. „Bei diesem Paket geht es nicht so sehr darum, die Nachfrage zu stimulieren, sondern darum, der Angebotsseite und vor allem kleineren Unternehmen zu helfen“, erklärt der Ökonom Hanson.
Die Republikaner lehnen die Ausgestaltung der Hilfen ab: zu teuer, zu viel Gießkannenprinzip, lautet die Kritik. Doch solange die Demokraten zusammenhalten, sind die Republikaner machtlos. Unter Anwendung einer komplizierten Regel können die Demokraten das Paket im Senat mit einer einfachen Mehrheit verabschieden, und nicht wie üblich mit einer 60-Stimmen-Mehrheit. 2017 nutzten die Republikaner dieselbe Regel, um Trumps Steuerreform durch den Senat zu bekommen.
Biden will die Lieferketten der US-Wirtschaft stärken
Unabhängig von Stimulus im Kongress hat Biden in einer Reihe von Dekreten Unterstützung für die Wirtschaft angekündigt. So unterzeichnete er in dieser Woche einen Beschluss, der US-Unternehmen im globalen Wettlauf um Zukunftstechnologien stärken soll. Er lässt die Lieferketten in zentralen Branchen binnen 100 Tagen überprüfen, danach behält sich die US-Regierung protektionistische Maßnahmen vor.
Untersucht wird die Produktion von Batterien für Elektroautos, Pharmazeutika, Seltenen Erden, Halbleitern, Mobiltelefonen, militärischer Ausrüstung und anderen Gütern. Im Zuge der Pandemie hatte sich ein Mangel in der Chip- und Halbleiterindustrie verschärft. Das hat auch die Autohersteller in den USA getroffen – darunter Volkswagen.
In der Wirtschaft kommt der jüngste Vorstoß gut an. „Wir freuen uns darauf, mit der Biden-Regierung daran zu arbeiten, die Lieferketten zu stärken und neue Jobs in Amerika zu schaffen“, kommentierte Jay Timmons, der Präsident des Industrieverbands National Association of Manufacturers.
Lob kam auch vom Cyber- und Intelligence-Spezialisten der US-Handelskammer Christopher Roberti: „Wir können die Risiken für unsere Lieferketten verkleinern, indem wir mit unseren internationalen Schlüsselpartnern daran arbeiten, unsere Lieferketten zu diversifizieren und bestimmte Produkte zu lagern“, sagte Roberti. Gleichzeitig mahnte er, Strafmaßnahmen und neue Handelsbeschränkungen zu vermeiden.
Der Lieferketten-Beschluss ist Bidens zweiter großer Vorstoß in seiner jungen Amtszeit, der darauf abzielt, die US-Wirtschaft unabhängiger von Importen zu machen – insbesondere aus China, dem Vorreiter der Zukunftstechnologien. Ende Januar hatte der US-Präsident eine Verordnung unterschrieben, die Anreize für amerikanische Produzenten schaffen soll, ihre Materialien mehr im Inland herzustellen.
Unter dem Motto „Buy American“ will die Regierung 700 Milliarden Dollar in die amerikanische Fertigung pumpen. Davon sind 400 Milliarden Dollar vorgesehen, die der Staat direkt in den Kauf von US-Waren investiert. Die restlichen 300 Milliarden Dollar sollen Forschung, Technologie und moderne Herstellung fördern.
Bidens Klimaplan sorgt für Zustimmung und Ängste
Für Jubel und Ängste zugleich sorgen Bidens Pläne einer grünen Energiewende. Der Demokrat verspricht Millionen neuer Jobs durch den Aufbau einer sauberen Energiewirtschaft und will die Weichen für eine neutrale CO2-Bilanz bis 2050 stellen. Strenge Standards im Energiesektor und hohe Investitionen in moderne Gebäude und Infrastruktur sollen es ermöglichen.
Außerdem will Biden E-Autos fördern – durch Steuervergünstigungen und eine halbe Million Ladestationen. Davon werden vor allem jene Autohersteller profitieren, die wie Tesla, GM und Volkswagen schon unter Trump stark auf batteriebetriebene Autos gesetzt hatten.
Unter Biden kehrten die USA zum Pariser Klimaabkommen zurück. Auch blockierte der US-Präsident die umstrittene Pipeline Keystone XL, die Teersandöl aus Kanada an die Golfküste von Texas importieren sollte. Außerdem stoppte er neue Öl- und Gasbohrungen auf Bundesgebieten. Mehr als hundert Vorschriften im Umwelt- und Naturschutzbereich, die unter Trump gelockert wurden, will das Weiße Haus demnächst wieder strenger handhaben. „Wir haben nicht mehr die Zeit für kleine Schritte“, versprach er an seinem ersten Tag im Amt.
Für einen echten Richtungswechsel braucht Biden allerdings mehr als eine Handvoll Dekrete. Sein knapp zwei Billionen Dollar teures Konzept für ein Infrastrukturpaket, das den Fokus auf erneuerbare Energien legt, müsste vom Kongress bewilligt werden. Manche demokratische Senatoren stammen aber aus Bundesstaaten, die von Kohle und Öl abhängig sind.
Eine weitere große Unbekannte ist, ob Biden tatsächlich einige Steuererleichterungen aus der Trump-Ära kassiert. Unter seinem Vorgänger fiel der Körperschaftsteuersatz von 35 auf 21 Prozent, auch die Einkommensteuer sank. Biden will die Körperschaftsteuer auf 28 Prozent erhöhen und plant eine Vermögensteuer auf Einkommen über 400.000 Dollar im Jahr.
Laut der Denkfabrik Tax Policy Center würden die Angehörigen des reichsten ein Prozent der Nation unter den Plänen durchschnittlich 260.000 Dollar mehr Steuern im Jahr zahlen. „Biden wird von Unternehmen und den reichsten Amerikanern verlangen, ihren gerechten Anteil zu zahlen“, sagte Finanzministerin Janet Yellen.
Allerdings ist unklar, ob Biden genügend Zustimmung im Kongress bekommt. Die Denkfabrik Tax Foundation veröffentlichte in dieser Woche ein harsches Urteil zur möglichen Erhöhung der Unternehmensteuer: Sollte sich Biden durchsetzen, würden knapp 160.000 Jobs vernichtet. „Die US-Wirtschaft wird beschädigt, die Kosten für Investitionen werden steigen, die Wettbewerbsfähigkeit sinkt“, hieß es in einer Analyse.
Mehr: Impfkampagne und Hilfspaket verhelfen den USA zum Wirtschaftsboom
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