USA Kongress beschließt historische Infrastrukturreform – Teilerfolg für Biden

Die Mehrheitsführerin im Repräsentantenhaus hat das Infrastrukturpaket mit Ach und Krach durch den Kongress bekommen.
Washington So viel Euphorie hatte man im US-Kongress lange nicht mehr gesehen. Als das Repräsentantenhaus in der Nacht zum Freitag das 1,2 Billionen Dollar schwere Infrastrukturpaket beschloss, brachen viele Demokraten in Jubel aus. Sie scharten sich um ihre Chefin Nancy Pelosi, die 15 Stunden am Stück mit den zerstrittenen Flügeln ihrer Partei verhandelt hatte.
Über Monate war die historische Reform auf dem Capitol Hill blockiert worden, erst im dritten Anlauf wurde sie verabschiedet. „Wir leisten historische Investitionen“, sagte US-Präsident Joe Biden. „Die USA beweisen, dass sie liefern und den wirtschaftlichen Wettbewerb des 21. Jahrhunderts gewinnen können.“
1,2 Billionen Dollar für Infrastruktur, so viel wurde seit fast hundert Jahren nicht mehr am Stück investiert. Den Erfolg hatte Biden dringend nötig. Vor einem Jahr wurde er noch für seinen Wahlsieg gegen Donald Trump gefeiert, doch seit Sommer sind Bidens Zustimmungswerte abgesackt. Den Kampf um das Infrastrukturpaket drohte er beinahe zu verlieren: Bereits im August hatte sich der US-Senat, die oberste Kongresskammer, auf die Reform geeinigt, in Kooperation mit der republikanischen Opposition. Doch seitdem hing das Paket im Repräsentantenhaus fest. Die Blockade entblößte tiefe Gräben innerhalb der demokratischen Partei.
Auch das Infrastrukturpaket wurde am Ende nur Realität, weil sich moderate Republikaner den Demokraten anschlossen. Ohne die Unterstützung hätte Biden im eigenen Lager keine Mehrheit gehabt: Sechs linke Demokraten stimmten gegen das Paket, darunter die New Yorkerin Alexandria Ocasio-Cortez. „Das ist Bullsh**“, schimpfte sie über die Reform.
Die Linke hat ihre Zustimmung an ein doppelt so teures Haushaltspaket für Klimaschutz und Soziales geknüpft, zum Teil finanziert durch höhere Steuern für Unternehmen und Vermögende. Nun hängt die Megareform in der Schwebe. Das Repräsentantenhaus leitete formal den Prozess dafür ein, doch zunächst muss der Senat den Rahmen abstecken, was Wochen dauern kann.
Aus diesem Grund ist das Votum vom Freitag für Biden lediglich ein Teilerfolg, wenn auch ein beachtlicher. Bei rund 600 Milliarden handelt es sich um neue Investitionen, der Rest wird aus bereits bewilligten Mitteln umgeschichtet.
Hierhin sollen die 1,2 Billionen Dollar fließen – das Paket im Überblick:
Ein Großteil konzentriert sich auf klassische Infrastruktur wie Straßen und Brücken (110 Milliarden), Häfen (17 Milliarden), Flughäfen (25 Milliarden) und Schienen (66 Milliarden).
65 Milliarden sind für den Breitbandausbau vorgesehen. Laut dem Weißen Haus haben etwa 30 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner keinen zuverlässigen Internetzugang, was beim digitalen Schulunterricht und Trend zum Homeoffice während der Pandemie zu großen Problemen führte. 14 Milliarden Dollar sollen die Internetkosten für US-Amerikanerinnen und -Amerikaner mit niedrigem Einkommen senken.
Der Bau bleifreier Wasserleitungen (55 Milliarden) und Umweltsanierungen (21 Milliarden), etwa durch die Entgiftung von Seen, wurden ebenfalls berücksichtigt. Unvergessen sind die Bilder aus der Kleinstadt Flint in Michigan, wo Bürger über Jahre kontaminiertes braunes Wasser nutzen mussten. Moderne Stromnetze werden mit 73 Milliarden gefördert, 47 Milliarden fließen in die Abwehr von Cyberattacken, 50 Milliarden in Resilienz gegen Naturkatastrophen.
Öffentlicher Nahverkehr und Züge sollen mit 49 Milliarden unterstützt werden. 7,5 Milliarden fließen in E-Ladestationen, ebenfalls 7,5 Millionen sollen E-Schulbusse fördern. Die USA haben derzeit nur 43.000 E-Ladestationen, Biden will ein Vielfaches davon installiert sehen. Eigentlich wollte der Präsident Elektromobilität und grüne Innovationen mit 174 Milliarden ankurbeln, die Summe ist im Verhandlungsprozess geschrumpft.
Atomkraft bleibt – anders als in Deutschland – Teil des Energiemix und wird mit sechs Milliarden Dollar gefördert. Das Geld soll Kernreaktoren zugutekommen, die von der Stilllegung bedroht sind. Etwa ein Fünftel des Stroms in den USA wird über Kernkraft produziert, aber der teure AKW-Betrieb kann etwa mit Erdgasanlagen nicht mithalten. Auch sauberer Wasserstoff wird unterstützt.
In den USA führen häufig Katastrophen den Einwohnerinnen und Einwohnern die marode Infrastruktur vor Augen. So stürzte im Sommer in der Metropole Miami ein Hochhaus ein, im vergangenen Winter brach im Bundesstaat Texas das Stromnetz zusammen. Insofern sind die 1,2 Billionen für Infrastruktur durchaus ein Erfolg: für den Präsidenten, der sich um eine überparteiliche Lösung bemühte, und für die Bürgerinnen und Bürger, die auf neue Jobs und eine verbesserte Infrastruktur hoffen können. Die US-Handelskammer sprach von einem „Sieg für die USA“.
Für die Finanzierung wurden verschiedene Einnahmequellen ausgelotet, unter anderem aus der Kryptoindustrie. Dennoch soll das Defizit durch die Reform binnen zehn Jahren um 256 Milliarden Dollar steigen. Einen spürbaren Push für das Wachstum erwarten Ökonomen kaum, die Reform ist nicht als Konjunkturpaket angelegt. Denn verglichen mit fast sechs Billionen US-Dollar Covid-Nothilfen ist das Infrastrukturpaket kleiner. Dafür sollen die Investitionen länger wirken, über einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren.
Der große Kraftakt steht noch bevor
Bis zuletzt war unklar, ob die Mehrheit für das Paket zustande kommt. Demokraten-Chefin Pelosi hat die Abstimmung angesetzt, obwohl es keine demokratische Mehrheit für das Paket gab. Damit setzte die 81-Jährige ein Ultimatum, dem sich Gegner in den eigenen Reihen nur schwer entziehen konnten.
Am Ende ließen sich viele Abgeordnete überzeugen, auch aus Eigeninteresse: Denn die Demokraten stehen unter Zugzwang, zumindest einen Teil von Bidens Agenda realisieren zu müssen. Bei den Regionalwahlen vor einigen Tagen hatte die Partei schlecht abgeschnitten. Sie musste den Bundesstaat Virginia nach mehr als einem Jahrzehnt an die Republikaner verloren geben und verteidigten einen weiteren Ostküstenstaat, New Jersey, nur knapp.
Es war ein düsterer Stimmungstest für die Demokraten mit Blick auf die wichtigen Zwischenwahlen, die sogenannten Midterms, im nächsten Herbst. Dann haben die Republikaner gute Chancen, die Mehrheit der Demokraten im US-Kongress zu brechen.
Auch der Druck auf Biden persönlich war zuletzt gestiegen. Zum Klimagipfel in Glasgow reiste er ohne konkrete Maßnahmen für eine grüne Energiewende in den USA an. Und in der eigenen Bevölkerung war nur Trump zu diesem Zeitpunkt der Amtszeit unbeliebter.
Die Gründe dafür sind vielfältig: Die Covid-Infektionen sind nicht unter Kontrolle, der chaotische Afghanistanabzug ließ an Bidens Urteilsvermögen zweifeln. An der Grenze zu Mexiko werden täglich Zehntausende Flüchtende aufgegriffen. Dazu machen sich Lieferkettenprobleme und Inflation in den Portemonnaies der Menschen bemerkbar, Benzinpreise haben um zwei Drittel angezogen.
„Die Inflation übertrifft die Lohnsteigerungen, und das ist ein großes Problem“, sagte Michael Strain, Wirtschaftsexperte am konservativen American Enterprise Institut. Die Wirtschaft wachse zwar noch immer schnell, „doch die Menschen empfinden das genaue Gegenteil“. Einzig die starken Jobzahlen sorgten zuletzt für rare positive Nachrichten aus Washington.
Der nächste Kraftakt steht Biden bald bevor, wenn der Streit um das größere Haushaltspaket – aktuell soll es knapp zwei Billionen Dollar kosten – in die nächste Runde geht. Die Reform gilt als Herzstück von Bidens „Build Back Better“-Agenda, die die amerikanische Gesellschaft nicht nur wirtschaftlich stark, sondern auch gerechter machen will.
Allerdings können die Demokraten, anders als bei den Infrastrukturinvestitionen, hier nicht auf die Unterstützung von Republikanern zählen. Sie wollen das Megapaket im Alleingang beschließen und können sich dabei nur eine Handvoll Abweichler leisten.
Ein Vorankommen scheint nicht vor Mitte November realistisch, wenn der Senat aus einer Pause zurückkommt. Linke und Moderate liegen bei Kernpunkten auseinander, bei Medikamentenpreisen, Mutterschutz oder Einwanderung. Auch die Gegenfinanzierung ist nicht abschließend geklärt.
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