USA und Russland Biden warnt Putin vor enormen wirtschaftlichen Konsequenzen bei Einmarsch in Ukraine

Das Gespräch endete mit deutlichen Warnungen.
Brüssel, Berlin US-Präsident Joe Biden hat den russischen Präsidenten Wladimir Putin vor enormen Schäden für die russische Wirtschaft im Falle einer Invasion im Nachbarland Ukraine gewarnt. Das teilte das Weiße Haus nach einem zweistündigen Videogespräch der beiden Staatsoberhäupter mit.
Biden habe deutlich gemacht, „dass die USA und unsere Verbündeten im Falle einer militärischen Eskalation mit starken wirtschaftlichen und anderen Maßnahmen reagieren würden“. Biden war aus Washington zugeschaltet, Putin nahm von Sotschi am Schwarzen Meer aus an dem Gespräch teil.
Nach seinem Gespräch mit Putin wollte Biden sich mit der scheidenden Bundeskanzlerin Angela Merkel, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, dem britischen Premierminister Boris Johnson und dem italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi beraten. Bei einem Gespräch am Vortag hätten die Verbündeten bereits vereinbart, „eng miteinander in Kontakt zu bleiben, um ein koordiniertes und umfassendes Konzept als Reaktion auf Russlands militärisches Aufrüsten an den Grenzen der Ukraine zu entwickeln“.
Die USA denken unter anderem daran, Russland im Falle einer militärischen Intervention vom internationalen Zahlungssystem Swift abzuschneiden. Nach anderen Medienberichten könnten die USA es Investoren erschweren, auf dem Sekundärmarkt in russische Staatsanleihen zu investieren.
Auch die bereits fertig gebaute Erdgaspipeline Nord Stream 2 stünde zur Disposition. „Nord Stream 2 wäre dann politisch auf unabsehbare Zeit nicht mehr durchsetzbar“, sagte Daniela Schwarzer, Direktorin für Europa und Eurasien bei der Stiftungsgruppe Open Society Foundations. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Bloomberg drängen die USA darauf, dass die Pipeline im Falle eines Krieges in der Ukraine gestoppt werde.
Joe Biden warnt Wladimir Putin vor weiterer Eskalation
Eine militärische Option gibt es für den Westen in der Ukraine dagegen nicht. Weder die USA noch die Europäer dürften bereit sein, sich dort in einen Krieg mit Russland hineinziehen zu lassen. Nach dem Debakel in Afghanistan will Biden auf keinen Fall sein Land in einen neuen Krieg verwickeln. Waffen liefern die USA allerdings, so haben sie die ukrainischen Streitkräfte unter anderem mit Panzerabwehrraketen ausgestattet.
Russland und die Ukraine werfen sich gegenseitig vor, gegen die Vereinbarungen des Minsker Abkommens zu verstoßen. Kern des Konflikts ist die Furcht Russlands, die Ukraine könne über kurz oder lang Nato-Mitglied werden.
Spannungen an der Grenze nehmen zu
Die USA unterstützen zwar ein solches Ansinnen nicht aktiv, beharren aber darauf, dass nur die Ukraine selbst entscheiden könne, ob sie dem westlichen Verteidigungsbündnis beitreten wolle. „Präsident Biden bekräftigte seine Unterstützung für die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine und rief zur Deeskalation und zur Rückkehr zur Diplomatie auf“, teilte das Weiße Haus mit. Putin hatte 2014 die Krim annektiert und unterstützt seitdem auch russisch gesinnte Separatisten in der Ostukraine.
Der designierte Bundeskanzler Olaf Scholz hatte vor dem Gipfel gesagt, es müsse „ganz, ganz klar“ sein, dass eine weitere Bedrohung der Ukraine inakzeptabel wäre. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schrieb auf Twitter: „Wir werden auf jede weitere Aggression mit einer Verschärfung und Ausweitung der bestehenden Sanktionen reagieren.“
Wenige Stunden vor dem Videogipfel hatte die Ukraine Russland vorgeworfen, Panzer und Scharfschützen an die Kontaktlinie zwischen der ukrainischen Armee und prorussischen Rebellen in der Ostukraine entsandt zu haben, um „Gegenfeuer“ zu provozieren und so einen Vorwand für einen potenziellen russischen Einmarsch zu schaffen. Der Kremlsprecher Dmitri Peskow wollte sich nicht zum Vorwurf äußern und verwies auf das russische Verteidigungsministerium, das zunächst keine Stellungnahme abgab.
Wenn Wladimir Putin in seiner langen Herrschaft etwas bewiesen hat, dann Opportunismus – womit in seinem Fall allerdings weniger die Flexibilität von politischen Positionen als eine strategische Orientierung gemeint ist. Putin wittert Gelegenheiten, die er ausnutzen kann, um die Machtposition Russlands zu stärken. So war es 2014 beim Angriff auf die Ukraine, 2015 bei der Intervention in Syrien, und so scheint es jetzt wieder zu sein.
Erneut könnte die Ukraine zum Ziel einer russischen Aggression werden. Das zumindest ist die Warnung, mit der die Amerikaner in den vergangenen Tagen ihre Verbündeten in der Nato aufgeschreckt haben. Satellitenbilder zeigen, dass Russland an der ukrainischen Grenze Truppen zusammengezogen hat. Ein Angriff könnte unmittelbar bevorstehen, wenngleich die Amerikaner betonen, dass sich Putin nach ihren Informationen bisher noch nicht entschieden hat.
Doch die Gelegenheit ist günstig, in mehrfacher Hinsicht: Deutschland steckt mitten in einem Regierungswechsel, in Frankreich hat der Wahlkampf begonnen, und die USA haben unter Präsident Joe Biden unmissverständlich signalisiert, dass sie ihre Aufmerksamkeit auf den Hegemonialkonflikt mit China richten wollen. Für einen strategischen Opportunisten wie Putin ist das eine fast schon unwiderstehliche Verlockung.
Ampelkoalition setzt auf Abschreckung
„Die Europäer sollten Putin zu verstehen geben, dass eine Aggression gegen die Ukraine verheerende politische und wirtschaftliche Folgen für Russland hätte“, fordert Bijan Djir-Sarai, außenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag.
Kurz: Abschreckung ist angezeigt. In der Frage, ob dafür auch deutsche Waffenlieferungen infrage kämen, will sich Djir-Sarai zwar nicht festlegen. Er stellt aber klar: „Die Ukraine sollte in der Lage sein, sich zu verteidigen. Keine Form der Unterstützung darf dabei tabu sein.“
Viola von Cramon, Europapolitikerin der Grünen, schätzt die Lage ähnlich ein: „Europa muss klare Kante zeigen. Es ist wichtig, jetzt nichts auszuschließen.“ Politisch ist die Forderung nach Waffenlieferungen hochumstritten. Die deutschen Gesetze schränken den Export von Kriegswaffen in Krisengebiete ein. Grünen-Chef Robert Habeck hatte sich im Mai dennoch für Waffenlieferungen an Kiew ausgesprochen – und damit einen Sturm der Entrüstung ausgelöst.

Moskau lässt an der Grenze zur Ukraine die Muskeln spielen.
Militärexperten wie Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr in München halten den Schritt dennoch für sinnvoll. Das Kalkül dahinter lautet, den Preis einer Aggression in die Höhe zu treiben – und damit zu verhindern, dass sich Putin zum Angriff verleiten lässt.
„Es geht darum, den Russen zu signalisieren, dass die russischen Streitkräfte einen hohen Blutzoll zahlen müssten“, argumentiert Masala. Zumal klar sei, dass die Nato die Ukraine nicht verteidigen werde, da das Land nicht zum Bündnisgebiet zähle.
Die Russen rechtfertigen ihren Truppenaufmarsch mit Truppenverlegungen in der Ukraine sowie mit Nato-Übungen im Schwarzen Meer. Die Kosten einer Eskalation wären hoch, das weiß Putin natürlich. Doch die Drohungen gegen die Ukraine bringen ihn in eine strategisch günstige Lage.
Selbst wenn er keinen Feuerbefehl gibt: Der Kremlchef demonstriert seine geopolitische Bedeutung und erzwingt Verhandlungen mit den USA. Ian Bremmer, Präsident der Eurasia Group in New York, glaubt nicht, dass Russland tatsächlich einen Einmarsch vorbereitet: „Putins Invasion auf der Krim vor sieben Jahren profitierte in hohem Maße von einem Überraschungsmoment – ein Vorteil, den Moskau nie wieder haben wird.“
Russland besteht auf Stopp der Nato-Osterweiterung
Dennoch mahnt Bremmer zur Verständigung: „Wenn man eine stabile internationale Ordnung will, ist ein neues Nato-Abkommen mit Russland erforderlich.“ David McAllister, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, spricht sich ebenfalls für Deeskalation „durch Diplomatie und Dialog“ aus.

Im Mittelpunkt der Gespräche stand das Thema Ukraine.
Doch es bleibt unklar, wie ein Abkommen mit Russland aussehen könnte. Offenbar verlangt Putin eine schriftliche Zusicherung, dass die Nato nicht weiter nach Osten erweitert wird – was aus westlicher Sicht kaum verhandelbar ist: Georgien und die Ukraine streben in die Nato und sind bereits Partnerländer.
„Es kann an dieser Stelle auch keine Kompromisse geben“, sagt FDP-Außenpolitiker Djir-Sarai. „Die Zusicherung, dass die Ukraine nicht Teil der Nato wird, können weder die Amerikaner noch die Europäer geben. Es ist eine Entscheidung, die die Ukraine als souveränes Land selbst trifft.“
Mit Agenturmaterial
Mehr: Fünf Gründe, warum Putin die Eskalation in der Ukraine riskiert.
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