USA Wie es Trump gelang, die Republikaner zu unterwerfen

Die US-Republikaner haben ihr Schicksal an Donald Trump gekettet – und lassen ihn deswegen mit allen Ausfällen gewähren.
Washington Reince Priebus, langjähriger Parteichef der US-Republikaner, war sich so dermaßen sicher: „Nicht in einer Million Jahren wird er nominiert“, sagte er im Sommer 2015 über Donald Trump, der gerade seine Präsidentschaftskandidatur bekanntgegeben hatte.
Eineinhalb Jahre später war es Priebus persönlich, der Trump in der Wahlnacht 2016 beiseite zog und ihm eröffnete: „Es sieht so aus, als würdest du gewinnen.“ Trump, so liest man im neuesten Buch über seinen politischen Aufstieg, war für einen Moment verdutzt. Er nahm den Aufzug in sein Penthouse-Apartment im Trump Tower und machte sich daran, eine Rede vorzubereiten. Denn mit einem Sieg hatte er selbst nicht gerechnet.
Wie kaum jemand in der Partei, die Trump erst als Außenseiter und Fernsehshow-Freak belächelte, und die inzwischen ihrem Präsidenten ergeben ist.
Es sind Szenen und Rückblicke wie diese, die das Buch „American Carnage“ („Amerikanisches Gemetzel“) von Tim Alberta, Chefkorrespondent des Magazins „Politico“, zu einer starken Lektüre machen. Zwar wurde Trumps Aufstieg unzählige Male analysiert.
Scharen von Journalisten zogen nach seinem spektakulären Sieg durchs Land, schrieben Reportagen über arbeitslose Stahlarbeiter und die abgehängte Provinz. Wie konnte das passieren, was haben wir übersehen? Das sind Fragen, die noch immer das politische Feuilleton beschäftigen.
Doch Alberta, der seit Jahrzehnten im konservativen Lager exzellent verdrahtet ist, geht in seinem Buch einen Schritt weiter. Er klettert tief hinab in den politischen Apparat Washingtons, zu dem Fundament, das Trumps Weg ins Weiße Haus ermöglichte.
Laut Alberta gelang Trump erfolgreich eine „feindliche Übernahme“ der US-Republikaner. Doch auch das, räumt der Autor ein, stimmt nur so halb. Denn schließlich ließen die Republikaner Trump nach anfänglicher Skepsis bereitwillig gewähren.
Heute ist die Partei Trumps Schutzhülle in einer von Skandalen und Tabubrüchen geprägten Präsidentschaft. Auch gegen die aktuellen rassistischen Attacken auf demokratische Abgeordnete, deren Familien verschiedene Einwanderungsgeschichten teilen, oder den afroamerikanischen Kongressabgeordneten Elijah Cummings gibt es so gut wie keinen Widerstand.
Denn Trumps Macht bestimmt das politische Überleben seiner Partei – und umgekehrt. Bislang hat niemand diesen Wertewandel und die gegenseitige Hassliebe so eindrucksvoll beschrieben wie Alberta.
Aus Feinden wurden Freunde, es gab Posten zu verteilen
Dabei ist „American Carnage“ kein leichtes Buch. Es geht nur am Rande um das tägliche Chaos im Weißen Haus, womit sich schon „Fear“ von Bob Woodward ausführlich auseinandergesetzt hat. Alberta hat einige prominente Interviewpartner bekommen, sogar den Präsidenten selbst, aber es wimmelt auch von Namen, die in Deutschland eher unbekannt sein dürften.
Man lernt viel über die Mechanismen der Macht und über Kämpfe abseits der Fernsehkameras, die sich lesen wie ein Krimi. Der Titel ist angelehnt an die Antrittsrede Trumps, als der neue Präsident über Drogen und Armut im Land redete und versprach: „Dieses amerikanische Gemetzel hört hier und heute auf.“
Vielsagend ist auch der Untertitel, der eine Analyse der „Fronten des republikanischen Bürgerkriegs und des Aufstiegs von Präsident Trump“ verspricht. Alberta hält dieses Versprechen ein. Er beschreibt detailliert den anfänglichen Spott über Trump, die Nervosität nach kletternden Umfragen, die Panik hinter den Kulissen, die zerplatzten Träume von Partei-Stars wie Marco Rubio oder Ted Cruz.
Er zeichnet den Schock der Wahlnacht nach – und das schnelle Arrangieren mit der neuen Realität. Aus Feinden wurden plötzlich Verbündete, es gab Posten zu verteilen. Priebus etwa, der Trump lange verhindern wollte, wurde Stabschef im Weißen Haus.
Tiefen Einblick gibt ein Zitat von Mitch McConnell, dem Mehrheitsführer der Republikaner im US-Senat: „In der Wahlnacht wurde klar, dass solche Gelegenheiten nicht oft daherkommen. Also haben wir überlegt, wie wir diese Gelegenheit maximieren können.“
McConnell meint die Rache an den Demokraten nach acht Jahren Obama-Präsidentschaft – und die Chance, die Identitätskrise der Republikaner zu reparieren. Denn die Vorzeichen für Trumps Aufstieg waren lange da, weshalb Alberta in seinem Werk bis zur Jahrtausendwende zurückblickt.
Er erinnert die Leser an die Präsidentschaftswahlen von 2000, als George W. Bush mit dem Versprechen eines „neuen Konservatismus“ antrat, der angesichts der immer diverser werdenden Bevölkerungsstruktur auch inklusiv sein sollte.
Doch diese Richtung sollte schnell gebremst werden. Alberta beschreibt die Sinnsuche nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und mehreren Kriegen, erste Experimente mit modernen Populisten wie Sarah Palin, die Tea-Party-Bewegung, den Effekt der Bankenkrise. „Es gab keine Vision, keine neue Generation an Führungskräften, keine Energie an der Basis“, schreibt Alberta über die Stimmung der Republikaner nach Bush.
Obama „erschreckte das Establishment der Partei und frustrierte die konservative Basis“, nicht nur wegen seiner liberalen Politik, sondern auch wegen seiner Hautfarbe. Der Afroamerikaner Obama wurde „zum perfekten Bösewicht für die vergessenen Menschen in den Fly-over-Staaten Amerikas“ gemacht. Die Partei war zerrissen zwischen Modernisierungsansprüchen der Moderaten und dem rechtskonservativen Backlash.
Was bleibt, wenn Trump geht?
Für Alberta ist dieser Kampf entschieden. „Die Revolte war nah, nicht jeder konnte das erkennen. Trump sah sie und nahm sie ernst“, schreibt der Autor. „Streitigkeiten über Politik und Prinzipien wurden durch eine einfachere Frage ersetzt: Bist du für Trump oder nicht?“
Seit seinem Amtsantritt wurden die meisten Kritiker ins politische Abseits verbannt oder sind verstummt. Trump konnte ungehindert Grundprinzipien der Republikaner aushebeln, wie freie Märkte und die Kontrolle des Staatsbudgets.
Seine Partei duldet, wenn er mit sexuellen Übergriffe prahlt, auf Twitter mit einem Atomkrieg droht, Neonazis in Schutz nimmt. Für diese Loyalität bekamen sie allerdings einiges zurück: eine enorme Steuersenkung, die Abwicklung von Umweltvorschriften, das Bekenntnis gegen Abtreibung, und eine Schar konservativer Richter, die bundesweit die Gesetzgebung verändern.
Wohltuend ist es, dass Alberta in seinem Werk die Balance aus Kritik und Respekt vor Trump gelingt. Er benennt Trumps Nationalismus und Sexismus klar, aber verzichtet darauf, ihn dafür zu verurteilen. Schließlich ist er Beobachter, kein Akteur.
Er wiederholt nicht den Fehler mancher Journalisten, Trump pauschal als schlecht frisierten Hampelmann zu karikieren. „Viele sagen, dass Trump keine Kernüberzeugungen habe, aber das ist gefährlich“, so Alberta. „Es gibt durchaus ein paar große Linien, an die er seit Jahrzehnten glaubt.“
Dazu gehöre zum Beispiel, dass China als Supermacht den USA gefährlich werden kann. „Keines seiner Argumente ist für sich genommen per se falsch“, räumt Alberta ein – nur, dass bei Trump die Prise Populismus seiner Vorgänger zur Hauptzutat seiner Politik geworden ist.
Die spannendste Frage für die Zukunft reißt der Autor ebenfalls an: Was bleibt vom Trumpismus? Alberta analysiert klug, dass der Trump-Effekt auch im linken Lager zu spüren ist. So weckten Trump and der Sozialist Bernie Sanders in ihren jeweiligen Lagern 2016 am meisten Euphorie an der Basis, obwohl sie beide Außenseiter in ihren Parteien waren.
Alberta hält ein ähnliches Szenario für die Präsidentschaftswahlen 2020 für möglich, er sieht den moderaten Demokraten Joe Biden nicht zwangsläufig als Trumps Herausforderer gesetzt.
Die Republikaner könnten nach Trumps Abschied wohl in eine neue Identitätskrise stürzen, auch wenn sich Parteihoffnungen wie Nikki Haley im Hintergrund schon für das Weiße Haus warmlaufen. Ob so schnell wieder jemand die Massen mobilisieren kann wie Trump, bezweifelt Alberta. „Es gibt nur einen Trump, niemand kann ihn kopieren.“
Mehr: Trump legt nach und bezeichnet afroamerikanischen Abgeordneten als Rassisten. Zuvor hatte der Stabschef des Präsidenten versucht, den Schaden zu begrenzen.
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